Dieser Film führt in selten gesehener Drastik vor Augen, dass der Begriff „Schlachtfeld“ nichts Heroisches hat: In einer Schlacht wird geschlachtet; und das zeigt Edward Berger in quälender Ausführlichkeit. Handwerklich braucht die Verfilmung des Klassikers von Erich Maria Remarque den Vergleich mit Hollywoodproduktionen wie Steven Spielbergs Kriegsdrama „Der Soldat James Ryan“ (1998) oder, aus jüngerer Zeit, „1917“ von Sam Mendes (2019) nicht zu scheuen. Anders als bei früheren Kriegsfilmen, die ihre Botschaft mitunter in zu schöne Aufnahmen verpackten, besteht bei „Im Westen nichts Neues“ nie die Gefahr, den Horror zu ästhetisieren. Die über weite Strecken blaugrauen Bilder, meist durchzogen von einer Mischung aus Rauch und Nebel (Kamera: James Friend) und oft nur von drei Basstönen unterlegt (Musik: Volker Bertelmann), vermeiden jede Comic-hafte Überhöhung, beschönigen aber auch nichts; sie dokumentieren das Verrecken auf eine beinahe nüchterne Weise. Der Ansatz entspricht dem des 1929 erschienenen Romans: Remarque hat die Ereignisse im Stil der damaligen „Neuen Sachlichkeit“ möglichst objektiv geschildert. Diese Haltung hat auf der anderen Seite eine gewisse Distanz zur Folge: Handwerklich bewegt sich die Bildgestaltung nahe an der Perfektion, doch wer nicht gerade eine perverse Freude an Gemetzeln hat, wird möglicherweise hoffen, dass es bald vorbei ist.
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Damit stellt sich die eigentliche Frage: Warum sollte man sich das anschauen, wenn in Europa, nur wenige Flugstunden von Deutschland entfernt, erneut geschossen und gestorben wird? Das wiederum konnte Produzent Malte Grunert natürlich nicht ahnen, als er dieses Projekt vor geraumer Zeit initiiert hat, aber der russische Angriff auf die Ukraine verleiht dem Film eine morbide Aktualität, denn „Im Westen nichts Neues“ ist selbstverständlich ein Anti-Kriegsfilm. Voraussetzung dafür ist der konsequente Verzicht auf die Glorifizierung militärischer Leistungen. Das verbietet sich im Unterschied zu amerikanischen oder britischen Produktionen aus hiesiger Sicht ohnehin, und so liefert der Film unbeabsichtigt auch eine Erklärung dafür, warum Teile der Bundesregierung und mit ihnen viele Deutsche keine schweren Waffen an die Ukraine liefern wollen. Der Film führt nachdrücklich vor Augen, warum die Parole „Nie wieder Krieg!“ so tief im kollektiven Unbewussten verwurzelt ist.
Bergers Drehbuch basiert auf einer Vorlage der Amerikaner Ian Stokell und Lesley Paterson, die sich jedoch deutlich von der Romanvorlage entfernt hatten. Der Grimme-Preisträger („Ein guter Sommer“, 2011) hat die Handlung wieder näher an das Buch geführt, sie aber zeitlich Richtung Kriegsende versetzt. Auf diese Weise konnte er sie um die Verhandlungen über einen Waffenstillstand ergänzen (mit Daniel Brühl als Leiter der deutschen Kommission). Die zusätzliche Ebene unterscheidet seine Version nicht nur von der mit „Oscars“ für den Besten Film und die Beste Regie ausgezeichnete Verfilmung von Lewis Milestone (1930), sie treibt auch die Sinnlosigkeit des massenhaften Sterbens auf die Spitze: Endlich ist die Kapitulation unterzeichnet, am 11.11. um 11 Uhr soll der Krieg enden. Noch 15 Minuten vorher schickt ein General (Devid Striesow) seine Kompanie und die Hauptfigur noch rasch in den sicheren Tod.
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Genau genommen begleitet der Film jedoch nicht Paul (Felix Kammerer in seiner ersten Rolle), sondern seine Uniform, denn „Im Westen nichts Neues“ erzählt die Geschichte des Stellungskriegs an der Westfront, der Millionen junger Männer auf beiden Seiten das Leben gekostet hat, anhand eines Kleidungsstücks: Im Prolog kommt ein junger Soldat beim Sturm auf die feindlichen Stellungen um. Nach seinem Tod wird die Uniform gewaschen und geflickt. Bei seiner Einkleidung entdeckt Paul, der sich 1917 gemeinsam mit einigen befreundeten Mitschülern freiwillig gemeldet hat, ein Namensschild in seiner Uniform. Das Etikett wird herausgerissen und landet bei den vielen anderen, die bereits unter dem Tisch liegen. Diese Szene ist in ihrer Reduziertheit gleichermaßen lakonisch wie beredt: Ihr seid Kanonenfutter; eure Namen sind Schall und Rauch. Konsequenterweise verrät das Drehbuch kaum persönliche Details über die Männer, die Paul im Schützengraben kennenlernt. Von Katczinsky (Albrecht Schuch) erfährt er immerhin, dass er verheiratet ist und sein kleiner Sohn an den Pocken gestorben ist, aber das auch nur, weil der Kamerad nicht lesen kann und Paul ihm auf dem Donnerbalken den Brief seiner Frau vorliest. Ein echter Handlungsfluss kommt allerdings nicht in Gang, weil Berger die Ereignisse wie der Roman episodisch aneinanderreiht. Das wiederum führt fast zwangsläufig zu einer gewissen Gleichförmigkeit, die nur durch wenige Höhepunkte unterbrochen wird: Kat klaut eine Gans, die den Freunden eine willkommene Abwechslung vom ewigen Steckrübenbrot beschert, Albert (Aaron Hilmer) findet seine Traumfrau. Diese Momente sorgen auch filmisch für Abwechslung: Erst spricht der entzückte Albert in die Kamera, dann wandert sie um ihn herum und offenbart, dass er mit einer Figur auf dem Plakat für ein französisches Fronttheater plaudert.
Der Rest ist Sterben. Immer wieder zeigt Berger stilllebenartige Bilder vom Tod. Die Aufnahmen der Lichtspuren, die die Leuchtpatronen am Nachthimmel hinterlassen, sind von berückender Schönheit; andere Anblicke sind einfach bloß bizarr und erinnern an düstere Renaissance-Gemälde, etwa der Anblick zerfetzter sterblicher Überreste hoch oben in einem Baum. Viele Momente sind von alptraumhafter Grausigkeit: Panzer, die gleichgültig Soldaten zermalmen; Franzosen, die ihre Flammenwerfer in den Schützengraben richten; gleichgültiges MG-Feuer, das zwischen die deutschen Linien fährt wie die Sense eines Bauern. Schon die ersten Bilder des Films lassen keinen Zweifel daran, dass die Ära der Helden im Zeitalter der industriellen Kriegsführung mit Maschinengewehren, Panzern und Kampfflugzeugen vorüber ist; in den Schützengräben geht es nur ums nackte Überleben. Sechs Wochen hat Berger allein für die Schlachtfeldszenen benötigt. Die entsprechende logistische Herausforderung lässt sich nur erahnen, aber wie anstrengend und fraglos auch psychisch belastend die Dreharbeiten für die Mitwirkenden gewesen sein müssen, ist ihnen ins Gesicht geschrieben. „Im Westen nichts Neues“ ist der deutsche Kandidat für die „Oscar“-Kategorie Bester Internationaler Film.