Bei den vier Mittzwanzigern Zoe (Malaya Stern Takeda), Ben (Dimitri Abold), Nele (Magdalena Laubisch) und Dennis (Anselm Bresgott) dreht sich aktuell alles nur um Liebe, Sex, ungute Gefühle – und um diese verdammten Verhaltensmuster, die man einfach nicht loswird. Außer der sexsüchtigen Fotografin Zoe, die zu einer Therapie verdonnert wurde, treffen sich die anderen seit längerem wöchentlich in einer Selbsthilfegruppe. In einer Turnhalle. Die „Sitzungen“, die oft entspannt im Liegen stattfinden, werden geleitet von Psychotherapeutin Anja (Annette Frier). Die redet Tacheles, hat klare „Entzugsregeln“ und setzt auf unkonventionelle Methoden. Viel gebracht hat das alles bisher nicht. Praktikant Dennis ist bereits ein Jahr dabei und hat es immer noch nicht geschafft, sich von seiner dominanten Freundin (Dana Herfurth) zu trennen. Barkeeper Ben fickt weiterhin alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, und Nele projiziert noch immer ihre romantischen Phantasien auf die falschen Männer. Zoe ist ob dieser miesen Erfolgsquote skeptisch und auf Sätze wie „Du bist nicht allein“ oder „Jeder ist willkommen“ reagiert sie allergisch. Ihr Credo lautet dagegen: „Ich liebe meine Freiheit, und ich liebe es zu ficken.“ Mit Gefühlen hat sie es nicht so. Sie lässt keine(n) an sich ran, hält es allerdings mit sich selbst auch nicht gut aus
Foto: Prime Video / Gordon A. Timpen
Psychologisch ist das Prinzip der achtteiligen Amazon-Serie „Love Addicts“ simpel: Mit Nähe und Gemeinschaftssinn könnte es dem Quartett gelingen, die eigenen Probleme leichter und lustvoller zu bewältigen. Jeder ist ein bisschen anders, aber alle, das Muttersöhnchen, der Frauenflachleger, die Romantikerin und die Sexsüchtige, sitzen im selben Boot – und das schaukelt mächtig. Auch dramaturgisch ist der Fall klar: Wer vielen etwas bringt wird manchem etwas bringen. So funktionieren Freundschafts- und Gruppenserien. Kommt Therapie ins Spiel muss es mindestens eine Anti-Figur geben, die den Wunsch nach Heilung verleugnet. Nach zwei Folgen aber haben sich die Vier zusammengerauft. Die zwei Frauen ziehen sogar zusammen. Die Frage, ob sie das mit der Regel, „Sex in der Gruppe ist nicht erlaubt“, durchhalten, bleibt offen. Am Ende von Folge vier schauen sich schon mal zwei Paare verdächtig tief in die Augen – und sie verstehen möglicherweise „Selbsthilfegruppe“ anders als ihre Therapeutin. Mit der dritten Folge, in der eine Beerdigung mit Trauerfeier unangenehme Wahrheiten (eine Beziehung ohne weiblichen Orgasmus) öffentlich macht, schmerzvolle Lebenssituationen antriggert und ein Sex-Geheimnis in die Welt setzt, das die Gruppe künftig belasten könnte, kommt „Love Addicts“ jedenfalls langsam in Fahrt. Dass dennoch trotz der Charaktere, die einem auch dank der stimmigen Besetzung nach zwei Folgen ans Serienherz gewachsen sind, kein rechter Flow entsteht, könnte mit an der Rohfassung liegen, die den Journalisten zur Verfügung gestellt wurde. Und dass nur vier der acht Folgen gesichtet werden konnten, ist besonders kontraproduktiv für eine seriöse Kritik.
Foto: Prime Video / Gordon A. Timpen
Ob die Serie die Kurve kriegt, ob die Figuren weiterhin so aufgekratzt reden, wie man hierzulande glaubt, dass man in Comedys reden müsse, oder ob sich über den offenbar zunehmenden Tiefgang ihrer Charaktere auch die Sprache ändert, das lässt sich nach vier Folgen nicht sagen. Man hofft es, so wie man hofft, dass die zwischenzeitliche sterile Serien-Künstlichkeit mit ihren hermetisch wirkenden Indoor-Settings noch öfter durch echte Hamburger Luft ersetzt werden würde. Man atmet als Zuschauer regelrecht durch, wenn es mal auf die Straße geht. Da es anfangs nur Probleme, aber keine erkennbare physische Realität gibt (der die Probleme entspringen), fehlt den Charakteren Erdung und soziale Authentizität. Das hat den Nebeneffekt, dass die Figuren ausgedacht statt lebendig wirken. Der ersten Staffel der Schwulen-Serie „All you need“ (ARD) musste man denselben Vorwurf machen; bei Staffel 2 wurde der Look realistischer. Das ist ein altes Problem der deutschen Comedy oder Dramedy (mehr dazu in der Kritik zu „All you need“). Weniger grundsätzlich lässt sich die Frage beantworten, was besser funktioniert, eine Gruppen- oder Einzelheldin-Comedy. Haben in einer Gruppe alle Mitglieder nicht nur Probleme, sondern auch eine Persönlichkeit, und werden die dramatischen Möglichkeiten von Interaktion und Gruppendynamik genutzt, kann Großartiges entstehen („Friends“, „Sex and the City“, „Girls“, „Sex Education“). Seltener, aber keineswegs qualitativ schlechter sind Comedys, die eine („gestörte“) Figur im Zentrum haben und das auch formal deutlich machen: Die letzten Highlights dieses Subgenres waren die britische Ausnahme-Dramedy „Fleabag“ (amazon Prime) sowie hierzulande „Tilo Neumann und das Universum“ (RTL+) und zuletzt „Oh Hell“ (Magenta; aktuell Sky).
Foto: Prime Video / Gordon A. Timpen
Für deutsche Verhältnisse ist „Love Addicts“ trotz allem ansehnlich. Die Therapie-Minuten in der Turnhalle sind ein wiederkehrendes Ritual, das eine Revision des in der verrückten Dating- und Gender-Welt da draußen Erlebten ermöglicht. Man „labert“ nicht nur, man liegt zusammen rum auf Matten und Turngeräten, kommt sich platonisch körperlich näher und genießt trotz eigener emotionaler Tiefs das Zusammensein. Die Szenen gewinnen durch den Wechsel zwischen handfester Gesprächs- und sanfter Körpertherapie auch für den Zuschauer. Erzähldichte und Tempo der 30-Minüter sind nicht übermäßig hoch. Während in einer Comedy wie „Oh Hell“ die Egozentrik und Manie der Heldin die Filmsprache bestimmen, sorgen in der von Julia Drache („Die Drei von der Müllabfuhr“) und Tobias Rosen („Club Las Piranjas“, 2022) entwickelten Serie, die Arabella Bartsch („Deadlines“) und Janosch Chàvez-Kreft („Vierwändeplus“) kongenial in Szene gesetzt haben, häufig zwei bis drei parallel montierte Szenen für Abwechslung. Dramaturgisch ist das konventionell; dafür haben die Macher bei Szenen- und Kostümbild nicht gespart. Diese sinnlich-ästhetischen Reize haben die Autoren mit diversen Charakteren und Plädoyers für sexuelle Vielfalt angenehm beiläufig angereichert. Mit dem Spruch „Unsere Antwort auf ‚Sex Education‘“ hat man sich jedoch keinen Gefallen getan. Wer’s ernst nimmt, für den ist die Enttäuschung vorprogrammiert.