Eine Frau wird spätabends in Wien von einem Auto erfasst, ein Luxusschlitten, der mit überhöhter Geschwindigkeit auf sie zurast – und dann ist der Wagen auch schon wieder weg. Es gibt nur einen Zeugen, der zwei Personen im Tatfahrzeug gesehen haben will. Die schwer verletzte Frau, Maria Hofer, eine Krankenpflegerin (Ursula Strauss), fällt ins Koma und leidet nach dem Erwachen unter retrograder Amnesie: Alles vor dem Unfall ist aus ihrer Erinnerung gelöscht, ihr ganzes Leben mit ihrem Mann Bruno (Harald Krassnitzer) und ihren beiden Kindern. Die Ehe muss sich in einer Krise befunden haben. Jedenfalls war der Zeuge des Unfalls, Lukas Horvath (Philipp Hochmair), Dirigent der Staatsoper, seit zwei Monaten Marias Geliebter. Tatverdächtig ist der millionenschwere Baumogul Toni Lorant (Nicholas Ofczarek), dessen Frau (Jasmin Gerat) ungeschickt versucht, die Tat auf sich zu nehmen. Obwohl Bruno Hofer, seines Zeichens Staatsanwalt, von seinem befreundeten Kripo-Kollegen, Freddy Turek (Dominik Warta), zurückgepfiffen wird, beginnt der Ehemann selbst zu recherchieren. Als er herausfindet, weshalb Horvath am Unfallort war, überschlagen sich die Ereignisse…
Foto: ZDF / Oliver Roth
Der Krimiplot ist nur das vordergründige Spielfeld von Lars Becker Fernsehfilm „Meine fremde Frau“ (ZDF). Tiefgründiger ist das Drama der verunglückten, in einer unbefriedigenden Ehe steckenden Frau und die Geschichte der zweiten Chance, die das Ehepaar bekommt. Der Unfall sorgt für eine Art „Bewusstseinsschub“, anfangs mehr beim Ehemann als bei seiner Frau, die erst einmal mit sich selbst und ihrem vorübergehenden Verlust ihrer Identität zu kämpfen hat. Harald Krassnitzers Bruno fährt wie die Story zweigleisig: Einerseits möchte er als Staatsanwalt, dass der Verantwortliche für den Unfall zur Rechenschaft gezogen wird, andererseits erkennt er als Ehemann die Chance für einen Neuanfang der Beziehung und möchte sie unbedingt nutzen. „Auch Bruno wacht auf: ‚Was habe ich da die ganze Zeit eigentlich gemacht?’, fragt er sich plötzlich“, so Krassnitzer. Das gemeinsame Suchen nach der Vergangenheit, nach schönen Momenten ihrer Liebe, das Durchblättern der Fotoalben, das erfolglos bleibt, dahinter stecke kein Mitleid, das sei völlig aufrichtig, interpretiert der Schauspieler seine Rolle. Und so spielt er es auch: Wirkt seine Figur anfangs noch straight, dringlich, ein Mann der Tat, wird er zwischenzeitlich zu Hause zum verständnisvollen Gatten, der sich noch mal in seine Frau verliebt, und auch sie, für die ihre Ehe noch immer ein schwarzes Loch ist, entwickelt zunehmend Gefühle für ihn.
Beziehungsgespräch: Ehrlichkeit ist ein guter Anfang
Sie: „Wer gefällt dir besser, die alte oder die neue Maria?“
Er: „Beide.“
Sie: „Das ist eine Ausrede. Komm’, sag schon.“
Er: „Dann nehm’ ich die neue.“
Sie: „Und warum?“
Er: „Weil das alte Leben langweilig war. Du hast dich für mich nicht interessiert, ich hab mich für dich nicht interessiert.“
Sie: „War das so?“
Er: „Ja, das war so. Eigentlich war unsere Beziehung am Ende.“
Auch vergibt der Ehemann seiner Frau ihre Affäre, wohl wissend, dass er einen Großteil der Schuld dafür mitträgt. Trotz Häutung kann er seine Staatsanwalt-Mentalität aber nicht abstreifen, was der Geschichte – das ist Interpretationssache – eine gewisse tragische Ironie gibt. Da interessieren die Täter, der Mann, der Fahrerflucht begangen hat (und den der Zuschauer längst kennt) und der, der ihm die Frau wegnehmen wollte und dafür eine kräftige Abreibung bekommt, dann wieder mal mehr als das Opfer, die eigene Ehefrau. Da wird die Zukunft, die Rettung der Beziehung, wichtiger als die Gegenwart, als der wache Blick auf die Frau, die gerade noch halbtot auf der Intensivstation lag. Die Gesundung als „normal“ anzusehen, spiegelt, wenn man so will, ein Stück weit die letzten Ehejahre der Hofers, in denen die Ehe zum unhinterfragten Normalzustand, zur Gewohnheit wurde (da fragte Bruno natürlich auch nicht nach den Bedürfnissen seiner Frau). Hätte er doch die Augen weiter aufgemacht! Auch dafür soll nun der Täter büßen. Im Gegensatz zum Kommissar, der im Hintergrund unaufgeregt seine Ermittlungen führt, sieht der Staatsanwalt plötzlich rot.
