Ein Krimi beginnt üblicherweise mit einem Mord oder Leichenfund; und die Spannung resultiert aus der Frage, welche der beteiligten Personen als Mörder in Frage käme. Das allein genügt nicht, denn wenn die Figuren nicht interessant sind, verliert man als Zuschauer rasch das Interesse. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber viele Autoren vergessen das oft. „Bretonischer Stolz“, die vierte Verfilmung eines Bretagne-Krimis von Jean-Luc Bannelec, hat eine derartige Menge an reizvollen Figuren zu bieten, dass es schon fast wieder zu viel des Guten ist, weil einige zu kurz kommen. Außerdem schneidet der Film ein paar Themen an, die Clemens Murath, der den bisherigen Autor Gernot Gricksch abgelöst hat, bestimmt gern vertieft hätte, aber die Geschichte ist ohnehin schon sehr komplex für neunzig Minuten.
Foto: Degeto / Wolfgang Ennenbach
Sie beginnt mit einer verschwundenen Leiche: Die einstmals gefeierte Schauspielerin Sophie Bandol (Angela Winkler) stolpert bei einem Abendspaziergang beinahe über einen Toten. Als die Polizei eintrifft, ist der Körper jedoch weg. Während Inspektor Kadeg (Jan Georg Schütte) überzeugt ist, die alte Frau habe sich das alles bloß eingebildet, sieht Kommissar Georges Dupin (Pasquale Aleardi) keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln, zumal er sehr für die Schauspielerin schwärmt. Außerdem bestünde die Alternative darin, an einer Polizeitagung für Führungskräfte teilzunehmen; da sucht er lieber nach einer verschwundenen Leiche. Offenbar handelt es sich um einen Schotten, der nicht in sein Hotel zurückgekehrt ist. Kurz drauf scheint der Leichnam wieder aufgetaucht zu sein, doch bei dem Toten, der von einer Brücke gestürzt worden ist, handelt es sich um jemand anderen, und jetzt nimmt die Handlung eine Komplexität an, die sich schwer in wenigen Sätzen wiedergeben ließe. Am durchsichtigsten ist noch der Versuch, einen eifersüchtigen Ehemann (Holger Handtke) als Verdächtigen zu präsentieren; der Schotte hatte bei einem Dorffest die Frau des Mannes betatscht. Zur Geschichte gehört auch die Rivalität zwischen zwei Austernzüchtern (Joachim Bißmeier & Roland Koch) und ein Jahrzehnte zurückliegender, nie vollends aufgeklärter Raubmord; uralte keltische Bräuche spielen ebenfalls eine Rolle. Da Kadeg lieber nach Sandräubern als nach womöglich gar nicht existierenden Leichen sucht, kommt es zu erheblichen Spannungen zwischen ihm und seinem Chef. Und Dupin handelt sich – weil er seinen Vorgesetzten, den Präfekten Locmariaquer (Udo Samel), nicht ernst nimmt, sogar eine Suspendierung ein.
Wie „Kommissar Dupin“ den Bretagne-Tourismus angekurbelt hat
Als die Kölner Produktionsfirma Filmpool 2013 den ersten Roman über den strafversetzten Pariser Polizisten verfilmte, „sind uns die Einheimischen zunächst mit Skepsis begegnet“, schildert Produzent Mathias Lösel. „Diese Haltung hat sich gewandelt, als in der Lokalpresse die ersten Berichte über die großen Erfolge der Romane veröffentlicht wurden und sich herausstellte, dass der Autor Jean-Luc Bannalec jedes Jahr viel Zeit in der Bretagne verbringt.“ Die Örtlichkeiten, die er beschreibt, sind authentisch; die Filme entstehen nach Möglichkeit an Originalschauplätzen wie etwa dem Café L’Amiral im Zentrum von Concarneau. Nach Angaben des französischen Tourismusverbands ist der Anteil deutscher Urlauber in der Bretagne in den letzten zwei Jahren um 60 Prozent gestiegen, was in erster Linie auf „Kommissar Dupin“ zurückzuführen sei. Kein Wunder, dass der Präfekt der Region die Gäste als „Wohltäter der Bretagne“ lobt: Filmpool gibt dort pro Jahr einen hohen sechsstelligen Betrag aus. Zur Belohnung durften die Deutschen als erstes Spielfilmteam überhaupt in einer französischen Präfektur drehen. Diese Erlaubnis war so ungewöhnlich, dass sogar die nationalen französischen TV-Nachrichten darüber berichtet haben. tpg.
