„Vom Festhalten und Loslassen“ ist ein treffender Titel für diese Geschichte von Inga Lindström alias Christiane Sadlo. Die Romanze mit tragischen Untertönen handelt von einem Reigen, der das Schicksal von mehr als einem halben Dutzend Menschen kunstvoll miteinander verknüpft. Zentrale Figur ist Kristina (Liza Tzschirner), eine Frau um die dreißig, die zwei Jahre zuvor ein doppeltes Trauma erleben musste. Erst erlag der geliebte Vater vor ihren Augen einem Herzinfarkt, dann zerstörte die Mutter ihren Lebenstraum: Weil Hanna (Angela Roy) ihrer Tochter die Schuld am Tod ihres Mannes gab, entzog sie ihr die Verantwortung für den Familienbetrieb, ein Unternehmen für Outdoor-Equipment. Die beiden Ereignisse, zu Beginn in einer Rückblende erzählt, bilden die Basis für ein im Genre-Vergleich recht komplexes Konstrukt, das der routinierte Regisseur Udo Witte jedoch mit leichter Hand umgesetzt hat. Treibstoff der Handlung sind ohnehin diverse amouröse Verwicklungen, die Sadlo mit allerlei Heiterkeiten garniert, auch wenn die jeweiligen Erzählstränge nicht lustig sind: Kristina ist nach dem Rauswurf durch ihre Mutter in der Firma eines Jugendfreundes eingestiegen. Erik (Matthias Brüggenolte) betreibt eine Flugschule und bietet Ballonfahrten an, aber sie ist nicht mit dem Herzen dabei, weder im Unternehmen noch in der Beziehung. Paul (Constantin Lücke) aus Stockholm spürt das sofort, denn ihm geht es ähnlich: Er hat nach einem Heiratsantrag von Freundin Linda (Sarah Maria Besgen) Hals über Kopf das Weite gesucht. Und dann ist da noch Rike (Leonie Brill), die überhaupt keine Lust hat, im elterlichen Betrieb in die riesigen Fußstapfen ihrer großen Schwester zu treten. Bei Erik dagegen schon; die beiden verbindet nicht nur das Anagramm ihrer Namen.
Aus Sicht von Filmkunstverehrern dienen Sendeplätze wie das „Herzkino“ im ZDF allenfalls dem Zeitvertreib, aber es ist recht kunstvoll, wie Sadlo die verschiedenen Erzählebenen miteinander verwoben hat. Neben dem halbdutzendköpfigen Ensemble im Zentrum gibt es noch weitere Figuren, die ebenfalls wichtig für die Geschichte sind, allen voran Pauls vom Ehemann auf einem Kredit sitzengelassene Schwester Ella (Eva-Maria Grein von Friedl), eigentlich eine glückliche Gärtnerin, die aber nun nicht mehr weiter weiß; oder Edwin (Christian Maria Goebel), Hannas rechte Hand, der hinter ihrem Rücken keine wichtige Entscheidung ohne Kristina trifft und seiner Chefin schon lange zugetan ist. Natürlich betten Witte und sein Kameramann Helge Peyker die Ereignisse in schöne Bilder, diverse Sonnenauf- und untergänge über Gewässern inklusive, zumal ein Großteil des Films unter freiem Himmel gedreht worden ist; gerade Kristinas verschiedene Ballonfahrten bieten Anlass für viele Luftaufnahmen (die meisten Naturszenen sind in der Gegend von Nyköping entstanden). Die Musik von Andreas Weidinger schließlich bettet die zum Teil durchaus dramatischen Entwicklungen stets in einen zarten Schmelz, der den Ereignissen ihre Schärfe nimmt. Abgesehen davon sorgt Witte dafür, dass man sich wappnen kann: Als Kristina und ihr Vater zum gemeinsamen Zeltausflug aufbrechen, liegt vom ersten Moment an in der Luft, dass ihm etwas passieren wird. Ähnlich vorhersehbar ist der Augenblick, in dem Kristina herausfindet, was zwischen Erik und ihrer Schwester läuft: Rike verbringt ihre Freizeit damit, Töne und Geräusche aufzunehmen, und selbstredend nimmt Kristina irgendwann wie zufällig den Recorder in die Hand und hört das Liebesgeflüster.
Der „Herzkino“-Zielgruppe sind solche Vorhersehbarkeiten vermutlich egal, schließlich leben gerade die beiden Reihen „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ davon, dass bestimmte Erwartungen erfüllt werden. Dazu gehört nicht nur die Gewissheit, dass sich am Ende alles zum Guten wendet, sondern auch der Verzicht auf unangenehme Überraschungen. Die Qualität der einzelnen Filme steht und fällt daher in erster Linie mit den Schauspielern, und auch in dieser Hinsicht ist „Vom Festhalten und Loslassen“ gelungen. Einzig Angela Roy fällt mit ihrer etwas aufgesetzt wirkenden Art aus dem Rahmen. Die Mutter wird von Anfang an derart konsequent als Antagonistin stilisiert, dass ihr Sinneswandel am Schluss prompt etwas unglaubwürdig ist. Alle anderen Mitwirkenden versehen ihre Figuren dagegen mit einer für diesen Sendeplatz nicht selbstverständlichen Natürlichkeit. Dass Leonie Brill gelegentlich die „Drama-Queen“ gibt, ist Teil der Rolle, genauso bezeichnet ihre Schwester sie auch mal. Gerade Constantin Lücke und Liza Tzschirner bilden zudem ein reizvolles Paar. Der Schauspielerin gelingt es bereits zum zweiten Mal, einen Sonntagsfilm im ZDF eine Klasse besser zu machen. Schon „Wie von einem anderen Stern“, eine Pilcher¬-Liebesgeschichte voller ärgerlicher Klischeefiguren, war allein wegen ihr als Hauptdarstellerin keine Zeitverschwendung; ähnlich sehenswert war sie in der gelungenen romantischen Komödie „Ein Doktor & drei Frauen“ (ebenfalls aus der Pilcher-Reihe) als einer der drei Titelheldinnen. Kaum zu glauben, dass die attraktive frühere „Sturm der Liebe“-Darstellerin nicht schon längst viel öfter in wichtigen Rollen besetzt worden ist. (Text-Stand: 27.7.2018)