Kir Royal

Immer noch frisch: Helmut Dietls Tanz auf dem Vulkan der Bussi-Gesellschaft

Foto: BR / Balance Film
Foto Rainer Tittelbach

Aus der vermeintlichen sozialsatirischen Zeitgeist-Komödie ist über die Jahre ein Lehrstück über menschliche Dekadenz & zynische Medienmacht geworden. „Kir Royal“ schafft Minaturen der Comédie humaine und die Serie ist nicht deshalb ein Klassiker, weil sie 1986 den Grimme-Preis bekam, sondern weil sie jedem Jahrzehnt eine etwas andere Lesart ermöglicht: eine gesellschaftskritische, eine beziehungsorientierte, eine emanzipatorische, eine fernsehästhetische. tittelbach.tv zeigt, was man über „Kir Royal“ wissen & lesen sollte.

Die Inhaltsangaben der sechs „Kir Royal“-Folgen gibt es (für meinen Geschmack zu) ausführlich bei Wikipedia.

Als Serie über die Münchner Schickeria, die sogenannte Bussi-Gesellschaft, ging „Kir Royal“ (1986) in die Fernsehgeschichte ein. Eine Schlüssel-TV-Satire in sechs Akten, mehr oder weniger frei nachempfunden dem Alltag von Michael Graeter, Klatschreporter der Münchner „Abendzeitung“. Ein Grimme-Preis-gekröntes, fiktionales Unterhaltungskleinod von Helmut Dietl („Schtonk“), dem Connaisseur des vermeintlich „schönen Lebens“ der weißblauen Landesmetropole. Auf zwei serielle Meilensteine bayerischer Mentalitätsgeschichte konnte Dietl (70) 1986 bereits zurückblicken: auf „Münchner Geschichten“ (1974) und „Monaco Franze“ (1983). Das Bemerkenswerteste an „Kir Royal“ ist in der Rückschau die Zeitlosigkeit dieser vermeintlichen Zeitgeist-Serie. Drei Mal habe ich sie gesehen, 1986, Mitte der 90er und Ende der 00er Jahre. Jedes Mal ergab sich eine etwas andere Lesart. Dominierte beim ersten Sehen der satirische Biss Helmut Dietls, waren es vor allem Franz Xaver Kroetz, Dieter Hildebrandt und Mario Adorf („Ich scheiß’ dich sowas von zu mit meinem Geld“), die elegant gewandet ihre Marken – Straßenkötern gleich – hinterließen, schob sich beim zweiten Sehen das Zwischenmenschliche stärker in den Fokus und mit ihm rückte Senta Bergers Mona mehr in den Blick. Vor sechs Jahren war es dann die überzeitliche Gültigkeit dieses rituellen Balletts der Eitelkeiten, die ins Auge stach: die Kunst der Gesellschaftskomödie mit Charakter(en).

Kir RoyalFoto: BR / Balance Film
Was tut man nicht alles für eine gute Story! Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz) und sein treuer Fotograf Herbie Fried (Dieter Hildebrandt)

Kern dieser universalen Wirkung: Helmut Dietls Charaktere transzendieren das Genre der klassischen Gesellschaftssatire. Obwohl man die Haltungen der Figuren, ihren 80er-Jahre-Standesdünkel, dieses „mehr Schein als Sein“, ablehnen müsste, mag man sie doch in ihrer zynisch-kaltschnäuzigen Variante der bayerischen „Mir san mir“-Mentalität. Auch, weil Baby Schimmerlos, seine blaublütige Chefin und seine rechte Hand, Knipser Herbie, nicht die Schlimmsten sind. Die, die rein und sich im Glanz der Medien sonnen wollen, sind noch schlimmer. Dietl entwirft – bei aller gesellschaftlicher Verortung – Menschenbilder, schafft Minaturen der Comédie humaine, wie sie ein Moliére oder ein Nestroy einst fürs Theater schufen. Für mich ist „Kir Royal“ lebensgeschichtlich die wichtigste TV-Serie. „Kir Royal“ ist mir emotional so nah, dass ich nicht über den ästhetischen Wert der sechs Stunden schreiben möchte. Dafür gibt es vier Links, mit denen man auf der sicheren Seite ist. Und jedem, der Dietls TV-Meisterwerk noch nicht kennt, kann ich nur raten: unbedingt anschauen!

Michael Fischer: Wer reinkommt, bestimme ich. In: Der Spiegel Nr. 39, 1986 (über „Kir Royal“, die Fernsehsatire auf die bessere Gesellschaft)

Hellmuth Karasek: Ein Stenz aus der Gaishoferstraße 47. In: Der Spiegel. Nr. 33, 1987 (Interview mit Helmut Dietl)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

BR

Mit Franz Xaver Kroetz, Dieter Hildebrandt, Ruth Maria Kubitschek, Senta Berger, Billie Zöckler, Mario Adorf, Rudolf Wessely, Fritz Muliar, Georg Marischka, Marianne Hoppe,Michaela May, Harald Leipnitz, Angelica Domröse, Boy Gobert

Kamera: Ingo Hamer

Szenenbild: Hans Gailling, Albrecht Konrad

Schnitt: Inez Regnier, Corina Dietz, Ulrike Pahl

Musik: Konstantin Wecker

Produktionsfirma: Balance Film

Drehbuch: Patrick Süskind, Helmut Dietl

Regie: Helmut Dietl

EA: 22.09.1986 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach