Der Himmel hat sie geschickt. Manu (Katharina Schlothauer) ist für Nika (Pegah Ferydoni), die gerade wieder eine Festanstellung als Modedesignerin angenommen hat, und ihren Mann Tom (Florian Stetter) die Retterin in einer schwierigen Familien- und Beziehungsphase. Dabei hat die junge Frau, die gerade erst nach München gezogen ist und hier einen Neubeginn wagen möchte, selbst auch gehörige Probleme. Ein Mann (Aurel Manthei), den sie zu kennen scheint, verfolgt sie. Wer Manu ist, woher sie kommt oder was sie vom Leben will, solche Fragen bleiben auf der Strecke: Sie selbst ist nicht besonders mitteilungsbedürftig und der Stress im Alltag lässt wenig Spielraum für ein besseres Kennenlernen. Dass sie sofort einen so guten Draht zu Leon (Sole Inan Aktas) hat und er sie in sein abenteuerlustiges Kinderherz schließt, allein das zählt. Und die ungebundene Manu hat immer Zeit. „Ist halt scheiße, dass sie so gut aussieht“, wendet lächelnd eine Freundin ein. Doch Tom zeigt anfangs kein Interesse. Er hätte ohnehin lieber weniger ein freundschaftliches Verhältnis und mehr eines auf Angestellten-Basis. Spätestens aber als Manu bei einem Wochenendausflug mit Tom und den Kids Nika vertritt, droht, das Beziehungsgefüge zu kippen. Und dann ist da wieder dieser fremde Mann.
Foto: ZDF / Kerstin Stelter
Rätsel gibt vor allem die fremde Frau auf. Dabei lassen Autor Holger Joos, Regisseur Mark Monheim („About a Girl“, „Alles Isy“) und Manu-Darstellerin Katharina Schlothauer in dem ZDF-Fernsehfilm „In falschen Händen“ keinen Zweifel daran, dass dieses Kindermädchen kein böser Mensch ist. Dafür ist der Umgang mit dem Sohn der Familie einfach viel zu liebevoll. „Ich habe mal als Erzieherin gearbeitet; aber das ist lange her“, gehört zu dem wenigen, was die junge Frau von sich preisgibt. Vielleicht eine Lüge. Aber man glaubt es gern. Während das Ehepaar in erster Linie sieht, wie nett und hilfsbereit ihre neue Bekannte ist, bekommt man als Zuschauer auch andere Facetten dieser Frau zu sehen. Mehr und mehr spürt man bei ihr eine stille Verzweiflung und die damit verbundene mögliche Gefahr, die von ihr ausgehen könnte. Das liegt im Wesen des Genre-Mix‘, für den sich die Macher entschieden haben. Zwar erzählt der Film vornehmlich ein Drama; doch ohne Thriller(verdachts)momente geht heutzutage selbst beim ZDF-Montagsfilm nur wenig. Die Folge: So richtig tief rein in den psychischen Konflikt, das Trauma, das diese Person zu verarbeiten hat, geht die Geschichte nicht. Und so richtig bedrohlich spannend wird es auch nicht; letzteres allerdings spricht am Ende deutlich für den Film. Die Zeiten der knallig-plakativen TV-Mutterschafts-Movies, in denen Frauen zu Furien werden, sind erfreulicherweise längst Geschichte.
Auch wenn Autor Joos, der zuletzt für die herausragenden „Tatort“-Episoden „Blut“ und „Unklare Lage“ die Drehbücher schrieb, das psychologische Motiv lange Zeit nur andeutet, man also merkt, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmt, aber nicht genau weiß, was, so ist für einen etwas erfahreneren Zuschauer der Plot doch ziemlich vorhersehbar. Und wer die psychologischen Narrative des Fernsehfilms nur ein bisschen kennt, der findet mit Sätzen wie „Manu, wie ist das eigentlich, wenn man tot ist“ bald, spätestens mit einem Erinnerungs-Flash nach 22 Minuten den Schlüssel zu dieser Erzählung. Dass sie für ZDF-Plot-Versteher dennoch ihren Reiz behält, das liegt daran, dass man gespannt bleibt, wie das Ganze zu Ende geht, und es liegt vor allem an dem großartigen Schauspielertrio und der außergewöhnlich guten Inszenierung. Nicht zufällig bleibt in den Bildern vieles im Halbdunkel, insbesondere bei den Indoor-Szenen im ersten Teil des Films. Die Rätselhaftigkeit der Geschichte spiegelt sich also in der Optik; dazu die Herbstfarben im Freien, je nach Stimmung matt oder herzerfrischend sonnig. Und bei den Schauspielern sind es Blicke, kleine Zeichen, das Zögern nach einer Frage, Manus Fluchtreflex nach einer zärtlichen Berührung des Ehepaars. Besonders eindringlich sind die Szenen, in denen die innere Befindlichkeit des Kindermädchens zwischen Chaos und beschönigenden „Flashbacks“ nach außen gespiegelt wird. Und dann gibt es die Objekte, die die Verschiebung im Interaktionsgefüge zeigen: So wird die Laterne, die Nika ihrem Sohn gebastelt hat, ersetzt durch Manus Laterne. Dieses sinnliche Zeichen für den Prozess, der über Wochen in der Familie abgelaufen ist, öffnet schließlich Nika die Augen.
Foto: ZDF / Kerstin Stelter
„Grenzüberschreitungen finden bei allen Figuren statt: Der Vater, der Manu etwas zu gut findet, die Mutter, bei der so etwas wie Konkurrenz in Bezug auf die Kinder entsteht, und Manu, bei der die Realitäten miteinander zu verschwimmen scheinen. Sie sorgt sich um Leon, will, dass es ihm gutgeht, und setzt sich sehr stark für ihn ein. Sie versucht, ihn zu schützen. Dabei wird sie zur Löwenmama, obwohl der Junge nicht ihr eigenes Kind ist.“ (Katharina Schlothauer)
Freunde des Genres könnten einige narrative Motive möglicherweise in beglückende Aufregung versetzen. Beziehungsstrukturen, die ins Wanken geraten, Figuren, die durch andere ersetzt werden, Menschen, die zur Projektionsfläche und nach „kranken“ Phantasien umgestaltet werden: Nicht erst das Finale auf einem Aussichtsturm weckt Erinnerungen an Alfred Hitchcocks „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“. Ein traumatisierter Mensch modelt sich sein Leben und die Menschen zurecht. Ähnlich wie beim Meister wird auch in „In falschen Händen“ die seelisch angeknackste Person nicht zum Hassobjekt. Im Gegenteil. Katharina Schlothauer, stets ein belebendes Element in guten („Tatort – Krieg im Kopf“) wie weniger guten („Der Flensburg-Krimi“) TV-Produktionen, verkörpert ihr Trauma-Opfer durchweg als Mensch – anfangs sympathisch, später zunehmend merkwürdig und schließlich eindeutig grenzüberschreitend. Sie zeigt einem quasi zwei Seiten der Kinderliebe: die gesunde und die krankhafte. Sie wollte ihre Figur erlebbar machen, sagt sie im ZDF-Presseheft. Das ist ihr ganz vorzüglich gelungen. Gewohnt überzeugend agieren auch Pegah Ferydoni und Florian Stetter. Die Schieflage, in der sich die Beziehung und das Familienleben ihrer Charaktere befindet, dürfte Anschlusspotenzial für Zuschauerehepaare haben. (Text-Stand: 10.8.2022)