Monsoon Baby

Julia Jentsch, Kuchenbuch, Hanig, Kleinert. Der Wunsch vom „eigenen“ Kind

Foto: BR / Christian Hartmann
Foto Rainer Tittelbach

Ein junges deutsches Paar hat sich für eine Leihmutterschaft in Indien entschieden. Was hierzulande verboten ist, ist dort legal. Doch über das Machbare hinaus stellen sich den beiden bald moralische Fragen… „Monsoon Baby“, dessen Story schwer nach Themenfilm klingt, ist unter Andreas Kleinerts Meisterhand zu einem ungewöhnlichen Fernsehfilm geworden. Ein von hoher Sinnlichkeit geprägtes Realismus-Konzept, das in Dramaturgie, Bildästhetik und Schauspiel gleichermaßen wirksam ist, ein überaus geglückter Spagat zwischen „Beziehungsgeschichte“ und dem stimmig in den Film eingearbeiteten Thema Leihmutterschaft sowie die kluge Vermittlung zwischen deutschen „Werten“ und indischer Kultur machen dieses TV-Drama zu einem der besten Fernsehfilme des Jahres.

Ankunft in Kalkutta. Nina und Mark sind keine Indien-Touristen. Das Paar, das seit Jahren vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen, hat sich für eine Leihmutterschaft mit einer indischen Frau entschieden. Es ist für die beiden nach mehreren in-vitro-Versuchen und drei Fehlgeburten die letzte Chance für ein „eigenes“ Kind. Seltsam ist es dann aber doch, wenn man hier plötzlich drei jungen Inderinnen gegenübersteht und eine von ihnen als Leihmutter für sein Kind aussuchen soll. Doch nach dem ersten Fremdeln mit der Situation freuen sich Nina und Mark riesig auf ihr Kind. Dass sie für den gewählten Weg der Familienplanung jetzt auch noch heiraten müssen, nehmen sie locker – und feiern bunt in Bollywood-Manier. Zurück in Deutschland plagt Nina bald das schlechte Gewissen. „Andere Frauen kotzen jetzt“ – und sie trinkt Kaffee und Wein. Der Familie hat Mark die Lüge von einer „normalen“ Schwangerschaft aufgetischt und Nina mehrere Plastikbäuche besorgt. Die findet das gar nicht komisch und macht sich nach einigen Monaten wieder auf nach Kalkutta. Sie will ihrem Kind nahe sein – und kommt dabei der indischen Seele näher, als es ihr lieb sein kann.

Monsoon BabyFoto: BR / Christian Hartmann
Faszinierende Frau, diese Ärztin, hat sogar ein paar Jahre in Deutschland studiert… Das Paar saugt alles auf, was es erlebt in Kalkutta und was es noch nicht weiß über den Verlauf der nächsten neun Monate. Julia Jentsch und Robert Kuchenbuch

„Monsoon Baby“, dessen Story schwer nach Themenfilm klingt, ist unter Andreas Kleinerts Meisterhand zu einem ungewöhnlichen, zu einem herausragenden Fernsehfilm geworden. Keine erklärenden Aufsager, keine öffentlich geführten Moral-Diskurse, keine journalistische Recherche, keine dieser Tricks, die Themenfilmen mit dem Stoff versorgen, den diese traditionsreiche Fernsehspielgattung offenbar braucht. Und doch weiß der aufmerksame Zuschauer nach 90 Minuten gut über dieses international diskutierte Reizthema Bescheid und hat eine Vorstellung von den emotionalen Dimensionen bekommen, die das Phänomen „Leihmutterschaft“ besitzt. Das Geheimnis dieses TV-Dramas: die Figuren haben nichts von Ideenträger, sie sind Menschen aus Fleisch und Blut, zu denen man als Zuschauer sofort eine Bindung findet. Sie sind intelligent, sie haben das Thema weitgehend für sich durchdacht. Sie kennen die moralische Problematik. Hinzu kommt ein dramaturgischer Kniff: So wie die beiden Charaktere die Auf und Abs ihrer Leihmutterschaft am eigenen Leib erfahren, so ähnlich führt „Monsoon Baby“ auch den Zuschauer an das Thema heran. Mit derselben Neugier, mit der die beiden Hauptfiguren Land und Leute, aber vor allen all das aufsaugen, was unmittelbar mit der Leihmutterschaft zu tun hat, so gespannt verfolgt man als Zuschauer seinerseits diese fremde Erfahrungswelt, die sich dem deutschen Paar im Film öffnet.

Autor Florian Hanig über die Moral von Leihmutterschaft:
„Man kann wohl Argumente für die kommerzielle Leihmutterschaft vorbringen, wenn medizinische Indikationen vorliegen. Aber was, wenn Schauspielerinnen oder Banker-Managerinnen, was in den USA auch geschieht, das Kinderkriegen outsourcen, um ihren Körper zu schonen oder mehr Zeit für die Karriere zu haben. Eine Leihmutterschaft aus kosmetischen oder finanziellen Gründen empfinde ich als menschenverachtend.“

Monsoon BabyFoto: BR / Christian Hartmann
Bollywood lässt grüßen. Dass Nina und Mark heiraten müssen, empfinden die zwei noch als das kleinste Übel. Es wird getanzt und musiziert. Jentsch & Kuchenbuch

Bei der kreativen Kombination, da ein Journalist als Drehbuchautor, der mit dem Thema „Leihmutter“ seit Jahren schwanger geht, dort ein Regisseur, der aus jedem Stoff bevorzugt den Beziehungsaspekt herauskristallisiert, bewiesen die Produzenten und der BR ein sehr glückliches Händchen. Andreas Kleinert, in Kammerspielen ein Freund extremer Stilisierung, tat gut daran, gemeinsam mit seinem Kameramann Andreas Höfer, auf ein dokumentarisch anmutendes Bildgestaltungskonzept zu setzen, das dem realistischen Angang der Geschichte entspricht und den Zuschauer sinnlich teilnehmen lässt an der Reise nach Indien.

