Ursprünglich wollte sich Paul (Christoph Schechinger) die Zeit für seine Frau Erina (Nadja Bobyleva) freihalten. Denn nach langer Abwesenheit wird die international gefeierte Primaballerina endlich heimkehren in ihre neue Heimat an der Müritz. Doch ein Wort genügt – und der Psychologe, der sich mit seiner Australien-Shepherd-Hündin Käthe auf tiergestützte Therapien spezialisiert hat, vergisst seinen Urlaub: „Wachkomapatientin“. Krankenhaus-Pflegeleiterin Hildegard (Mariele Millowitsch) weiß, dass Paul bei diesem Fall nicht nein sagen wird. Nach fünf Jahren ist Maria Thalbach (Muriel Baumeister) wieder bei Bewusstsein. Auch die Reha schlägt gut an. Die Frau ist motiviert, freut sie sich doch darauf, endlich wieder in den Kreis ihrer Familie zurückzukehren. Doch ihr Mann (Stephan Stász) lebt mittlerweile mit einer neuen Frau (Julia Becker) zusammen und ihre gemeinsame Tochter (Amely Trinks) hat keinerlei Erinnerung mehr an ihre Mutter. Da müssen Paul und Käthe vermitteln: der Psychologe bei der zwischenzeitlich mutlosen Patientin, der Hund bei der achtjährigen Tochter, die starke Berührungsängste mit ihrer Mutter hat. Doch bald wartet eine noch sehr viel größere Herausforderung auf den Psychologen Paul: die Ankunft seiner großen Liebe.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Bewertung im Detail: „Dornröschen“ bekommt hauchzarte 4 Sterne,
während „Das Findelkind“ sich fette 4 Sterne mehr als verdient hat.
Die ARD-Degeto sucht seit Jahren nach neuen, weniger altbackenen und vorhersehbaren Reihen-Formaten für den „Endlich-Freitag“-Sendeplatz. Für „Käthe und ich“ hat man nun das zuletzt inflationär bemühte „Helferinnengenre“ auf männlich umgepolt und dabei die Geschichten mit ihren standardisierten zwischenmenschlichen Problemfällen stärker auf die Hauptfigur zentriert. Außerdem widerstand Autorin Brigitte Müller, die mit Ivo-Alexander Beck die neue Bavaria-Fiction-Reihe auch produziert hat, dem mittlerweile übertriebenen Hang, die Plots öffentlich-rechtlicher Unterhaltungsfilme als Dramödie zu verpacken. Das Erzählte ist ernsthaft, der Held nachdenklich und introvertiert, die Tonlage ist ruhig und entspannt. Alltag und Wohnsituation kommen dem am nächsten, was man aus der Reihe „Frühling“ im ZDF kennt: Paul wohnt mit der vierköpfigen Familie seiner Sandkasten-Freundin Jule (Mona Pirzad) und ihres Mannes Aaron (Ben Braun), die gemeinsam eine Tierarztpraxis führen, in einer gut funktionierenden, idyllisch gelegenen WEG am Müritzsee. Leben und Arbeiten unter einem Dach in perfekter Balance. Und dieser besondere Platz, der im Vorspann stimmungsvoll ins Bild gerückt wird, ist mehr als nur ein Wohlfühlraum für den Zuschauer, er ist vor allem auch ein idealer Heilungsort für den Schmerz.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Der Auftaktfilm „Dornröschen“ bietet noch eine eher konventionelle Konflikt-Lösungs-Geschichte an. Dramaturgisch geht es hin und her. Mal bestimmt die Vernunft des Therapeuten den Gang der Handlung, dann schießt einer des neuen Paars quer, bevor die Einsicht bei den Erwachsenen obsiegt; was aber noch lange nicht heißt, dass das Kind in der Lage ist, mit seiner leiblichen, die Schuld bei sich selbst suchenden Mutter eine „normale“ Beziehung aufzunehmen. Dass hier ein Psychologe und nicht eine Dorfhelferin („Frühling“), eine Versorgungsassistentin („Die Eifelpraxis“) oder eine Hebamme („Lena Lorenz“) sich um das Wohlergehen seiner Mitmenschen kümmert, kommt dem Tiefgang und der Glaubwürdigkeit der Geschichte zugute. Und so gibt es mehr psychotherapeutisch fundierte Tipps aus dem Munde des Helden als wohlfeile Küchenpsychologie. Und Käthe lässt den seelischen Konflikt sinnlich werden: Im Spiel mit dem Hund und der behinderten Mutter könnte Jule die Angst vor der körperlichen Einschränkung verlieren, hofft Paul. Und selbst sein Rat für seine beste Freundin, die die nachlassende sexuelle Anziehung zwischen ihr und ihrem Mann beklagt, bewegt sich zumindest auf „Psychologie-heute“-Niveau: „Zu sehen, wie der Partner von jemand anderem begehrt wird, das kann manchmal helfen.“ Dass es sich bei dieser anderen Person aber ausgerechnet um Sprechstundenhilfe Jasmina (Anna Hausburg) handeln muss…
Besondere Tragik gewinnt „Dornröschen“ durch die Besetzung der Episoden-Hauptrolle mit Muriel Baumeister. Die beliebte Schauspielerin, gebeutelt von zahlreichen Schicksalsschlägen, befand sich die letzten Jahre in einer Lebens-Krise. Über ihre Alkoholsucht hat sie ein Buch geschrieben. Auch wenn man zwei Mal hinschauen muss, um die einst so hübsche Österreicherin zu erkennen, so ist es ehrenwert, ihr wieder eine Chance gegeben zu haben in der Rolle einer vom Wachkoma gezeichneten Frau. Der Erscheinungstermin von Baumeisters Buch am 6. November und der Ausstrahlungstermin ihres ersten Films nach längerer Pause am 1. November dürfte kein Zufall sein. Aber es passt auch zum Leben, das man vom Leben an der Müritz vermittelt bekommt: Man hilft sich gegenseitig.
