Legal Affairs

Lavinia Wilson, Maryam Zaree, Niels Bormann, Chahoud, Bühling. „Suits“ auf Speed

Foto: Degeto / RBB / Kerstin Jacobsen
Foto Martina Kalweit

Mit Medienanwalt Christian Schertz im Beraterstab (und im Gastauftritt) widmet sich die achtteilige ARD-Miniserie „Legal Affairs“ (rbb, Degeto / UFA Fiction) der Justiz in Zeiten von Social Media, Shitstorm und Fake News. Chefin im Ring ist Star-Anwältin Leo Roth. Lavinia Wilson liefert in der Hauptrolle einen Parforce-Ritt. Eisenhart und bestens vernetzt ist sie Motor und Getriebene zugleich. Ein hohes Tempo bestimmt Dramaturgie und Taktung. In Folge 1 wirkt das noch etwas aufgeplustert. Wer es atemlos mag, sollte dabeibleiben. Niveau und Intensität der einzelnen Fälle variieren, der horizontale Erzählstrang über Roths private Verwicklungen in einen Korruptionsfall mit Mordfolge ist immer präsent. Filmische Mittel wie die nie zur Ruhe kommende Handkamera und der Einsatz von Unschärfen suggerieren flirrende Nervosität. Im Fahrwasser von US-Serien wie „Scandal“ und „Suits“ gewinnt „Legal Affairs“ durch aktuell-prägnante Fälle der deutschen Gerichtsbarkeit an eigenem Format. Eine fesselnde Serie, die mit Aha-Momenten die Macht der Manipulation vor Augen führt.

Neben dem in Ehren ergrauten Menschenkenner, ZDF-Staatsanwalt“ Bernd Reuther, kämpfen seit Jahren die Gutmenschen von „Die Kanzlei“ und das launige Doppel von „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ aktuell in der dritten Staffel im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm für unser Recht. Dass da Platz für Neues ist, haben die Produzenten von „Legal Affairs“ richtig erkannt. Also lädt jetzt (wie schon der Song im Vorspann verspricht) der Berliner Boulevard zum Tanz. An der Spree bewegt sich Medienanwältin Leo(nie) Roth siegessicher übers Parkett. Ihre Nobel-Kanzlei ist nicht nur Kanzlei. Sie ist Kommissariat, Redaktion, Agenten-Schmiede, Gericht und Haifischbecken in eigener Sache. Die Chefin ist mal Anklägerin, mal Verteidigerin. Den Wechsel, den jeder Jurastudent noch vorm ersten Staatsexamen in Rollen-Spielen übt, beherrscht Roth aus dem ff. Das eigene Team fürchtet ihre Sprunghaftigkeit. Die Regeln bestimmt der Plan und der kann sich ändern, sobald ein Klient so besser rauszuhauen ist. Dabei muss Roth schnell sein. Schneller als die Boulevardpresse – und unberührbar; sie trägt gern weiß. „Legal Affairs“ hätte auch „Solo für Roth“ heißen können. Nein, Quatsch: Die Ausrichtung ist international, das Tempo rasant und die Nähe zu einer Kommissarin, die bis 2013 mit Vorliebe für weiße Mäntel im ZDF ermittelte, nur dem Nachnamen geschuldet.

Um Roth herum haben die Head-AutorInnen Lena Kammermeier („Ku’damm“, „Lotte am Bauhaus“) und Felice Götze („Über die Grenze“) das Personal auf drei Ebenen sortiert. Leos Mitarbeiterstab (Maryam Zaree, Niels Bormann, Aaron Altaras) besteht aus gewieften Rechtsexperten, einem Anfänger und einer Privatdetektivin mit dem dafür typischen Straßenköter-Charme (Michaela Caspar). Nach außen ein Team, bestimmen Ehrgeiz und Karrierestreben aller Beteiligten das Taktieren untereinander. Der Kanzlei gegenüber stehen Antagonisten von durchgehender Präsenz. Sophie Rois spielt als konkurrierende Anwältin herrlich Theater. Rainer Sellien verkörpert als Leos Schwager und korrupter Berliner Innensenator die dunkle Macht, verhalten und unberechenbar. Stefan Kurt sieht aus wie BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner in seinen besten Tagen, steckt in seiner Rolle aber im Klischee vom ungepflegten Schmierenreporter fest. Den Gegenpart übernimmt Jacob Matschenz in der Rolle des Investigativ-Journalisten, erst auf Gegenkurs zu Roth, später zeitweise ihr Vertrauter. Wobei das Wort Vertrauen in dieser Welt mit Vorsicht zu genießen ist. „Legal Affairs“ mischt die Karten gern immer wieder neu. Langweilig wird`s nicht und der Zuschauer darf auf entsprechende Cliffhanger am Ende jeder Episode vertrauen. Zum Kanzleiteam und seinen Antagonisten gesellen sich auf der dritten Ebene die Mandanten der jeweils in einer Folge abgehandelten Fälle. In den ersten vier Episoden bleiben sie noch ziemlich blass. „Legal Affairs“ muss da noch zu viel über Leo Roths eigene Not erzählen. Der als Selbstmord getarnte Mord an der Geliebten ihres Schwagers bringt sie schließlich selbst vor Gericht.

Legal AffairsFoto: Degeto / RBB / Kerstin Jacobsen
Mit allen Wassern gewaschen: Kanzleichefin Roth (Lavinia Wilson), ihre Zugpferde Cecil (Niels Borman) und Elena (Maryam Zaree), die Detektivin Mimi (Michaela Caspar) und Neuzugang Adrian (Aaron Altaras). Taktieren gehört zum Handwerk.