Diese Reise ist zugleich eine Reise in die Beziehung des Paares, dessen letzte acht Jahre ganz im Zeichen der verzweifelten Versuche standen, ein „eigenes“ Kind zu bekommen. Julia Jentsch und Robert Kuchenbuch haben diese Back-Story ihrer Figuren und Kleinerts Realismus-Konzept vorbildlich verinnerlicht: da ist bei aller Nähe etwas spürbar zwischen den beiden, ein seltsamer Schmerz, eine große Empfindlichkeit, ein trotziger Eigensinn. Gleichsam entwickeln sich die Figuren. Ein Satz, der in Deutschland aus dem Mund der Heldin noch vage klingt, „Vielleicht kann man auch glücklich sein, wenn man nicht alles bekommt, was man sich wünscht“, gewinnt mit dem folgenden Perspektiv- und Rollenwechsel an Anschaulichkeit: Nina, gelernte Krankenschwester, beim zweiten Indien-Trip allein in Kalkutta, will sich in der auf Leihmutterschaften spezialisierten Geburtsklinik nützlich machen. Und so taucht sie nicht nur tiefer in die indische Kultur ein, fährt Fahrrad, wohnt einfach und preiswert, sondern sie bekommt auch einen weniger verklärten Blick auf die Praxis der indischen Leihmütter, in dem sich ihr das Geschäft mit dem Reich-arm-Gefälle, das ganze Dilemma der Globalisierung, offenbart. Autor Florian Hanig und Kleinert ermöglichen, dass die Heldin keinen Kopf-Diskurs führen muss, wie es anfangs der Ehemann noch mit bestem Wissen und Gewissen („Kennen die Frauen die Risiken einer Schwangerschaft?“) tut, wobei er sich erhofft, seine moralischen Zweifel ausgeräumt zu bekommen. Ein Bild sagt mehr als… Sie muss nur hinschauen (und der Zuschauer mit ihr) – und sieht sie, wie das ist nach der Geburt. Sie sieht eine indische Leihmutter, die gerade unter Schmerzen ihr Kind geboren hat, das nun nicht mehr ihr Kind ist. Keine Berührung, kein Blick für das Baby. Dann die andere Seite: diese euphorische, fast hysterische Freude der europäischen Eltern über „ihr“ Kind.

Monsoon BabyFoto: BR / Christian Hartmann
Nach Ninas Rückkehr begegnet ihr eine völlig veränderte Leihmutter. Shanti (Tillotama Shome) wirkt völlig verstört. Und dann ist sie plötzlich verschwunden.

Andreas Kleinert über die Moral von „Monsoon Baby“:
„Es gibt keine ‚richtig’ oder ‚falsche’ Entscheidung beim Thema Leihmutterschaft, es ist viel komplexer. Genau das soll unser Film zeigen – und er soll dazu beitragen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass wir uns im Leben oft moralisch entscheiden müssen und damit Verantwortung tragen. Soll man tatsächlich die Möglichkeit, alles haben zu können, in Anspruch nehmen? Unser Filmpaar beginnt ja zu zweifeln, ob seine Entscheidung und sein generelles moralisches Selbstverständnis richtig sind.“

Aber auch die indische Leihmutter rückt im zweiten Teil von „Monsoon Baby“ stärker in den Mittelpunkt der Handlung. Ihr Ehemann weiß nichts von dem „Geschäft“, denkt, dass das Baby von ihm sei. Eine dramatische Entwicklung, die damit enden könnte, dass seine Frau von ihm verstoßen wird. Nicht nur die Geschichte dringt nun ein in die indische Wirklichkeit – auch der Blick auf diese Wirklichkeit ist ein realistischer: Nina wird nur Augenzeuge des Streits, den Dialog zwischen dem Ehepaar kann sie nicht verstehen. Das Gleiche gilt für den Zuschauer. In der Szene spiegelt sich die Haltung der Macher generell: dem Zuschauer wird nicht immer sofort alles „übersetzt“. Wie die Protagonistin wird auch er mit der „Fremdheit“ konfrontiert; gleichzeitig aber bindet ihn das an die Hauptfigur und erhöht die Identifikation.

Fazit: Ein von hoher Sinnlichkeit geprägtes Realismus-Konzept, das in Dramaturgie, Bildästhetik und Schauspiel gleichermaßen wirksam ist, ein überaus geglückter Spagat zwischen glaubwürdiger „Beziehungsgeschichte“ & dem stimmig in den Film eingearbeiteten Thema Leihmutterschaft sowie die kluge Vermittlung zwischen deutschen „Werten“ & indischer Kultur machen „Monsoon Baby“ zu einem der besten Fernsehfilme des Jahres.

Monsoon BabyFoto: BR / Christian Hartmann
Perspektivwechsel. Auch die indische Seele wird in „Monsoon Baby“ spürbar. Julia Jentsch und Robert Kuchenbuch

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Fernsehfilm

BR

Mit Julia Jentsch, Robert Kuchenbuch, Swaroopa Gosh, Tillotama Shome, Hanna Scheibe, Loni von Friedl, Thomas Limpinsel, André Jung, Pradip Mitra

Kamera: Andreas Höfer

Szenenbild: Oliver Hoese

Schnitt: Gisela Zick

Produktionsfirma: Roxy Film

Produktion: Annie Brunner, Andreas Richter

Drehbuch: Florian Hanig, Andreas Kleinert

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 3,09 Mio. Zuschauer (10,7% MA)

EA: 17.09.2014 20:15 Uhr | ARD

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