Schwere Zeiten. Ob Bayern oder Tirol – in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte bittere Armut im Volk, während der Adel prasste. Wer überleben wollte, musste als Holzfäller schuften oder er musste wildern. Der Fernsehfilm “Jennerwein” erzählt die Geschichte vom aufsässigen Girgl, der in die Fußstapfen seines Vaters tritt und als Wildschütz die königlich-bayerischen Beamten in Atem hält.
Als Zwölfjähriger musste der spätere Robin Hood der Alpen mit ansehen, wie sein Vater brutal hingerichtet wird. Zehn Jahre danach kämpfte er im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 bereits selbst um sein Leben. An seiner Seite sein Freund Pföderl, der ihm das Leben rettet. Zurück in der Heimat kann er das Wildern nicht lassen – zu viele Münder, die er durchfüttern muss. Da ist seine Mutter, die fesche Agerl und die zwei Nachbarskinder, die er nach dem Hungertod ihrer Mutter bei der alleinstehenden Bäuerin untergebracht hat. In jene Agerl verliebt er sich. Eine tragische Liebe, denn sie zerstört seine Freundschaft zu Pföderl, der die Wildererbüchse an den Nagel hängt und sich beim bayerischen Feind verdingt.
“Jennerwein” ist ein Film über eine Freundschaft, die in Feindschaft umschlägt, ein Alpendrama über den Lebenskampf in einer Epoche, die alles andere als eine gute, alte Zeit war. Wie Jennerwein, Wilderer aus edlem Antrieb, auf die Böcke und Rehe schießt, so feuern andere auf ihn. Ein Menschenleben ist nichts wert in den 1870er-Jahren im bayerisch-tiroler Grenzgebiet. “Ein Mann ohne Moral ist ein freier Mann”, heißt es im Film von Hans-Günther Bücking, der nicht nur wegen solch markiger Ideologie Erinnerungen an den Italo-Western wachruft. Sinnlose Gesetze, sinnloses Sterben – bis einer kommt, der das Lied vom Tod nicht mitspielen will.
Auch die Ästhetik des Films liegt irgendwo zwischen Schlamm, Schnee und schlechtem Wetter begraben. Fahl das Licht, düster die Stimmung. Und an “Coolness” steht der Blick von Fritz Karl dem von “Django” Franco Nero in nichts nach. Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral. In diesem Sinne ist “Jennerwein”, der eher wie ein poetisch-distanzierter Bilderbogen denn als dramatisch-emotionales Berg-Melo daher kommt, ein zutiefst pessimistischer Film, in dem Rache, Verrat und Niedertracht die zentralen menschlichen Antriebe sind. Nur einmal, kurz vor dem tragischen Ende, treffen sich die Blicke des Helden und seiner Frau in der Berglandschaft, ein magischer Moment, in dem so etwas wie Freiheit und Glück spürbar wird. (Text-Stand: 7.4.2004)