Dass eine Serie zwischen zwei Staffeln den Titel wechselt, gibt es auch nicht alle Tage. Die Änderung ist zwar marginal, aber markant: „Die letzte Spur“ heißt zur zweiten Staffel „Letzte Spur Berlin“. Der Hauptstadtcharakter prägt auch die Handlung der Auftaktfolge: Vermisst wird der designierte Vorsitzende einer Volkspartei. Der aufstrebende Politiker wird bereits als kommender Bundeskanzler gehandelt. Auch die Bildgestaltung setzt ganz auf Weltstadt: Regisseur Andreas Senn inszeniert Berlin als glitzernde Metropole.
Foto: ZDF / Daniela Incoronato
Ansonsten aber hat sich am bewährten Konzept nichts geändert. Der für die ZDF-Serie „KDD“ vielgelobte und Grimme-Preis-geehrte Autor Orkun Ertener hat mit “Die letzte Spur” 2012 eine angesichts Dutzender von Krimiserien erstaunliche Lücke geschlossen: Bis dahin hatten deutsche TV-Kommissare immer nur nach Mördern, nie aber nach Vermissten gesucht. Der herkömmliche Krimi beginnt mit einem Verbrechen und endet mit der Überführung des Täters, aber das macht die Tat ja nicht ungeschehen. „Die letzte Spur“ jedoch lebt von der Hoffnung, ein Leben retten zu können. Die Herausforderung für die Ermittler besteht darin, aus den vielen Bruchstücken einer Existenz ein Gesamtbild entstehen zu lassen; erst dann finden sie die Antwort auf die Frage, warum der Mensch verschwunden ist.
Die Rekonstruktion der letzten Stunden lässt die einzelnen Folgen zwangsläufig etwas schematisch erscheinen: Befragt werden alle maßgeblichen Personen aus dem Umfeld des Vermissten, allen voran Angehörige und Kollegen; deren Aussagen werden als Rückblende gezeigt. Der Reiz dabei resultiert nicht zuletzt aus jenem Prinzip, auf dem auch der japanische Klassiker „Rashomon“ (1950) von Akira Kurosawa basiert: Dank der Zeugen kann ein Ereignis aus mehreren Perspektiven beleuchtet werden. Erst die Summe der unterschiedlichen subjektiven Deutungen ergibt so etwas wie eine objektive Realität.
Foto: ZDF / Daniela Incoronato
Natürlich wird dieser Subtext in den einzelnen Folgen nicht immer wieder aufs Neue thematisiert; die entsprechenden Szenen sprechen ja auch für sich. In der ersten von fünf neuen Folgen (für den Herbst sind sieben weitere geplant) summieren sich die verschiedenen Einschätzungen zum facettenreichen Bild eines Politikers, der in der Verkörperung durch Roman Knizka verblüffende Ähnlichkeit mit Guido Westerwelle hat: Mark Stiller ist unmittelbar vor einer wichtigen Rede verschwunden. Allerdings konnte er überhaupt nur deshalb in die aussichtsreiche Position vorrücken, weil Parteichef Menz kurz zuvor über einen Sexskandal gestolpert ist. Da Radek (Hans-Werner Meyer) und sein Team (Jasmin Tabatabai, Susanne Bormann, Florian Panzner) von der Vermisstenstelle des Berliner LKA ein Gewaltverbrechen nicht ausschließen können, suchen sie Stillers Umfeld zunächst nach Feinden ab. Dabei werden sie, kein Wunder bei einem Politiker, rasch fündig. Gerade Menz, einst Stillers Mentor, ist nicht gut auf seinen potenziellen Nachfolger zu sprechen, zumal es Hinweise gibt, dass er Opfer einer Intrige geworden ist.
Senn, der einst für RTL Fernsehen von der Stange gemacht („GZSZ”) und sich mit Filmen wie „Das Zimmermädchen und der Millionär”, „Willkommen zuhause” oder „Verfolgt – Der kleine Zeuge” als Regisseur für unterschiedlichste Genres emfpohlen hat, holt erstaunlich viel aus dem Serienbudget. Er teilt sich die Regie der neuen Staffel mit Thomas Jahn, der in seinen Folgen auch die Kamera führt; die Dramaturgie oblag Sven S. Poser. Dank Bildgestaltung (Gunnar Fuss) und diverser Schauplatzwechsel sieht die Auftaktfolge aus wie ein Fernsehfilm. Die Zwischenspiele mit den Großstadtansichten im Zeitraffer prägten auch schon die Optik der ersten Staffel. Sie sind nicht nur modischer Schick und Ausgleich für die vielen Dialogszenen; die Serie verdankt ihnen auch ihre Dynamik.