Es gehört zum Wesen eines Markenkerns, dass seine Bestandteile nicht verhandelbar sind. Bezogen auf die Liebesgeschichten im ZDF-„Herzkino“ heißt das: „Inga Lindström“-Filme spielen in Schweden, „Rosamunde Pilcher“ in Cornwall. Die Drehbücher zu „Katie Forde“ basieren zwar schon lange nicht mehr auf Romanen der britischen Schriftstellerin, aber die Romanzen und Komödien sind stets in New England gedreht worden. „Emmas Geheimnis“, die 41. Episode der Reihe, ist zwar ebenfalls in Küstennähe entstanden, aber nicht in Massachusetts, sondern in Norddeutschland. Nun ist die Holsteinische Schweiz mit ihren leuchtend gelben Rapsfeldern zwar nicht weniger schön als die amerikanische Ostküste, aber im Grunde ist es Etikettenschwindel, wenn das ZDF den Film trotzdem als „Katie Fforde“ verkauft. Der Zielgruppe wird’s nach kurzer Irritation zu Beginn – „Nanu, das ist doch das Holstentor in Lübeck?“ – mutmaßlich egal sein. Die Geschichte war zunächst in der Tat in der Umgebung von Boston angesiedelt; aufgrund der Corona-Pandemie mussten die Dreharbeiten nach Deutschland verlegt und das Drehbuch entsprechend umgeschrieben werden. Regie führte „Katie Fforde“-Veteran Helmut Metzger, weshalb sich tatsächlich im Wesentlichen nur der Schauplatz geändert hat. Dass die Handlung genauso gut in Cornwall oder Schweden spielen könnte, belegt allerdings, wie austauschbar diese Geschichten letztlich sind.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Titelfigur von „Emmas Geheimnis“ ist eine Musiklehrerin um die vierzig, deren Leben allem Anschein nach in bester Ordnung ist: Emma (Julia Brendler) geht in ihrer Arbeit an einer privaten Musikschule auf und freut sich auf eine gemeinsame Alpenwanderung mit dem Kollegen Nick (Josef Heynert); der Urlaub soll eine Art Generalprobe für ihr geplantes Zusammenleben sein. Und doch liegt ein Schatten auf Emmas Glück: Sie galt einst als Wunderkind und stand vor einer glänzenden Karriere als Pianistin, als sie in jungen Jahren schwanger wurde. Sie hat das Kind zur anonymen Adoption freigegeben, leidet aber bis heute an Schuldgefühlen. Das Ereignis hat sie damals derart aus der Bahn geworfen, dass sie ihre Karriere aufgab. Als ihr ein Schüler das Internetvideo eines hochbegabten jungen Pianisten zeigt, erkennt sie in ihm ihren Sohn Jacob wieder: Der junge Mann trägt den gleichen seltenen Anhänger wie sie. Mit Hilfe des Videos gelingt es ihr, ihn ausfindig zu machen. Sie gibt sich nicht zu erkennen, bietet ihm aber an, ihn zu unterrichten, damit er sich für die Aufnahme an der Lübecker Musikhochschule bewerben kann. Nick, der von Emmas Geheimnis keine Ahnung hat, ist nur bedingt begeistert darüber, dass er fortan bloß noch die zweite Geige hinter Noah (Lennart Betzgen) spielt. Weil Emma zudem ein Empfehlungsschreiben ihrer Chefin (Victoria Trautmansdorff) für den Jungen gefälscht hat, kommt es schließlich zum kompletten Eklat: Nick weg, Job weg, Noah weg. Der Junge schimpft, Emma habe ihn bloß für ihren Egotrip benutzt; und das ist nicht die einzige Enttäuschung, die sie verkraften muss.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Ebenfalls zum Markenkern von „Katie Fforde“ gehört laut ZDF eine Charakterisierung der Protagonistinnen: Sie „stehen mit beiden Beinen im Leben und dort wiederum an einem Wendepunkt, der oftmals mit einer lebensverändernden Umorientierung oder einem beruflichen Neustart zusammenhängt.“ Sie werden „mit einer substantiellen Herausforderung konfrontiert und begegnen dieser mit einem starken Willen, großer Lebenssehnsucht, Charme, Esprit und viel Humor.“ Das ließe sich zwar problemlos auch auf andere „Herzkino“-Reihen übertragen, aber davon abgesehen erfüllt „Emmas Geheimnis“ diese Bedingungen perfekt. Metzger hat gemeinsam mit Kameramann Peter Joachim Krause ohnehin dafür gesorgt, dass der Film nicht zuletzt dank der schönen Ostseebilder formal ähnlich konzipiert ist wie eine klassische „Katie Fforde“-Episode, selbst wenn die Unterschiede nicht nur landschaftlich offenkundig sind. Nebenfiguren wie Noahs Vater (Kai Maertens), ein bärbeißiger, aber herzensguter Fischer, oder die patente Wirtin der Kneipe, in der der Junge Klavier spielt, sorgen für typisches Küstenflair; Jessica Kosmalla spielt hier quasi die gleiche Rolle wie in der letzten „Helen Dorn“-Episode „Kleine Freiheit“ und trägt wie dort entscheidend zum zwar erwartbaren, aber originell erzählten Ende bei. Immerhin fällt dank des Umzugs weg, dass die Nebendarsteller synchronisiert werden müssen. Auch deshalb wirkt der Film wie aus einem Guss, zumal Metzgers Arbeit mit den Schauspielern ohnehin stets gut ist; gerade Julia Brendler verkörpert Emmas emotionales Wechselbad mit viel Empathie. Jederzeit glaubwürdig ist auch Lennart Betzgen in seiner ersten Fernsehfilmhauptrolle.
Wie die meisten „Herzkino“-Filme erfreut „Emmas Geheimnis“ zudem durch viele sympathische Details: Emma und Nick müssen ihre neuen Wanderschuhe einlaufen und tragen sie daher auch zur Arbeit. Eigentlich soll ihre Chefin nichts von der Beziehung wissen, aber nach einem Blick aufs Schuhwerk ist sie natürlich im Bilde; solche Momente inszeniert Metzger mit einer Leichtigkeit, die wie aus dem Ärmel geschüttelt wirkt. Es sind ohnehin die nur scheinbar unwichtigen Nebensächlichkeiten, die den Figuren Tiefe verleihen. Das gilt selbst für einen Besuch beim Jugendamt, als die Kamera interessiert die Nippes-Figürchen der Sachbearbeiterin betrachtet und Emma ein braunes Blatt von einer Büropflanze zupft. Die Sympathien für Nick resultieren vor allem aus dessen Umgang mit seiner kleinen Tochter: Sie nennt ihm eine Handvoll Begriffe, er muss aus dem Stegreif ein Gedicht daraus machen. Das Mädchen trägt später indirekt dazu bei, dass Nick die Beziehung beendet: Als Emma nur noch Noah im Kopf hat, vergisst sie nicht bloß die Urlaubsplanung, sondern auch das erste Treffen zu dritt. Sehr wichtig ist gerade bei einem solchen Stoff natürlich die in der Tat ausgezeichnete Musik (Ingo Ludwig Frenzel, Rainer Oleak), die für einen großen Moment sorgt, als Noah bei der Aufnahmeprüfung eine Eigenkomposition von Emma („Kinderlieb für Jacob“) vorträgt und sein Spielt nahtlos in die Filmmusik übergeht. (Text-Stand: 8.11.2020)