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Regie führte Thomas Roth, der auch schon den sehenswerten letzten Film der Dupin-Reihe, „Bretonisches Gold“, inszeniert hat. „Bretonischer Stolz“ ist sogar noch besser, und das liegt nicht nur an der vielschichtigen Handlung. Ähnlich wie bei den Venedig-Krimis nach Donna Leon scheint auch „Kommissar Dupin“ mittlerweile einen derart guten Ruf zu genießen, dass namhafte Schauspieler bereit sind, sich selbst für kleine Rollen zur Verfügung zu stellen. So hat beispielsweise Jennifer Ulrich nur drei Szenen. Udo Samel ist eine großartige Besetzungsidee für den eitlen Präfekten, die Rolle passt perfekt zu ihm (und umgekehrt). Ebenso Angela Winkler: Ihr etwas manieriertes Spiel ist sicher nicht jedermanns Sache, entspricht aber wunderbar jener reifen Dame, die deutlich durchtriebener ist, als ihr still vergnügtes Lächeln vermuten lässt. Holger Handtke wird sich damit abgefunden haben, in Krimis grundsätzlich umgehend als mordverdächtig zu gelten, sobald er auftaucht. Nele Kiper ist zwar eigentlich zu attraktiv, um die Frau an der Seite dieses Mannes zu spielen, aber Dupin ist ja ohnehin von schönen Frauen umgeben; dazu zählt neben Annika Blendl als Assistentin Nolwenn auch noch Freundin Claire (Janina Rudenska), die eine Stelle als Ärztin im örtlichen Krankenhaus angenommen hat und nun mehr Zeit mit dem Kommissar verbringen kann, als dem womöglich lieb ist. Wer die Reihe nicht kennt, wird sich vielleicht fragen, warum der freundliche Dupin ein derart distanziertes Verhältnis zu seinen Kollegen hat, dass er nicht mal gemeinsam mit ihnen die bestandene Prüfung seines Mitarbeiters Riwal (Ludwig Blochberger) feiern kann. Andererseits hatte Murath, der zuletzt den „Mordkommission Istanbul“-Zweiteiler „Im Zeichen des Taurus“ geschrieben hat, ohnehin genug damit zu tun, angesichts der Fülle des Stoffs und der Vielzahl der Mitwirkenden nicht den Überblick zu verlieren.
Regisseur Roth wiederum war es ganz offensichtlich wichtig, auch mit seiner Inszenierung Akzente zu setzen. Das gilt nicht nur für die sorgfältige Ausleuchtung gerade der Nachtaufnahmen (Kamera: Arthur W. Ahrweiler), sondern auch für besondere Einstellungen, etwa, wenn sich Dupin als Elektriker probiert und schon der Blick aus der Wand heraus nahelegt, dass er damit nicht erfolgreich sein wird. Man könnte diese Details als Spielerei abtun, zumal sie für die Geschichte nicht von Belang sind, aber sie tragen neben den witzigen Soli von Schütte viel zu der eleganten Leichtigkeit bei, die diese ARD-Degeto-Produktion auszeichnet. Dazu gehören auch einige längere ungeschnittene Dialogszenen, die Roth und Ahrweiler (der Stammkameramann von Niki Stein hat mit Roth unter anderem diverse Episoden zu „Der Kommissar und das Meer“ gedreht) in fließende Bewegungen auflösen. Mehr als nur eine lobende Erwähnung ist auch die Musik (Fabian Römer, Steffen Kaltschmid) wert, die im Unterschied zu vielen anderen Krimis nicht auf Elektronik setzt, sondern immer wieder einzelne Instrumente in den Vordergrund rückt. (Text-Stand: 7.2.2017)