Foto: ZDF / Oliver Roth
Die Qualität dieses den Zuschauer fast unmerklich packenden, aber leise und unaufgeregten Dramas ist die clevere Konstruktion der Geschichte und ihrer Figuren, deren wechselnde Koalitionen der Handlung immer wieder dramatische Wendungen geben, die zwar häufig einigermaßen überraschend eintreten, aber in der Logik der Figurenkonstellation bereits angelegt sind. Daraus entsteht die intelligente Verzahnung von Drama und Krimi, die einem eher unspektakulär präsentiert wird; dafür steht sinnbildlich der Kommissar, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. An diesen Unscheinbaren muss man sich ebenso gewöhnen wie an eine Erzählung und vor allem einen Erzählton, der gerade für den „Nachtschicht“-Macher ungewöhnlich, ja anfangs sogar etwas unentschlossen wirkt, weil man nicht richtig weiß, welches Genre Lars Becker erzählen will. Spätestens wenn man erkennt (und akzeptiert), dass es in „Meine fremde Frau“, wie es der Titel andeutet, weder um (film)ästhetische oder dramaturgische Raffinesse noch im Wesentlichen um das Verbrechen selbst geht, sondern dass die Genre-Konventionen nur Mittel zum Zweck sind, die Beziehungsgeschichte spannend auf den Weg zu bringen, ist man als Zuschauer auf der richtigen Fährte. Da muss einen dann auch nicht mehr die belanglos konventionell eine emotionale Grundstimmung erzeugende Musik groß stören. Und wenn Ursula Strauss aus dem Koma erwacht und den bis dato überzeugend agierenden Harald Krassnitzer „unterstützt“, hat der Film ohnehin gewonnen, aber auch die Figur des Gatten. Litt in der Exposition die Glaubwürdigkeit des Staatsanwalts noch etwas unter seiner mangelnden Allgemeinbildung (das Phänomen „retrograde Amnesie“ ist wohl völlig an ihm vorbeigegangen), kommt er nun emotional in die Puschen.
Sicherlich ebnet die Wendung der Geschichte ins Psychologisch-Private den entscheidenden Qualitätssprung des Films. Es ist das langsame Erwachen der weiblichen Hauptfigur aus dem Koma, die zaghafte Annäherung zweier Menschen, die sich herzlich fremd sind. Gefühlt beginnt der Film mit dem ersten Augenaufschlag der komatösen Krankenpflegerin. Was folgt ist physisch wie psychisch eine darstellerische Glanzleistung. Strauss veredelt jeden Film, ob leichte Komödie („Die Abstauber“), gediegenes Suspense-Bergdrama („Tod in den Bergen“) oder düsteres Krimidrama („Spuren des Bösen – Racheengel“). In „Meine fremde Frau“ ist ihre Leistung ungleich größer. Die zahlreichen Phasen der körperlichen wie seelischen Regenerierung fordern immer wieder eine neue Persönlichkeit von ihr: Verstört begegnet die mit Verbänden übersäte Frau ihrer Familie das erste Mal: „Wer sind Sie?“, fragt sie und verweigert die Berührung. Später fasst sie zwar Vertrauen, blickt aber noch immer wie durch eine Milchglasscheibe, als ob sie fragen wollte: Ist das tatsächlich mein Leben? Meine Familie? Mit der Zeit glaubt sie es. Aber kann sie auch jenem gut aussehenden Mann glauben, der lächelnd behauptet, er sei ihr Geliebter (gewesen)?! Das Nichts macht Angst, verunsichert, irritiert, bereitet Schmerz. Für all diese archetypischen Zustände findet Strauss den adäquaten Ausdruck, fein nuanciert sie ihren Tunnelblick. Zuhause, wo ihre Figur anfangs noch apathisch („Das ist ein schönes Haus“) wirkt, arbeitet sie an sich weiter, bis erste Erinnerungsfetzen auftauchen. Strauss’ Blick öffnet sich und ihre Figur bekommt auch schon mal ein Lächeln hin. Allein nur um der Entwicklung dieser Frau zu folgen, lohnt es sich, diesen Film anzuschauen. Ein Film, mit dem Ursula Strauss ihre Ausnahmestellung im österreichischen Fernsehen unterstreicht. Aber auch hierzulande fallen einem nur zwei, drei Gesichter ihrer Generation ein, die ihr das Wasser reichen können. (Text-Stand: 15.1.2016)