Mord in Eberswalde

Zehrfeld, Schmidt, Wagner. Einen wie den Hagedorn darf es in der DDR nicht geben!

Foto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Foto Rainer Tittelbach

„Mord in Eberswalde“ zeichnet den DDR-Kriminalfall um den 20jährigen Triebtäter Erwin Hagedorn nach, einen homosexuellen pädophilen Sadisten, der zwischen 1969 und 1972 drei Jungs bestialisch ermordete. Damit der Staat Recht behalten konnte, musste dem Leben dieses Menschen, den es nicht geben durfte im real existierenden Sozialismus, ein Ende gesetzt werden. Der Film ist klar, reduziert & konzentriert erzählt: hier die Fakten der Tat, dort die Ermittlungsmethoden. Gut gespielt, ästhetisch bestechend, intensive Wirkung!

31. Mai 1969, Eberswalde. Ein bestialischer Mord an zwei neunjährigen Jungen schreckt das brandenburgische Städtchen auf. Kripo-Hauptmann Heinz Gödicke und Stasi-Major Stefan Witt werden auf den Fall angesetzt. Sie tappen lange völlig im Dunkeln. Durch diesen Mord ohne erkennbares Motiv sieht sich Gödicke veranlasst, neue Ermittlungs-Methoden anzuwenden. „Wie denkt der Mörder, wie fühlt er, wie tickt er?“, will der Kommissar wissen. Er schleicht Kindern nach, die wie damals im Wald, in der Nähe eines Bunkers, spielen. Er übernimmt die Perspektive des Mörders, versucht, sich in den Täter hineinzuversetzen. Bei seinen Vorgesetzten löst sein Verhalten Befremden aus. Allein Staatsanwalt Dr. Liebers hält ihm den Rücken frei – und besorgt ihm einen „Spiegel“-Artikel über den „Triebtäter“ Jürgen Bartsch, der einige Jahre zuvor in der Bundesrepublik vier Kinder ermordet hatte. Weil der Sozialismus im Gegensatz zum dekadenten Westen offiziell keine psychisch kranken Subjekte hervorbringen kann, ordnet Witt die Einstellung der Ermittlungen an. Gödicke ist außer sich. Als über zwei Jahre später ein weiterer Junge tot aufgefunden wird, der im Gegensatz zu den ersten beiden Opfern sexuell missbraucht wurde, wird der Fall wieder aufgenommen.

Mord in EberswaldeFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Grausiger Fund in Eberswalde 1969. Gödicke & Witt sprachlos. Ronald Zehrfeld, Florian Panzner und Martin Brambach

„Mord in Eberswalde“ zeichnet diesen realen DDR-Kriminalfall aus der Post-Bartsch-Ära weitgehend authentisch nach. Der Täter wird überführt – allerdings erst, als sich die Polizei die These vom homosexuellen pädophilen Sadisten zu eigen macht und Schulkinder massiv auf die Triebtäter-Vermutung hin befragt. Bei dem dreifachen Mörder handelte es sich um den 20jährigen Kochlehrling Erwin Hagedorn. Nach seiner Festnahme legte der junge Mann ein umfassendes Geständnis ab. Auch im Film schildert er freimütig und scheinbar emotionslos seine Taten, die wie ein Programm eines kranken Gehirns von ihm durchgeführt wurden. „Die Todesangst in den Augen der Kinder war für ihn Quelle höchster Lust“, beschreibt ein Gutachter die zwanghafte Veranlagung des Täters. „Es gibt solche Subjekte im Sozialismus nicht“, sagt der Stasi-Mann zu Beginn der Ermittlungen. Damit der Staat Recht behalten konnte, musste dem Leben von Erwin Hagedorn, einem Menschen, den es theoretisch nicht geben darf im real existierenden Sozialismus, ein Ende gesetzt werden: am 15 September 1972 wurde er hingerichtet. Es war die letzte Vollstreckung einer zivilen Todesstrafe in der DDR.

