„Sie rennt und rennt – und irgendwann denkt sie: Ich renne jetzt weiter bis in den Tod“, so interpretiert die Anna Maria Mühe den Beginn des Pubertätsdramas „Meine böse Freundin“. Es ist ein nicht geplanter Selbstmordversuch, den ihre Ellen unternimmt. Auch ihre so abgeklärt und selbstsicher wirkende neue Freundin Isa, die nach dem Joggingvorfall seelische Aufbauarbeit leistet, hat ihr Leben nicht im Griff. Für sie steckt hinter der Freundschaft der pubertäre Wunsch, sich auszuprobieren. „Isa will testen, wie weit sie bei Ellen gehen kann, wie viel Macht sie wirklich über Ellen hat“, bringt es Alice Dwyer auf den Punkt.
Drehbuchautorin Hannah Hollinger und Maris Pfeiffer erzählen von zwei jungen Frauen, die sich auf eine gefährliche Abhängigkeit einlassen. „Man weiß nie, was als nächstes passiert – das hat in seiner Anlage fast etwas von einem Thriller“, findet Pfeiffer. Der Film ist auch deshalb so spannend, weil er bis zum Schluss viele Fragen offen lässt. Trotz des Titels sollte der Zuschauer aber nicht jenen Horror erwarten, der sich aus einer kranken Seele speist. Eine deutsche Teenager-Variante des Genre-Klassikers „Weiblich, ledig, jung sucht …“ ist dieser Fernsehfilm nicht. Dafür ist die Autorin viel zu sehr an den psychologischen Problemen auf dem Weg ins Erwachsenwerden interessiert. Es ist die Suche nach Halt und die Suche nach Identität, die die beiden Freundinnen zu ihrem seltsamen Handeln antreibt.
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In „Meine böse Freundin“ wird die dunkle Seite von Busenfreundschaften ausgelotet. Sie kann wie geprägt sein von Machtgelüsten und einer manischen Suche nach Bestätigung auf der einen und von allgemeiner Unsicherheit und großer emotionaler Bedürftigkeit auf der anderen Seite. Die Dramaturgie macht deutlich, dass beide einander brauchen: Ellen braucht Isa, um ihre Unsicherheit zu überwinden und um sich von ihren Eltern abzunabeln – aber auch Isa braucht Ellen. „Ich wollte es nie so sehen, dass meine Figur Ellen nur ausnutzt“, betont Dwyer. „Selbst das Ausnutzen, ihre Spiele sind Teil ihres Verlangens, ihr Leben zu meistern.“
Auch Hollinger möchte Isa nicht als die „Böse“ abstempeln. Mit ihr könne sie sich sogar mehr identifizieren als mit dem behüteten Töchterchen aus gutem Hause. Die Geschichte zeigt, wie sie zu dem geworden ist, was sie ist: vaterlos aufgewachsen, die Mutter ein Pflegefall, immer knapp bei Kasse. Alles muss sie sich schwer erarbeiten. In der Schule muss sie gut sein, denn sie hat keinen Arzt zum Vater und keine Starpsychologin zur Mutter. Das Einzige, mit dem sie ohne großen Aufwand ihr Selbstwertgefühl aufpeppen kann, sind ihr Aussehen und ihre körperlichen Reize. Von diesen Reizen lässt sich sogar ein Lehrer überzeugen.
Ähnlich wie die erste gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Hollinger und Pfeiffer, „Liebe Amelie“, eine präzise Studie über einen manisch-depressiven Teenager, erlangt die WDR-Produktion „Meine böse Freundin“ ihre große Stimmigkeit durch das genaue Ausloten aller Beziehungen. Jede Nebenfigur, allen voran Barbara Auer als Ellens Mutter, hat eine eigene Biografie und wird als Figur ernst genommen. Das wiederum kommt auch der Glaubwürdigkeit der beiden von Mühe und Dwyer sehr überzeugend gespielten „Heldinnen“ zugute. Für Maris Pfeiffer ist das der typische Zug von Hannah Hollinger: „Sie erzählt aus der Psychologie der Figuren heraus, ohne ‚psychologisch’ zu sein.“ (Text-Stand: 4.7.2007)
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