Der Handlungskern ist faszinierend, aber nicht neu: Ein Ermittler sucht einen Mörder, hat einen Unfall und erwacht in einem anderen Jahrzehnt. In der britischen Serie „Life on Mars“ landet der Detective in den Siebzigern, die sich ihm als Mischung aus bekannten Klischees und rührend veralteten Ermittlungsmethoden darbieten. Serienautor Ralf Kinder hat die Grundidee allerdings derart originell variiert, dass eine völlig neue Geschichte daraus wird. Kommissar Maik Brunner gerät sogar in eine Umgebung, die viel eher „Mars“ ist.
„Mörder kennen keine Grenzen“ beginnt mit der Jagd nach einem Serientäter: Ein Mörder hat bereits mehrere Menschen auf dem Gewissen. Der Thriller bezieht einen guten Teil seines Reizes aus der Unterkellerung Berlins: Unter der Hauptstadt gibt es eine Vielzahl stillgelegter Tunnel & Luftschutzbunker. Der Killer kennt sich hier bestens aus. Entsprechende Pläne sind indes in den Wirren der „Wende“ verloren gegangen. Offenbar verfügt er über älteres Wissen.
Tatsächlich streuen Kinder und Regisseur Jorgo Papavassiliou immer wieder kleine Hinweise ein. Das Rattengift, an dem die Opfer starben, stammt aus der DDR. Eine Frau hat der Mörder perfiderweise auf einer Bombe deponiert, wie sie auch bei den Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze verwendet wurden. Und bei einem kurzen Blick auf den Täter ist die Bezeichnung des Formulars zu erkennen, das er ausfüllt: „Wohnraumüberwachung“. Das klingt nach Stasi, und mit der bekommt es Brunner kurz drauf zu tun: Auf der Suche nach seiner entführten hochschwangeren Freundin wird der Kommissar von einer U-Bahn erfasst. Im Ostberliner Krankenhaus der Volkspolizei kommt er wieder zu sich; am 11. Juli 1984.
Foto: Sat 1 / Richard Hübner
Kein Wunder also, dass sich Brunner gleich doppelt als Mars-Besucher fühlt. Kleidung, Ausdrucksweise und Verachtung für den Überwachungsstaat stehen in heftiger Diskrepanz zur neuen Umgebung: Der Ermittler ist eigens aus Magdeburg angefordert worden, um einen mehrfachen Mörder zu suchen; natürlich handelt es sich um denselben Täter. Brunner beeindruckt seine neuen Vorgesetzten zwar durch seine Ermittlungsergebnisse, macht sich durch die Verwendung klassenfeindlichen Vokabulars („Stasi-Kacke“) oder seine Hinweise auf den baldigen Untergang der DDR aber ziemlich unbeliebt.
Dank diverser Nebenstränge ist die Geschichte immer wieder mehr als bloß ein Durchschnittskrimi. Brunners Ankunft im Jahr 1984 liegt exakt drei Tage vor dem Tod seines Vaters, eines systemkritischen Hippies und Musikers, der damals bei einem Fluchtversuch erschossen worden ist. Und die Krankenschwester, die ihn großzügig bei sich aufnimmt und sich prompt in ihren attraktiven Untermieter verliebt, ist niemand anders als die (ebenfalls von Tander verkörperte) alleinerziehende Mutter seiner Freundin; die wiederum ist da ungefähr fünf Jahre alt und malt auf seinem Schoß ein Bild, das ihm die Mutter kurz zuvor, aber 25 Jahre später gezeigt hat. Und selbstredend erstrahlt der Palast der Republik in altem Glanz.
Für die Handlung unerheblich, aber eine herrliche Rolle für Michael Gwisdek ist die Figur eines ebenso redseligen wie verwirrten Schriftstellers. Hübsch ist auch die permanente Irritation von Brunners Ostberliner Partnerin Gaby Kempe, die keine Ahnung hat, wovon der Hauptmann aus Magdeburg redet, wenn er mit Begriffen wie „Event“ oder „Peanuts“ um sich wirft. Aber ihre Tochter, die im Rahmen einer Exkursion zur Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit der jungen Angela Merkel fotografiert worden ist, hat den vermutlich ersten Commodore in der DDR und sorgt mit ihrem Computervergleich verschiedener Namenslisten für den entscheidenden Hinweis, um den Täter 2009 überführen & Bettina retten zu können.
Natürlich sind solche Details obligat, seit Robert Zemeckis seinen Zeitreisenden Marty McFly 1985 erstmals „Zurück in die Zukunft“ geschickt hat; aber Spaß machen sie trotzdem. Und so verrückt manche Einfälle auch wirken: Entscheidend ist, dass sie innerhalb der Geschichte plausibel bleiben. Nur eins bleibt völlig offen: Ähnlich wie die Autoren von „Life on Mars“ liefert auch Kinder keine Erklärung für die Zeitreise. Der Film endet, wie er begann: Brunner wird von einer U-Bahn erfasst und erwacht nach viertägigem Koma 2009. Womöglich hat er das alles nur geträumt. Aber die Kempes, denen er empfohlen hat, 1999 in großem Stil New-Economy-Aktien zu kaufen, sie ein Jahr später aber wieder abzustoßen, sind Multi-Millionäre und haben eine wohltätige Stiftung gegründet. Und in der letzten Einstellung sieht Brunner einen in die Jahre gekommenen Hippie-Musiker, der sein Vater sein könnte.