Warum nicht!“ hieß vor knapp 40 Jahren ein französischer Film über eine bi- und homosexuelle Wohngemeinschaft. „Warum nicht?“ ist auch die Antwort der Heldin des Films „Miss Sixty“ auf die Frage, weshalb sie in ihrem fortgeschrittenen Alter unbedingt noch Mutter werden will. Das ist als Begründung natürlich etwas dünn und daher gleichbedeutend mit einer dramaturgischen Schwäche des Drehbuchs: weil die Hauptfigur auf diese Weise nicht gerade zu Identifikation einlädt. Später reicht sie ihr Motiv dann doch noch nach: Luise Jansen sieht nicht ein, dass es gesellschaftlich akzeptiert ist, wenn Männer mit sechzig Kinder zeugen, aber Frauen aus dem gleichen Grund stigmatisiert werden.
Das könnte auch ein Dramenstoff sein, doch Autorin Jane Ainscough verpackt das Thema als anfangs allerdings etwas umständlich erzählte romantische Komödie. „Miss Sixty“ ist ein Regiedebüt, was die eine oder andere Ungereimtheit erklären könnte, hätte Sigrid Hoerner nicht bereits einige Erfahrung als Produzentin („Pigs Will Fly“ oder „Rammbock“). Gerade ihre Protagonistin ist eine ziemlich widersprüchliche Figur. Das ist zwar reizvoll, aber nicht immer logisch. Warum zum Beispiel muss Iris Berben ausgesprochen ältlich wirken? Luise ist eine erfolgreiche Molekularbiologin, die als Single viel Zeit mit ihrer Mutter (Carmen-Maja Antoni) verbringt, aber deshalb braucht sie doch nicht gleich auch deren Kleider auftragen. Ihre Entlassung, mit der die Geschichte beginnt, wirkt gleichfalls hanebüchen; offenbar hat eine Nebenbuhlerin (Kirsten Block) sie wegen sozialer Inkompetenz aus dem Job intrigiert. Aber ist so etwas bei einer international anerkannten Koryphäe plausibel?
„Eine Screwball-Komödie über den dritten Frühling zu drehen ist löblich. Mit müden Gags und altbackenen Rollenklischees kalauert man aber an allen Zielgruppen vorbei.“ (Cinema)
Foto: Degeto / Senator / Bavaria
„Soll das etwa der Anspruch des gehobenen deutschen Unterhaltungsfilms heute sein, gar einer ansatzweise zeitdiagnostischen Gesellschaftskomödie? Aber warum sollten die Zuschauer dann nicht gleich zu Hause sitzenbleiben, vorm deutschen Fernsehen? Dort wird in ein, zwei Jahren „Miss Sixty“ bestimmt laufen, und das Beste, was man über diese Klamotte sagen kann, ist folgendes: Sie wird zwischen all den anderen gleich fürs Fernsehen produzierten Filmen nicht unangenehm auffallen, in denen nichts geschieht, was nicht schon tausendmal woanders genauso mittelmäßig und vorhersehbar konstruiert gezeigt wurde.“ (Die Welt)
Tatsächlich ist Luises Beruf für die weitere Handlung fast unerheblich, denn sie dient nur als Vorwand dafür, dass vor Jahren einige ihrer Eizellen eingefroren worden sind. Wie aus Trotz beschließt sie nach der Kündigung, ein Kind zu kriegen. Sie braucht nur noch eine Samenspende. Und nun kommt die eigentlich interessantere zweite Figur ins Spiel: Frans Winther ist Galerist und macht sich ein bisschen lächerlich, weil er in seine nicht mal halb so alte, attraktive Angestellte Romy (Jördis Richter) verliebt ist. Deshalb fühlt er sich plötzlich um Jahrzehnte jünger und benimmt sich auch so, Toupet und Zungenpiercing inklusive; eine derartige Rolle wäre für jeden älteren Schauspieler ein gefundenes Fressen, aber Edgar Selge macht sie noch größer. Luise und Frans lernen sich durch Zufall kennen, weil er sich im Verlauf einer gewagten Liebesakrobatik einen Hexenschuss zugezogen hat, dann beim Joggen zusammengebrochen ist und nun hilflos durch den Park kriecht. Später stellt Luise fest, dass er der Vater des von ihr auserkorenen Samenspenders ist.
Es gehört zum Grundmuster romantischer Komödien, dass sich das potenzielle Liebespaar anfangs nicht ausstehen kann, weshalb die Dialoge von Berben und Selge von erlesener Bosheit sind; man spürt förmlich, wie viel Freude die beiden erfahrenen Schauspieler mit den entsprechenden Zeilen hatten. Ähnlich ausgefeilt sind die Gespräche zwischen Frans und seinem alten Freund Dieter (Michael Gwisdek); allein ihre zynischen Sprüche über die Kunstszene sind ein Genuss. Ohnehin tragen die Nebenschauplätze viel zur Komplexität der zunächst überschaubar wirkenden Geschichte bei. Eine wichtige Rolle spielt auch Frans’ Sohn Max, der schließlich indirekt dafür sorgt, dass sein Vater und Luise, die sich dank Kleidung, Make-up und Frisur längst zur attraktiven Frau gewandelt hat, ein gemeinsames Ziel haben. Bis dahin ist sie trotz unvergesslicher gemeinsamer Erlebnisse mit Frans auf ihren Kinderwunsch fixiert, während er nichts anderes im Sinn hat, als Romy zurückzuerobern. Dass Ainscough das Paar mit einer für solche Filme obligaten letzten Hürde konfrontiert, ist zwar ebenso vorhersehbar wie Berbens Wandel vom Mauerblümchen zum Vamp, lässt sich aber verschmerzen, weil das Drehbuch eine Vielzahl großartiger Szenen zu bieten hat; und weil nicht nur die beiden Hauptdarsteller, sondern die komplette Besetzung sehenswert ist.