„Pauls Weihnachtswunsch“ ist der Auftakt der neuen ZDF-Weihnachtsreihe „Magische Momente“. Die Filme, heißt es, sollen „mit einem Augenzwinkern“ zeigen, dass Wunder geschehen können. Der neunjährige Paul findet es allerdings alles andere als amüsant, was ihm wenige Wochen vor Weihnachten widerfährt: Seine Eltern Maya (Petra Schmidt-Schaller) und Matz (Matthias Koeberlin) haben sich getrennt. Mutter und Sohn müssen aus dem luxuriösen Eigenheim ausziehen und bilden nun mit Mayas neuem Freund Julius (Axel Stein) und seiner Teenager-Tochter Lilly (Nele Trebs) eine neue Familie. Aber Paul ist untröstlich; ständig bittet er den lieben Gott, dass alles wieder so sein möge wie vorher. Seine Laune bessert sich schlagartig, als er durch Zufall entdeckt, dass er plötzlich durch Wände gehen kann. Die Gabe hat er offenbar Leonidas zu verdanken: Maya ist Künstlerin und hat einen mannshohen Engel erschaffen, der Pauls Gebete erhört hat. Zunächst nutzt der Junge die Fähigkeit, um der Patchwork-Familie und den Nachbarn allerlei Streiche zu spielen, aber dann wird ihm klar, dass er mit seiner neuen Gabe vielleicht auch Ehetherapeut spielen kann.
Das „Zweite“ zeigt die Tragikomödie als vorweihnachtliches Familienfernsehen am Nachmittag, aber der Film würde auch ins Abendprogramm passen. Die Handlung wird zwar aus Sicht der jungen Hauptfigur geschildert, die zudem als Erzähler fungiert, aber „Pauls Weihnachtswunsch“ ist keiner jener Kinderfilme, in denen die Erwachsenen als überzeichnete Nebenfiguren fungieren. Für viele junge Zuschauer ist die Geschichte ohnehin bitterer Ernst, weshalb Kinder in einer ähnlichen Situation den Film nicht allein anschauen sollten. Davon abgesehen werden Groß und Klein viel Freude vor allem an Pauls Unfug haben. Seine Lieblingsopfer sind Stiefschwester Lilly, in deren Wimperntusche er Chilipulver mischt, und Hausmeister Engelbrecht, der Paul auch schon mal die Ohren langzieht. Jörg Schüttauf widersteht jedoch der Versuchung, den Mann als Witzfigur zu verkörpern. Wenn Engelbrecht verwirrt vor seiner Garderobe steht, weil Paul wieder mal seinen Schlüsselbund versteckt hat, erweckt der Hausmeister mit seiner lustig verstrubbelten Frisur sogar ein bisschen Mitleid. Trotzdem ist Engelbrecht natürlich Teil der heiteren Ebene des Films, ebenso wie die alte Elfriede (Annekathrin Bürger), der Paul versehentlich in der Badewanne Gesellschaft leistet.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Die weiteren handelnden Personen nimmt das Drehbuch dagegen sehr ernst. Gerade Matz verdeutlicht mit seinen sarkastischen Dialogen, dass „Pauls Weihnachtswunsch“ kein Kinderfilm ist, denn mit Ironie kann die Zielgruppe in der Regel nichts anfangen. Zweitvater Julius wiederum ist in seinem nimmermüden Bemühen, Paul das neue Zuhause und damit auch sein neues Leben so schön wie möglich zu machen, eine rührende Figur; Axel Stein spielt ja ohnehin schon lange keine reinen Comedy-Charaktere mehr. Die differenzierteste Rolle hat jedoch Petra Schmidt-Schaller, denn Maya ist hin und hergerissen, wenn auch nicht zwischen zwei Männern, denn die Beziehung zu dem mit seiner Arbeit verheirateten Matz ist endgültig Vergangenheit. Natürlich möchte sie Paul nicht leiden sehen, aber ebenso wenig will sie ihm ihr Glück mit Julius opfern, zumal sie ein Baby erwartet; die Aussicht auf einen kleinen Nebenbuhler hebt Pauls Laune auch nicht gerade. Seine Streiche haben zudem zur Folge, dass das Klima zunehmend gereizter wird, zumal Lilly überzeugt ist, dass er hinter den unerklärlichen Ereignissen steckt, selbst wenn ihr Zimmer stets verschlossen ist.