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Die zweite Episode, „Das Findelkind“, rückt stärker vom bewährten Muster der üblichen Fall-Geschichten ab, wie sie in den traditionellen Weißkittel- oder den bei den Senderredakteuren zuletzt so beliebten „Mutter-Teresa“-Dramoletts erzählt werden. Gleich in der ersten Szene wird der seelische Konflikt des Psychologen sinnlich vermittelt. „Ich bin schwanger“, strahlt seine Herzallerliebste. Das war einmal. Es handelt sich bei diesen Bildern um eine Rückblende. Die Realität sieht mittlerweile anders aus. Erina liegt im Wachkoma. Drei Monate war sie in einer Spezialklinik. Ihre Umgebung nimmt sie nach wie vor nicht wahr. Sie auch das Kind verloren. Und so steigt auch viel persönlicher Schmerz in Paul auf, nachdem in seinem Garten eines Morgens ein Säugling ausgesetzt wurde. Im Film thematisiert wird der Verlust des eigenen Kindes allerdings erst am Ende. So wirkt das Findelkind-Motiv dramaturgisch wesentlich weniger bemüht, als es die Inhaltsbeschreibung vermuten lässt. Um einer Strafverfolgung zuvorzukommen, möchte Paul die Mutter des Säuglings finden. Und er hat da auch schon eine Vermutung. Eine junge Frau (Zoe Moore) war bei ihm vor Monaten wegen einer ungewollten Schwangerschaft in Behandlung. Auch der Termin könnte passen. Jule indes hat eine ganz andere Befürchtung. Warum wurde das Baby ausgerechnet vor Pauls Haustür ausgesetzt? Vielleicht ist er ja der Vater? Wie war das doch gleich mit ihm und Erinas bester Freundin Natalya (Julia Hartmann) – und jenem Wodka-Gelage, das die Animositäten zwischen den beiden aus der Welt schaffen sollte? „Da ist nichts passiert“, behauptet Paul. „Dieses nichts passiert ist genau neun Monate her“, kontert Jule. Ein Vaterschaftstest soll Klarheit schaffen. Derweil ist Pflegerin Hildegard auch in das Idyll am See gezogen, um sowohl Erina als auch das vorläufig dort untergekommene Findelkind zu versorgen.
Soundtrack:
Junip („Line of Fire“; Vorspannsong). „Dornröschen“: Tom Odell („Another Love“), Bear’s Den („Elysium“), Passenger („Let Her Go“), Car Seat Headrest („Something Soon“). „Das Findelkind“: Lily Allen („Somewhere Only We Know“)
„Das Findelkind“ macht Lust auf mehr „Käthe und ich“. Und es sind auch schon zwei weitere Episoden der Degeto-Reihe abgedreht. Dabei interessiert es nicht nur, wie es mit der Wachkomapatientin weitergeht, sondern auch, welche Art von Geschichten im Fokus stehen und wie künftig die Fälle mit den privaten Plots kombiniert werden. Das Besondere an den ersten beiden Episoden besteht ja auch in einer für Unterhaltungsfilme eher unüblichen Dramaturgie. So wird im ersten Film das anfangs von Seiten Pauls etwas linkische Kennenlernen und das romantische Liebenlernen in Form subjektiv erinnernder Rückblenden in die aktuelle Handlung eingebaut. Im zweiten Film sind es zunächst die Konfliktszenen zwischen Paul und Natalya und später dann das amüsante Trinkgelage. Das kleine narrative Wagnis geht auf. Beide Filme gewinnen an erzählerischer Dichte, sind abwechslungs- und temporeicher als linear geplottete Filme der leichteren Gangart. Für die Szenen selber nehmen sich Autorin Brigitte Müller („Daheim in den Bergen“) und Regisseur Philipp Osthus („Hubert und Staller“) dagegen die Zeit, die ein selbstkritischer Psychologe eben braucht.
Und am Ende braucht dann auch auch mal ein professioneller Heiler selbst Hilfe. Da bricht plötzlich der ganze Schmerz aus Paul heraus. Ein See voller Tränen. So direkt dargestellte Emotionen sind in Filmen meist zu viel des Traurigen (und solche Situationen haben vor allem auch bei Kritikern ganz schlechte Karten). In „Das Findelkind“ aber stimmt das emotionale Timing, weil eben auch die (verhältnismäßig komplexe) Narration dieser Episode stimmt. Und weil Christoph Schechinger seinen Paul 180 Minuten lang nuanciert und psychologisch stimmig verkörpert. So wie die Handlung dem Zuschauer immer wieder neue Fragen und Hypothesen abverlangt und sich die Geschichte immer noch etwas für den Schluss des zweiten Films aufhebt, so steckt auch immer noch etwas Unentdecktes in dieser liebenswerten Figur, hinter der man nie die Strippenzieher, Plot-Setzer und Kitsch-Konstrukteure zu erkennen glaubt. Und das ist beispeilsweise der entscheidende Unterschied zu den „Herzkino“-Märchen: In „Käthe und ich“ haben die Gefühle reale Ursachen, die Charaktere sind Träger nachvollziehbarer Emotionen. Und auch wenn hier alles gut wird, wird es gut, weil sich die Menschen bemühen, nicht, weil es die Genre-Konvention so will. Und wer am Ende Kierkegaard zitiert kann ohnehin nicht ganz falsch liegen! (Text-Stand: 7.11.2019)