Was für ein Filmriss! Eigentlich hoffte Gabriel Panski (Maximilian Brückner) durch seine Aufnahme in die Rudermannschaft seines alten Heimatdorfs wieder akzeptiert zu werden, doch er wird verhöhnt und an den Versagertisch abgeschoben. Dort gibt er sich mit Schnaps die Kante. Tags darauf ist er der „Mann der Stunde“, alle grüßen ihn, alle mögen ihn. Nur er kann sich an nichts mehr aus der Nacht erinnern. Langsam realisiert der Heiterstorf- Heimkehrer wofür ihn alle feiern: Jemand hat den verhassten Immobilienhai Butz (Jonas Hien), der das norddeutsche Landidyll kaputt kaufen wollte, ermordet, verstümmelt und am Ortseingang aufgehängt. Und alle glauben: Gabriel war es. So steckt er tief in der Klemme und will herausfinden, wer die Tat in Wahrheit begangen hat. Kommissarin Leonie Winter (Rosalie Thomass) ist dem verkaterten Verdächtigen immer einen Schritt voraus. Sie muss jedoch erkennen, dass ihr perfektes Indizien-Puzzle zu einem manipulierten Bild führt. Als sie schließlich mit dem Verdächtigen an einem Strang zieht, stoßen die beiden auf eine perfide Verschwörung der Geldadel-Dynastie Gutdorf (Eva Weißenborn, Gustav Peter Wöhler), die sich als „gute Seele“ des 573 Einwohner-Dorfes sieht. Und so ganz nebenbei kommt auch noch ein Seitensprung von Panskis Frau Anna (Claudia Kottal) mit dem getöteten Butz ans Licht – von dem der mächtig Gebeutelte lieber nichts wüsste.
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Vom Versagertisch des Dorfes zum Heldenstatus nach nur einer durchzechten Nacht – eine schräge und witzige Story hat sich Janosch Kosack mit seiner „Mordnacht“ da ausgedacht. Der Drehbuchautor hat bisher vor allem für Serien („8 Zeugen“, „Der König von Palma“) und Reihen („Das Quartett“) gearbeitet, genremäßig zwischen Krimi und Komödie gependelt, um hier beides sehr gelungen zu verbinden. Kosack dreht an der Schraube, er dreht und dreht, lässt seinen Helden immer mehr in den Schlamassel geraten, schickt ihn in absurde Situationen und macht auch vor dem einen oder anderen Kalauer nicht halt. Zwei Dinge sind es, die sein Buch auszeichnen: punktgenaue, pfiffig formulierte Dialoge („Haben Sie ein Gewehr?“ – „Nein, ich hab sogar mal eine Abrüstungs-NGO mitbegründet“) und Pointen („Butz wurde in einen Halloween-Kürbis verwandelt“) sowie eine starke Typenzeichnung. Der Held wider Willen ist ein liebenswerter Chaot, der in bester „Ich-weiß-nicht-wie-mir-geschieht“-Manier durch die wilde Handlung stolpert. Und Kommissarin Winter gibt die cool-penetrante Ermittlerin voll trockenem Witz („Beeilen wir uns mit dem Fall, ich will nicht in den Feierabend-Verkehr kommen“). Umringt werden die beiden von ein paar dörflichen Knallchargen und Gabriel Panskis turbulenter Familie, bestehend aus untreuer Ehefrau, nervenden Kindern und auf begriffsstutzig machendem Vater. Das ist alles stimmig.
Stimmig auch die Inszenierung. Der Auftakt ist etwas arg klamaukig („Er hat das U-Boot bekommen“) geraten samt obligatorischem Sturz ins Wasser, doch dann wird es weit gehaltvoller in dieser ungewöhnlichen Krimikomödie. Friederike Jehn („Tatort – Borowoski und die große Wut“) beweist viel Gespür für Tempo und Timing und durchzieht den Film mit leicht tragikomischen Untertönen. Die Story spielt nahe Hamburg, die Szenerie (Sten Mende fängt die wasseraffine Land-Idylle gut ein) und die Dorftypen sind norddeutsch, doch die Hauptrollen spielen zwei (in München geborene) Bayern: Maximilian Brückner, einige Jahre „Tatort“-Kommissar im Saarland und der Bürgermeister Zischl“ in der kultigen Serie „Hindafing“, und Rosalie Thomass, eine vielfach preisgekrönte, sehr wandelbare Mimin. Wie sie sich hier ein Katz- und Mausspiel liefern, mal die Bälle zuwerfen, dann wieder belauern, wie er versucht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und sie lange nichts unversucht lässt, die Schlinge langsam zuzuziehen – das macht richtig Spaß. Schon die Optik überzeugt: er mit Zauselkopf, Hornbrille, Dreitagebart und Kapuzen-Hoodie, sie als überzeugte Städterin mit auffälligen farbenfrohen Outfits (ein Lob gebührt Kostümbildnerin Sabine Bockmeyer). Der ganze Film ein herrliches Durcheinander! Man fühlt und leidet mit Gabriel auf seiner schmerzlichen Erkenntnisreise und wird knapp 90 Minuten lang bestens unterhalten.
Foto: Degeto / Nicolas Maack