Bis zur Halbzeit verhandelt „Legal Affairs“ unter anderem die Folgen von Fake-News, die Methoden des Boulevardjournalismus im Ping-Pong der Hetze, die Grenzen der Satire und die Möglichkeiten der computeranimierten Bildfälschungen im Netz. Was in bekannten Anwalts-Serien meist mit einer versöhnlichen Moralschelte endet, zerstört hier Existenzen oder Menschenleben. Trotz dieser Wucht kommen die ersten Episoden nicht recht über das „Abarbeiten“ an Themen hinaus. Besser gelingt das Zusammenspiel von horizontaler Erzählung und Kraft der Episode ab Folge fünf. Jenny Schily beeindruckt in der Episoden-Hauptrolle als seelisch und körperlich verletzte Kriegsreporterin, die mit ihrer Story über einen IS-Kämpfer ins Visier des Staatsschutzes gerät. Der Kampf um Pressefreiheit, faire Bezahlung und Quellenschutz ist das Thema, Schily gibt diesem Thema ein Gesicht. Und endlich gönnt das Drehbuch auch seiner Hauptfigur Roth ein Innehalten, ja sogar eine Schwäche. Wer mäkeln möchte, findet freilich auch in Episode 5 eine Schwachstelle. Man fragt sich schon, wie eine Agentin (Leos Mitarbeiterin Mimi), die verbrecherische Geldströme über Kontinente hinweg aufdeckt, die eigene Miete nicht mehr zahlen kann. Getoppt wird diese Unstimmigkeit in der nächsten Episode. Um ein Hashtag gegen eine naive Influencerin zu drehen, inszenieren Roths Mitarbeiter ihre nach einer Bissattacke ruhiggestellte Mandantin im Krankenhaus als hilfloses Opfer von Lynchjustiz. Das ist albern und dabei nicht halb so spaßig wie eine in der gleichen Episode imposant gefilmte Drohnenattacke auf Roth und Lindberg. Was da genau geschah und was in Roths Kopf manchmal schiefläuft, erklärt ihre Neurologin zu Beginn der vorletzten Episode. Thema diesmal: Rechte Gewalt und ihre Brandhelfer. Die Episoden-Hauptrolle spielt Muriel Baumeister als angeblich ausstiegswillige Politikerin der äußersten Rechten. Gut gecastet, gut gespielt und hinsichtlich der jüngst durch Journalisten veröffentlichten „geschlossenen“ telegram-Chats der AfD ganz nah an der Realität.

Chats und Posts blendet „Legal Affairs“ in guter „Sherlock“-Tradition in die laufenden Filmbilder ein. Der Zuschauer muss schnell sein im Mitlesen. Der Zuschauer muss ohnehin schnell sein. In den acht Folgen unter der Regie von Randa Chahoud und Stefan Bühling muss er die wechselnde Schärfentiefe der Kamera (Julian Hohndorf, Jan Prahl) „im Geist“ korrigieren, das Wanken der Handkamera verdauen, den Wechsel der Erzählstränge nachvollziehen, Traum von realem Geschehen unterscheiden und inhaltliche Wendungen im Schleudergang nachvollziehen. Die dramaturgischen Mittel und filmischen Raffinessen überfordern nicht, aber „Legal Affairs“ würde mit ein paar mehr ruhigen Momenten genauso gut funktionieren. Einmal von sich aus Stopp zu sagen hätte der getriebenen Heldin bei allem Genuss am Druck noch mehr Souveränität verliehen. So wirkt Leo Roth dann doch zu oft wie eine, auf Dauer so nicht überlebensfähige Powerfrau mit Duracell-Antrieb unterm Talar. Die Abschlussfolge von „Legal Affairs“ führt Roth dann auch an die Grenzen ihrer Kraft. Für Überraschungen sorgen diesmal ihre eigene Schwester (Annika Kuhl) und Staatssekretärin Anna Behrmann (Helene Grass), die vor Gericht eine Aussage macht, mit der keiner gerechnet hat. Das Schlusswort gehört Schmuddel-Reporter Götz, der verspricht eine „Riesenstory“ draus zu machen. In der nächsten Staffel dann. (Text-Stand: 2.12.2021)

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ARD Degeto, rbb

Mit Lavinia Wilson, Maryam Zaree, Niels Bormann, Aaron Altaras, Michaela Caspar, Stefan Kurt, Jacon Matschenz, Rainer Sellien, Annika Kuhl, Sebastian Hülk, Sophie Rois, Helene Grass

Drehbuch: Lena Kammermeier, Felice Götze. Writers Room: Veronica Priefer, Christine Heinlein, Christoph Callenberg, Thomas André Szabó, Florian Wentsch, Yves Hensel

Regie: Randa Chahoud, Stefan Bühling

Kamera: Julian Hohndorf, Jan Prahl

Szenenbild: Juliane Friedrich

Kostüm: Katrin Unterberger

Schnitt: Natali Barrey, Adrienne Hudson

Musik: David Grabowski & Jonas Nay (Titelmusik: Tutti Bounce, Vaterthema: Till Brönner)

Redaktion: Kerstin Freels (rbb), Claudia Luzius (ARD Degeto)

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Benjamin Benedict, Kristina Henning

Headautor*in: Lena Kammermeier, Felice Götze

Drehbuch: Lena Kammermeier, Felice Götze, Veronica Priefer, Christine Heinlein, Christoph Callenberg, Thomas André Szabó, Florian Wentsch, Yves Hensel

Regie: Randa Chahoud, Stefan Bühling

Quote: (1+2): 2,48 Mio. Zuschauer (9,7% MA); (3+4): 1,27 Mio. (5,5% MA); (5+6): 0,96 Mio. (4,7% MA)

EA: 19.12.2021 20:15 Uhr | ARD

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