Für den Anspruch des Films stehen nicht zuletzt die beiden wichtigsten kreativen Kräfte: Silke Zertz, die sicherlich den Heinz-Rühmann-Klassiker „Ein Mann geht durch die Wand“ (1959) kennt, ist für ihr Drehbuch zu dem Sat-1-Wendefilm „Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen“ 2009 mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet worden und steht auch dank Produktionen wie dem deutsch-deutschen Grenzland-Mehrteiler „Tannbach“ (Staffel 2) oder dem Ehedrama „Das Alter der Erde“ vorwiegend für Qualitätsfernsehen. Das gilt auch für Grimme-Preisträgerin Vivian Naefe („Einer geht noch“, 2001), selbst wenn ihre Filmografie mittlerweile viel leichte Unterhaltung enthält, darunter einige Beiträge für die ZDF-„Herzkino“-Reihe „Chaos-Queens“ oder die amüsanten ersten beiden Teile von Andrea Sawatzkis der Sippen-Saga über die Familie Bundschuh („Tief durchatmen, die Familie kommt“, 2015; „Von Erholung war nie die Rede“, 2016). Dass Naefe auch gut mit Kindern kann, hat sie mit der „Wilde Hühner“-Trilogie“ bewiesen. Bei „Pauls Weihnachtswunsch“ hat allerdings ausgerechnet der junge Hauptdarsteller einen gewissen Anteil daran, dass sich die Dramödie nicht wesentlich vom durchschnittlichen Weihnachtsfreitagsfilm der ARD-Tochter Degeto unterscheidet.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Dabei war Jeremy Miliker im herausragenden Debütdrama „Die Beste aller Welten“ des Österreichers Adrian Goigingers (kürzlich im SWR) phänomenal: ein Naturtalent, das sich die Rolle als Kind einer drogensüchtigen Salzburger Mutter regelrecht einverleibt hat. Vielleicht hatte seine selbst in den schwierigen emotionalen Szenen jederzeit überzeugende Leistung auch damit zu tun, dass er reden konnte, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. In dem ZDF-Film ist es ohnehin irritierend, dass der Berliner Paul eindeutig wie ein Österreicher klingt. Größeres Manko ist jedoch der Umstand, dass Naefe den Jungen wie ein typisches Filmkind inszeniert. Jeremy scheint zudem etwas mit der Rolle zu fremdeln. In „Die Beste aller Welten“ hatte er gerade in den wichtigen Szenen nur eine Spielpartnerin; die Vertrautheit zwischen ihm und Verena Altenberger ließ vermuten, dass Goiginger schon vor den Dreharbeiten eine Nähe zwischen den beiden hergestellt hat. In „Pauls Weihnachtswunsch“ ist Jeremy jedoch Teil eines Ensembles; die fremde Stadt und die „fremde“ Sprache mögen ein Übriges getan haben.
Immerhin sind die Filmtricks umso überzeugender. Die Bilder (Kamera: Peter Döttling) sorgen mit ihren warmen Farben für eine behagliche Atmosphäre, die Schauspieler sind so gut, wie man das von ihnen erwarten darf, wobei Nele Trebs auffällig gut mit den prominenten Kolleginnen und Kollegen mithält. Sympathisch sind auch die beiden Botschaften: Nur weil etwas neu sei, erklärt Maya ihrem Sohn, sei es nicht automatisch schlecht, sondern erst mal nur neu. Für die zweite Erkenntnis sorgt Kofi (Jerry Hoffmann), der junge Besitzer des Ladens im Erdgeschoss, in dessen Markise Paul plumpst, als er das erste Mal durch die Wand geht. Sie erinnert an die Lektion, die der junge Spider-Man lernen musste, bevor er zum Superhelden reifte („Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“): „Magie muss immer für das Gute eingesetzt werden, sonst wendet sie sich gegen dich“. Ähnlich wie Spider-Man tut Paul zunächst, als sei seine Gabe bloß ein großer Spaß, aber schließlich sorgt er selbstlos dafür, dass am Ende alles gut wird; wenn auch nicht so, wie er sich das gewünscht hat.