Weil es unter seinen Arbeitskollegen so üblich ist, spielt Torsten (Andreas Döhler) – nicht zuletzt der guten Stimmung im Büro willen – auch regelmäßig Lotto. Eines Tages erfährt der Familienvater, dass er den 22 Millionen Euro Jackpot geknackt hat. Er geht auf Sauftour, landet im Krankenhaus, dann weiht er seine Frau Susanne (Sigg) ein. Völlig überfordert vom neuen Reichtum, weiß Torsten nicht, was nun zu tun ist. Im Gegensatz zu ihr: Susanne will in Berlin einen Laden für Kindermode eröffnen. Und der pubertierende Sohn Lutz fordert gleich eine kräftige Taschengelderhöhung. Verzweifelt versucht Torsten, sein altes Leben fortzuführen. Doch von den Kollegen bis zu den Kumpels in der Fußballmannschaft treten die Menschen aus seiner Umgebung dem über Nacht zum Multimillionär gewordenen Torsten verändert gegenüber. Der Versuch, die enge Freundschaft mit Carsten (Godehard Giese) und Doreen (Annika Ernst) durch eine Beteiligung am Gewinn – eine satte Million – aufrecht zu erhalten, endet im Desaster. Und Torsten schlittert mit voller Wucht in eine Identitätskrise.
2010 gewann Fabian Möhrke mit seinem Kurzspielfilm „Philipp“ den First Step Award. „Millionen“ ist sein erster Langfilm – und zugleich sein Abschlussfilm an der Konrad-Wolf-Filmhochschule Potsdam. Eindrucksvoll widmet der Autor-Regisseur sich der Frage, wie ein Lotto-Gewinn Menschen verändert. Wie geht man mit der Freiheit und dem Druck des Geldes um, wie wirkt sich der Reichtum auf das Verhältnis zu Freunden und zur Familie aus? Was ist, wenn man sich plötzlich alles kaufen kann und so keinen gemeinsamen Nenner mehr zu seinem Umfeld findet? In diesen Konflikt lässt uns Möhrke mit und durch seine Hauptfigur eintauchen. „Millionen“, ein Lehrstück über die zersetzende Wirkung des Geldes.
Unaufgeregt und gradlinig inszeniert Möhrke diese filmische Parabel über die Ambivalenz des Glücks, setzt vor allem auf die Interaktionen der Figuren. Das soziale Umfeld ist sehr feinsinnig beobachtet und beschrieben, die Inszenierung wechselt zwischen authentisch und stilisiert. Der Filmautor erzählt konsequent aus der Sicht seines Protagonisten, dessen psychologische Talfahrt einen mitleiden, mitfiebern, mitfühlen lässt. Lange intensive Einstellungen und strenge Bilder (Kamera: Marco Armborst) erzeugen eine hohe Intensität. Möhrke verzichtet zumeist auf Gefühle oder Handlungen kommentierende Musik. Das tut gut. Denn so ist man als Betrachter komplett fokussiert auf die Tragik, wie ein ob der ökono-mischen Entwicklung eigentlich glücklicher Mensch zu einem unglücklichen, weil seiner sozialen Umgebung und seiner menschlichen Harmonie beraubten Individuum wird.
Andreas Döhler („Die Stunde des Wolfes“) spielt den sympathischen Durchschnittstypen, der eigentlich mit seinem Leben zufrieden ist und keine großen Pläne hat. Und dessen Leben durch sechs richtige Zahlen auf einem Stück Papier zunehmend aus der Bahn gerät. Wie Döhler diesen völlig überforderten Menschen anlegt, ist beeindruckend und erfrischend. Im zurückgenommen sparsamen, ruhigen Spiel liegen seine Stärken. Geld macht nicht glücklich – nein, diese Botschaft reicht Fabian Möhrke längst nicht, die überlässt der Autor und Regisseur den üblichen Wohlfühlfilmen. Sein starkes Langfilmdebüt bereitet Unbehagen und besitzt neben Spannung und Unterhaltung auch Tiefe. Nach einer Kinoauswertung seit Anfang Juli beschließt der Film jetzt die ZDF-Reihe „Shooting Stars“. (Text-Stand: 2.8.2014)