„Ich hab’ mich so begehrt gefühlt“
Sie ist reich, sie ist ein wenig scheu, besonders im Umgang mit Fremden, und sie hat offenbar ein sexuelles Nachholbedürfnis. Sie ist seit 20 Jahren glücklich verheiratet, hat eine Tochter, aber sie hat auch verdrängte Sehnsüchte. Und so passiert es, dass Simone Carstensen-Kleebach, eine erfolgreiche Geschäftsfrau, einem Mann verfällt, der in ihr eine unentdeckte Saite zum Schwingen bringt. Anfangs, während eines Kurzurlaubs, allein auf Norderney, will sie es sich nicht zugestehen. Sie ist vorsichtig, reist nach einem One-Night-Stand Hals über Kopf ab. Lover Leon gibt darauf den enttäuschten Macho: „Das war nicht irgendeine Geschichte, irgendein Fick!“ Damit hat er sie an der Angel. „Ich hatte noch nie eine Affäre; ich weiß gar nicht wie das geht“, sagt die Frau – doch sie lernt schnell, die kleinen Lügen, die heimlichen Treffen, eine erfundene Geschäftsreise. Das Abenteuer macht sie auch beruflich angriffslustiger. Und dann folgen Angebote zu weiteren Verführungen: Leon will mit ihr die Welt umsegeln. Einer ihrer größten Träume, die sie in der Jugend hatte, könnte wahr werden. Sie will, aber etwas lässt sie zögern – und dann kommt für sie das große Erwachen.
Eine Affäre unter falschem Vorzeichen
Die Hingabe hat ihren Preis. Aber der ARD-Fernsehfilm „In der Falle“, der deutlich vom Fall der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten inspiriert wurde, macht aus der Hauptfigur eine Frau, die sich nicht in die Opferrolle drängen lässt. Für Autor-Regisseurin Nina Grosse („Der verlorene Sohn“) ist diese Simone Carstensen-Kleebach „eine sehr protestantische Figur, eine disziplinierte, arbeitsame Frau mit einem hohen Moralkodex“. Mit ihrer verhängnisvollen Affäre betritt sie für sich Neuland; zum ersten Mal in ihrem Leben bricht sie aus und prompt gerät sie in eine Katastrophe, die den guten Namen der traditionsreichen Unternehmerfamilie schwer beschädigen könnte. Sie wählt einen ähnlichen Weg wie Quant-Erbin Susanne Klatten vor sieben Jahren. Um sich und ihre Lieben zu schützen kann es für sie nur einen Weg geben: die Erpressung anzuzeigen und an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dann sitzt sie noch einmal ihrem Verführer, diesem gut aussehenden, charismatischen, geheimnisvollen Mann gegenüber. Der streitet vehement ab, fünf Millionen Euro von ihr verlangt zu haben, damit kompromittierende Fotos von den gemeinsamen Liebesnächten nicht an die Öffentlichkeit gehen. „Ich möchte wissen, ob irgendetwas echt war“, sagt die Frau im Verhörraum. Nachdem sie ihm in die Falle gegangen ist, soll er ihr nun folgen. Doch der Mann beantwortet ihre Frage nicht, bleibt in der Rolle und bei seinem Spiel: „Warum verrätst du mich?“
Kontrollverlust, Lust & die bittere Wahrheit
Auch ohne jede Informationen zum Film, vielleicht sogar auch ohne das Wissen des Titels, „In der Falle“, spürt man früh, dass diese „Beziehung“ kein gutes Ende nehmen wird. Zwar ist dieser Mann charmant, vornehm und anfangs zurückhaltend, Michael Rotschopf („Stralsund“) spielt ihn aber zugleich mit einem Hauch Unverschämtheit, was diesen Leon insgesamt etwas undurchsichtig erscheinen lässt. Hinzu kommen die (un)glücklichen Zufälle und Begebenheiten, die quasi das Vorspiel sind für die erste gemeinsame Nacht – alles kann sein, wie es scheint: der Beginn einer romantischen Affäre, aber ebenso gut ein abgekartetes Spiel, eine Falle romantischer Idealisierung und übersteigerter Projektionen. Wie bei der ersten Annäherung der beiden, beim Drachenfliegenlassen am Strand, weiß er genau, welche Strippen er bei dieser Frau ziehen muss. „Sie haben Lust auf Abenteuer“, sagt er zu ihr – und „er spürt, dass diese sehr kontrollierte und disziplinierte Frau unbewusst nur darauf wartet, endlich mal die Kontrolle abgeben zu dürfen“, betont Grosse. Umgekehrt wird auch die Sehnsucht dieser Frau deutlich, die sonst immer nur funktionieren muss – als Mutter, Ehefrau und Geschäftsfrau, ständig beäugt von der Konkurrenz, dem eigenen Bruder und den gestrengen Blicken der Mutter. Dass Kontrollverlust Lust bedeuten kann, ist für die Heldin eine neue Erfahrung. Grosse: „Deswegen rührt uns die Geschichte so, weil Lust und die Sehnsucht danach ja eigentlich etwas Tolles ist.“ Außerdem ist es ein Stück weit auch der Inszenierungsstil, der die Möglichkeit einer bösen Überraschung einschließt. Denn Grosse hat das Ganze nicht in der Tonlage eines Melodrams inszeniert, sondern sachlich beobachtend, konzentriert und sehr zügig, als ob das, was noch kommt, das Wesentlichere ist.
Ein Film der Zeichen, der Bilder, der Physis
Man kann „In der Falle“ durchaus als einen Schauspielerfilm bezeichnen. Was Claudia Michelsen, die nach etwas schwächeren Filmen hier an ihre Leistungen in den preisgekrönten ARD-Filmen „Der Turm“ und „Grenzgang“ anschließt, zu spielen hat, an sozialen Rollen, an emotionalen Zwischentönen oder nur ganz kleinen Augen-Blicken (die irritierende Reaktion beispielsweise auf den unerwarteten Satz „Sie sehen toll aus“) ist enorm. Auch wie sie es macht: stets passend zur Rolle und zur Situation, so angenehm beiläufig und reduziert, dass da immer noch Raum bleibt für den Zuschauer, sich diese Frau selbst „vorzustellen“. Das passt zu Grosses Erzählstil, der darauf setzt, dass man sich als Zuschauer selbst ein Bild macht. Und so ist „In der Falle“ auch ein „Autorenfilm“, bei dem nicht nur die Regisseurin auch die Autorin ist, sondern der eine besondere Handschrift besitzt. Für Michelsen hat der Film „etwas sehr Frankophiles“. Auf jeden Fall ist es ein Film, der einerseits ausschnitthaft, aber andererseits auch sehr dringlich erzählt. Grosses Spannung entspringt der Physis der Figuren. Das Drachensteigenlassen ist der erste sinnliche Hinweis auf die kommende Verführung. Ein erster Kontakt der Körper, wild wie der Herbstwind. Und aus der lustvollen Umarmung im Liebespiel, aus An- und Entspannung, entwickelt sich die Furcht, entdeckt zu werden, die Angst davor, das bisherige Leben aufzugeben. Alles ist für den Zuschauer hautnah spürbar, genauso wie der private und öffentliche Druck des Skandals, den die Frau aushalten muss. Und so wird der Film fast zu einer Art Thriller einer Verführung. (Text-Stand: 7.10.2015)