Kurzschluss

Engelke, Brandt, Pläging/Bierhals, Erik Haffner. Herzerwärmend tragikomisch

Foto: WDR / bt
Foto Thomas Gehringer

Ein kleines Juwel zum Jahresende mit Anke Engelke & Matthias Brandt: In dem 30minütigen Kammerspiel „Kurzschluss“ (WDR / btf) sind beide kurz vor dem Jahreswechsel im Vorraum einer Bank eingeschlossen. Engelke als spitzzüngige Kleinstadt-Bürgermeisterin und Brandt als ungeduldiger Geschäftsmann aus Berlin führen ein tragikomisches Zwei-Personen-Stück auf, präzise inszeniert von Regisseur Erik Haffner. Den Autoren Claudius Pläging und Max Bierhals gelingt es, mit wenigen Mitteln und viel Dialogwitz eine kurzweilige Silvester-Geschichte zu erzählen – ein weiteres kreatives Schmuckstück aus der bildundtonfabrik.

Eine Alltagssituation, die jeder kennt und jeder fürchtet: Der Geldautomat rückt die Karte nicht wieder raus. Immerhin hat er zuvor die 200 Euro ausgespuckt, die Bettina Maurer (Anke Engelke) eine gute halbe Stunde vor dem Jahreswechsel noch schnell in der Moosbacher Sparbank ziehen wollte. Um Punkt zwölf muss sie auf dem Marktplatz sein, um das städtische Feuerwerk zu zünden, das sie als Gegenmittel gegen die „private Böllerei“ initiiert hat. Hinter ihr mischt sich ein Mann ein, der es ebenfalls eilig hat. Doch Martin Dorfmann (Matthias Brandt) richtet ein noch größeres Unheil an. Mit einer Haarnadel von Bettina Maurer stochert er im Schlitz des Automaten herum und verursacht damit einen Kurzschluss, der auch die automatische Tür lahmlegt. Beide sind in dem tristen Raum mit den zwei Gummibäumen und den Werbebroschüren der Bank gefangen – zwei Fremde, die zur Notgemeinschaft werden und zwischen tragikomischen Fluchtversuchen entdecken, dass sie sich näher stehen als gedacht.

Man kann bekanntlich auch abendfüllende Spielfilme auf engstem Raum inszenieren, man denke nur an den deutschen Fahrstuhl-Thriller „Abwärts“ (1984). Etwas mehr Platz haben Engelke und Brandt im Kundenraum der Moosbacher Sparbank dann doch, aber die in Echtzeit erzählte Geschichte der in verschiedenen Comedy-Formaten, Serien und Kino-Komödien erprobten Autoren Claudius Pläging („Der Vorname“, Grimme-Preis für „Die Carolin Kebekus Show“) und Max Bierhals („Drinnen – Im Internet sind alle gleich“, Grimme-Preise für „Die Carolin Kebekus Show“ und „Lass Dich überwachen! – Die Prism is a Dancer Show“) ist perfekt sowohl auf das prominente Darsteller-Duo als auch auf das räumliche und zeitliche Korsett des im Fernsehen eher ungewöhnlichen Kurzfilm-Genres zugeschnitten. Allerdings hätte die ARD dieses Jahresend-Juwel eigentlich einen Tag später ausstrahlen müssen, schließlich endet „Kurzschluss“ mit einem Silvester-Feuerwerk und den besten Wünschen von Abba („Happy New Year“). Bierhals hat bei der herzigen Schlusspointe übrigens einen Kurz-Auftritt. Jetzt wissen wir auch, was die Typen hinter den Geldautomaten-Überwachungskameras an Silvester treiben.

KurzschlussFoto: WDR / bt
Geheimnisse kommen ans Licht. Am liebsten würde sie dieser ganzen kleinkarierten Provinzpolitik den Rücken kehren. Sagt Bettina Maurer (Anke Engelke) jedenfalls.

Kaum zu glauben, dass Anke Engelke und Matthias Brandt bisher noch nicht gemeinsam vor der Kamera standen – umso besser für diesen Film. Die Kleinstadt-Bürgermeisterin mit grünen Visionen („Für eine autofreie Innenstadt“) und der großspurige Geschäftsmann („selbstständig – E-Commerce – B2B – Berlin“), der Bettina Maurer mit seinem SUV kurz zuvor beinahe überfahren hätte, sind nicht nur Figuren aus verschiedenen Lebenswelten, sondern erweisen sich auch als Protagonisten mit Abgründen und einer gemeinsamen Vergangenheit. So ändern sich zwischen den diversen Fehl-Versuchen, die Tür zu öffnen, Stimmung und Tonfall. Nach dem eher konfrontativen, scharfzüngigen ersten Akt folgt die Phase der Erschöpfung und Annäherung, die schließlich in einen dritten, befreienden Akt mündet – ein geradezu klassisches Erzählmuster. Vom Finale sei nur soviel verraten, dass die Elektronik bis zum Schluss stur und eigenwillig bleibt. Der Mensch steht dem hilflos gegenüber, die Befreiung gelingt nur aus Versehen.

Aus dem begrenzten Setting holen Buch, Regie und Ausstattung das Optimale heraus, wobei auch einige Nebenfiguren zur Unterstützung gebraucht werden. So wartet im Auto vor der Bank die „Freundin“ des Berliner Werbeunternehmers, die in Wahrheit ein Escortgirl ist, gebucht für eine Party mit Geschäftspartnern. Keine große Hilfe sind außerdem ein angetrunkener Passant sowie ein schreckhafter junger Mann, mit dem sich die Bürgermeisterin aus nicht ganz legalen Gründen verabredet hat. Das notorische Scheitern muss ein wenig gestreckt werden, das ist legitim in einer solchen Silvester-Komödie, in dem die Protagonisten sogar von Glückskeksen verhöhnt werden („Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue“). Ein wenig Slapstick ist auch dabei, aber Maurer und Dorfmann werden nicht zu Karikaturen – im Gegenteil. Das perfekte Timing und das präzise Spiel von Brandt und Engelke, die schon vor 20 Jahren gemeinsam mit Olli Dittrich in preisgekrönten Impro-Kurzfilmen („Blind Date“) brillierte, sind ein Genuss. Unser Wunsch fürs neue Jahr: Mehr davon. (Text-Stand: 9.12.2022)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Anke Engelke, Matthias Brandt, Vincent Krüger, Tom Keune, Franziska Ferrari, Max Bierhals, Axel Boxhammer

Kamera: Joseph Strauch

Szenenbild: Melanie Opitz, Janika Streblow, Rosalie Razavian

Kostüm: Hannah Leiner, Anke Büning, Amira Nuß

Schnitt: Rafael Maier

Musik: Vivan & Ketan Bhatti

Redaktion: Leona Frommelt

Produktionsfirma: btf, Westdeutscher Rundfunk

Produktion: Lina Kalisch, Oliver Wißmann

Drehbuch: Claudius Pläging, Max Bierhals

Regie: Erik Haffner

EA: 30.12.2022 23:30 Uhr | ARD

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