Die Anwälte kamen und gingen, der Mann mit der Lederjacke und der Reibeisenstimme aber blieb: Mit Ausnahme von Götz George und „Schimanski“ ist in der Geschichte des deutschen Fernsehens wohl kaum ein Schauspieler so sehr mit einer Figur und einem Kleidungsstück identifiziert worden wie Claus Theo Gärtner als Privatdetektiv Josef Matula. Ab 1981 hat er den Frankfurter Schnüffler 32 Jahre und 300 Folgen lang in der Serie „Ein Fall für zwei“ verkörpert. 2013 war Schluss; mit der Neuauflage des ZDF hat Gärtner nichts zu tun.
Nun hat der Sender die Jacke wieder aus dem Fundus geholt und gleich für mehrere Überraschungen gesorgt. Schon der Titel, „Matula“, verdeutlicht, dass der neunzigminütige Film ein Solo ist, selbst wenn der Detektiv wie einst von einem Anwalt beauftragt wird; tatsächlich verfolgt der vermeintliche Jurist Claas Jessen (Götz Schubert) ganz andere Interessen. Zunächst jedoch wird Matula wie eine klassische Kinofigur eingeführt: Der frühere Privatdetektiv arbeitet heute in einem Kaufhaus, beobachtet einen Ladendieb und bietet dem Mann an, dass er abhauen kann, wenn er die Ware rausrückt; der revanchiert sich mit einem Kopfstoß. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd quer durchs Kaufhaus, der wesentlich jüngere Dieb verhöhnt ihn, als Matula plötzlich eine Pistole in der Hand hat. Als er sich zufällig im Spiegel sieht, erschreckt er sich selbst über den Anblick, der sich ihm bietet; auch wenn es sich bei der Waffe bloß um eine täuschend echte Pistole aus der Spielzeugabteilung handelt.
Schon dieser flott geschnittene Auftakt macht Lust auf mehr. Der Großstadtjazz im Miles-Davis-Stil verleiht den anschließenden Bildern zudem eine Melancholie, die wunderbar zur Rolle des gealterten Detektivs passt. Matula lebt zwar mittlerweile in einem Wohnmobil, aber er ist nicht etwa heruntergekommen; das unterscheidet ihn dann doch von den klassischen Hollywoodfiguren dieses Genres. Außerdem bleibt er nicht lange allein: Ein zugelaufener Straßenhund, den er am Ende in Reminiszenz an seinen ersten Partner Dr. Renz nennen wird, sorgt für amüsante Zwischenspiele. Jetzt hat Matula einen, mit dem er auch mal reden kann.
Die Rahmenbedingungen stimmen also; bleibt noch die Frage, ob sich die Geschichte dieses Comebacks als würdig erweist und ob sie über neunzig Minuten trägt. Auch dieser leise Zweifel verfliegt rasch: Der Mann, der sich Jessen nennt, schickt Matula nach Cuxhaven, weil er sich Sorgen um eine alte Freundin macht. Die Frau lebt in einer Seniorenresidenz und fühlt sich verfolgt. Als der Detektiv dort eintrifft, ist die alte Dame tot. Der Leiter der Einrichtung geht von einem Unfall aus, doch Matulas Gespür sagt ihm, dass mehr dahinter steckt: Das Blut ist längst getrocknet, aber zwei gespülte Gläser sind noch warm; und Tote spülen nicht. Der letzte Anruf der Frau galt einem Mann, der sich als ihr Nachfolger entpuppt: Der Detektiv kommt gerade rechtzeitig, um Zeuge zu werden, wie Rolf Lech (Thomas Sarbacher), wissenschaftlicher Leiter eines Instituts für Meeres- und Küstenökologie, ein Gutachten zur Weservertiefung vorträgt; angeblich gibt es keinerlei Bedenken. Lechs Mitarbeiterin Dahus (Ulrike Krumbiegel) ist schockiert, ihre Forschungen sind zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen, und Matula erinnert sich, bei der Toten entsprechendes Zahlenmaterial gesehen zu haben. Musste die Frau deshalb sterben? Der Fall nimmt eine unerwartete Wendung, als sich herausstellt, dass die hübsche Helen (Sinja Dieks), die Matula im Institut getroffen hat, keineswegs Lechs Doktorandin ist, wie sie behauptet, sondern eine Frau, die sich selbst und auch den Detektiv schließlich in Lebensgefahr bringt. Um den Fall zu klären, muss Matula herausfinden, was sich vor 25 Jahren ereignet hat, als sich Lech, Helens Mutter und ein unbekannter Dritter in einer einsamen Forschungsstation aufgehalten haben.
Das Drehbuch schrieb Ben Braeunlich (zuletzt „Professor T.“), der mit zwei „Tatort“-Beiträgen aus Bremen („Echolot“) und Dortmund („Schwerelos“) auf sich aufmerksam gemacht hat und den Krimi immer wieder um heitere Momente bereichert, für die meistens der Hund zuständig ist. Ein bisschen Romantik darf auch sein, weil Forscherin Dahus offenbar auf reife Männer steht. Trotzdem begehen Braeunlich und Näter nicht den Fehler, Matula übertrieben unrealistisch darstellen zu lassen; immerhin wird Gärtner wenige Tage nach der Ausstrahlung des Films 74. Dafür macht er einen erstaunlich fitten Eindruck. Die Empörung des Detektivs, als ihn eine junge Angestellte der Seniorenresidenz fragt, ob ein Platz im Heim nicht auch was für ihn wäre, ist daher völlig angemessen; er revanchiert sich mit einem langen Blick auf ihre schwingenden Hüften. Wie in alten Zeiten hat es sich Gärtner auch nicht nehmen lassen, die Actionszenen selbst zu spielen. Nur einmal brauchte er ein Double: Als sich Matula in einem Container versteckt und der Behälter von einem Kran hochgehoben wird, kann sich der Detektiv gerade noch in luftiger Höhe an der Tür festhalten; das war dann wohl doch zu heikel. Weitere Zugeständnisse ans Alter sind dagegen amüsanter Natur: Matula hört Kassettenmusik und ärgert sich über einen Bandsalat.
Ein Manko hat der Film aber doch, und das ist das Countdown-Prinzip, an dem sich derzeit mindestens jeder zweite Krimi orientiert: Die Geschichte beginnt mit einer für den Helden bedrohlichen Szene und blendet dann zurück. Dieses dramaturgische Stilmittel ist mittlerweile derart abgenutzt, dass es fast an Einfallslosigkeit grenzt. Außerdem könnte man sich fragen, ob der Schurke der Geschichte tatsächlich über mehrere Leichen gehen würde, um seine Karriere zu retten. Angesichts des gelungenen Comebacks sind das jedoch Kleinigkeiten. Es gibt ohnehin viel zu wenig Detektive im deutschen Fernsehen; von Action-Helden über siebzig ganz zu schweigen. Über etwaige Fortsetzungen denkt man beim ZDF noch nach.