Die Leiche eines erfolgreichen Finanzberaters und engagierten Förderers eines Kölner Rudervereins treibt im Rhein. Der Mann hinterlässt eine Patchwork-Familie, Tochter Sofie (Maja Celine Probst), Ehefrau Jenny (Milena Dreißig) und deren Tochter Hanna (Elisa Schlott). Marie Brand (Mareile Millowitsch) und ihr Kollege Jürgen Simmel (Hinnerk Schönemann) vermuten dahinter einen Mord – und ermitteln. Sie stoßen auf aufgebrachte Kunden des Opfers, die nach Spekulationsgeschäften um ihre Ersparnisse gebracht wurden. Dazu gehören der Hausmeister des Klubs (Ronald Kukulies) und ein beliebter Wettermann (Thomas Loibl). Doch beide haben ein Alibi. Je tiefer Kommissarin Brand in den Fall eindringt, desto klarer wird ihr, dass Brehms Stieftochter Hanna eine sehr undurchsichtige Rolle spielt. Kollege Simmel plagen derweil private Probleme, er hat schon wieder mal die Liebe seines Lebens gefunden, doch deren Tochter macht es ihm alles andere als leicht.
Kleines Jubiläum für Marie Brand: Die Kommissarin aus Köln löst ihren 15. Fall im Zweiten. Und darf dies nun zum ersten Mal am Samstag Abend tun. Es war der leichte Ton der Reihe, der das ZDF bisher dazu bewog, die „Marie Brand“-Krimis am Mittwoch oder Donnerstag auszustrahlen. Jetzt also der Sprung auf den Samstag. Da hofft man auf dem Lerchenberg, wird Marie Brand ihre gut sechs Millionen Zuschauer, die sie bei den einzelnen Folgen bisher hatte, behalten oder gar noch neue Krimi-Fans hinzugewinnen. Zum Sendeplatzwechsel hat man zwar den lockeren Ton zwischen den beiden Ermittlern durchaus beibehalten, auch wenn er diesmal ein wenig gereizter ist. Aber man setzt in „Marie Brand und der schöne Schein“ nicht so sehr auf Witz, sondern konfrontiert die Ermittler mit einem eher düsteren Fall.
Foto: ZDF / Guido Engels
Eher selten sind in dieser ernsthafteren Folge Dialoge wie dieser:
Marie Brand (hat ein Stück Erde in der Hand): „Die Erde ist feucht, wahrscheinlich aus dem Wald… Hier hat es seit Tagen nicht geregnet. Eine Motorradspur… Die Kollegen sollen einen Abdruck aufnehmen.“
Simmel: „Sie machen das besser als die Apachen, Frau Brand.“
Brand: „Jahrelange Erfahrung… aber am Ende bin ich immer am Marterpfahl gelandet … oder im Tor.“
Simmel: „Ich war immer der Pfosten …oder der Skalp.“
Parallele Erzählweise ist angesagt bei den beiden Drehbuchautoren Christian Schiller und Marianne Wendt. Während Marie im Verlauf des Krimis immer mehr auf ein Duell mit der jungen Hanna zusteuert, leidet Simmel darunter, dass die Tochter seiner neuen Freundin ihn eher abweisend behandelt. Um ihr Wohlwollen als neuer „Dad“ zu bekommen, holt sich der Cop Tipps und setzt sie – wie den Kauf von „Lady Gaga“-Karten – auch brav um. Klar ist die private Story auf ein Minimum reduziert, im Mittelpunkt steht eine auf den ersten Blick konventionelle Krimigeschichte: Mord, verschiedene Verdächtige, zunehmende Verdichtung auf eine Person, alles mündet in ein Finale. Doch die Figur der Hanna, gespielt von Elisa Schlott, ist so stark und raffiniert angelegt, dass der Fall tiefer geht als das übliche Muster.
Mehr und mehr sucht diese Hanna die Nähe von Marie Brand, sucht Schutz bei ihr, bittet sie um Hilfe, erschleicht sich ihr Vertrauen. Und man ahnt nach und nach, dass das alles Teil eines perfiden Plans ist. Sie deutet einen Missbrauch durch ihren Stiefvater an, benutzt ihren Freund Luca für eine Falschaussage, spielt mit der Kommissarin. Elisa Schlott meistert diese schwierige Rolle einer jungen Frau mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung exzellent. Gerade Figuren in psychischen Grenzbereichen können durch Overacting leicht an Glaubwürdigkeit verlieren. Nicht so bei Schlott: Reduziert in Gesten und Mimik, ruhig im Spiel, nachvollziehbar in den emotionalen Ausbrüchen und verschlagen im Blick – diese Hanna fesselt den Zuschauer den kompletten Film hindurch. Pech für die Kollegen, dass durch diese prägnante Rolle der Rest des Ensembles zu Nebenfiguren im Duell Hanna/Brand reduziert ist.
Foto: ZDF / Guido Engels
Das Raffinierte an diesem Fall ist, dass Marie Brand, die aufgrund der Figurenzeichnung über eine Hochbegabung und ausgeprägte selektive Wahrnehmung verfügt, die sie befähigt, Situationen blitzschnell zu erkennen und zu analysieren, dafür aber Defizite im empathischen Bereich hat. Hier trifft sie aber auf eine junge Frau, die ebenfalls hochbegabt ist und starken emotionalen Wechseln ausgesetzt ist. So entsteht ein Duell auf Augenhöhe, ein Spiel mit Gefühlen und dem Wunsch, alles zu kontrollieren. Ein psychologisch geschickter Schachzug, den Regisseur Jörg Lühdorf auch dramaturgisch sehr ansprechend umsetzt. Marie lässt eine für sie ungewöhnliche Nähe zu dem Mädchen zu. Sie erkennt deren Hochbegabung und die damit einhergehende Unterforderung. Die Kommissarin ist berührt von ihr, fühlt sich an sich selbst erinnert und macht dadurch Fehler. Eine neue Seite der Ermittlerin, mal nicht die toughe Frau, auch wenn sie am Ende – das darf verraten werden, weil es weniger um das Ob als das Wie geht – in einem klug gebauten Finale das Spiel der Psychopathin durchschaut.