Der legendäre ostdeutsche Kriminalfall zog einen „Polizeiruf 110“ (1974) nach sich, der Medien-Geschichte schrieb: der Film fiel der Zensur zum Opfer und erlebte erst 2011 seine TV-Premiere. „Im Alter von…“ ist politisch und fernsehhistorisch von Belang, filmisch ist er weit entfernt von den heutigen Sehgewohnheiten. Von daher war es nicht abwegig, die Hagedorn-Geschichte noch einmal mit den ästhetischen und dramaturgischen Mitteln von 2012 zu erzählen. Das Drehbuch von Holger Karsten Schmidt arbeitet die moderne Art der Tätersuche, das sogenannte Profiling, explizit in die Geschichte ein, baut damit geschickt einen Gegensatz auf, Analyse gegen Ideologie, und bekommt so den dramaturgischen Dreh vom bloßen Krimifall zur gesellschaftlichen Dimension, ohne dabei an Spannung einzubüßen. Auch die persönliche Ebene der Geschichte verdichtet Schmidt geschickt, indem er eine Privatfehde der beiden alten Freunde effektiv einbaut: Gödicke hat ein Verhältnis mit Witts Lebensgefährtin. Dieser Nebenplot wird auch für die Triebtäter-Geschichte „genutzt“: Um eine Ahnung zu bekommen, was der Kindsmörder so alles gefühlt haben kann, hantiert der Held eines Nachts mit dem Messer an seiner gefesselten Geliebten herum. Das Sexspiel-Motiv wird bereits in der Eingangssequenz eingeführt – antizipierend, nicht spekulativ.

Mord in EberswaldeFoto: WDR / Wolfgang Ennenbach
Weil sein alter Freund Gödicke ihm die Frau ausgespannt hat, setzt es Schläge. Florian Panzner und Ronald Zehrfeld

Die Inszenierung von Stephan Wagner macht so weiter, wie das Drehbuch beginnt: reduziert, konzentriert und klar erzählt. Da sind die Fakten der Tat, die Methoden der Ermittlung, die Haltungen der Ermittler. Das wirkt beobachtend, sieht fast ein wenig dokumentarisch aus, dabei vergisst Wagner aber nicht, dass gerade bei dieser Geschichte die Frage der Perspektive eine ganz entscheidende ist. Der Film besticht auch handwerklich: liebevoll die Ausstattung, klar und einfach kadriert die Bilder; physisch der Schnitt innerhalb einer Szene, ungemein flüssig auch die elliptische Montage zwischen den Sequenzen – hier wie dort wird alles Überflüssige konsequent „weggeschnitten“. Eine ganz eigene Realitätsebene etabliert das Sounddesign, das etwas flirrend Atmosphärisches evoziert, anstatt die Zuschauer-Wahrnehmung – wie in einem Durchschnittskrimi oder Thriller – final zu lenken. Und die Schauspieler? Die passen sich durchweg wunderbar ein in die reduzierte Ost-Ästhetik, verleihen ihren Figuren – ähnlich wie die Filmsprache – aber auch die Präsenz von heutigen Charakteren. Zehrfeld, Tscharre und Brambach sind nicht zu toppen in ihren Metiers. Auch Panzner und Giese sind sehr passend besetzt.

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Fernsehfilm

WDR

Mit Ronald Zehrfeld, Florian Panzner, Ulrike C. Tscharre, Martin Brambach, Godehard Giese, Sergius Buckmeier, Arved Birnbaum

Kamera: Thomas Benesch

Szenenbild: Zazie Knepper

Kostümbild: Petra Kilian

Schnitt: Gunnar Wanne-Eickel

Produktionsfirma: Westside Filmproduktion

Drehbuch: Holger Karsten Schmidt

Regie: Stephan Wagner

Quote: 5,23 Mio. Zuschauer (15,7% MA); Wh.: 4,27 Mio. (15,3% MA); Wh. (2019): 2,93 Mio. (9,9% MA)

EA: 30.01.2013 20:15 Uhr | ARD

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