Maren Adam (Maria Simon), glücklich verheiratet mit Mehdi (Carlo Ljubek) und Mutter zweier Kinder, steht mit ihrer Freundin Iris (Jasmin Gerat) vor der Eröffnung eines Lokals. Ihr Bruder hilft ihr bei den Bauarbeiten und entdeckt im Keller des Gebäudes einen Tunnel. Maren will, dass er den Eingang schnell zumauert. Kurz darauf findet sie ihren Bruder erschlagen in seiner Wohnung. Ihr Leben gerät daraufhin völlig aus den Fugen. Die Polizei behandelt den Fall nur routiniert. So macht sich die verzweifelte Frau selbst auf die Suche nach dem Mörder ihres Bruders. Je tiefer sie sich in dessen Recherchen zu Machenschaften einer Firma stürzt, desto mehr glaubt sie einer international agierenden Atommüllmafia auf die Spur gekommen zu sein. Zu ihrem Entsetzen scheint auch ihr Mann in dieses schmutzige Geschäft verwickelt zu sein. Maren fühlt sich zunehmend beobachtet und verfolgt. Sie sucht Hilfe, doch keiner glaubt ihr. Sie nimmt ihre Kinder und flieht – aber vor wem eigentlich?
2010 haben Regisseur Kai Wessel, Autorin Astrid Ströher und Produzentin Lisa Blumenberg bereits einmal ein Projekt miteinander umgesetzt, in dem es um eine Frau in einer psychischen Grenzsituation ging. Im Drama „Es war einer von uns“ ging es um eine Vergewaltigung, die Hauptrolle spielte Maria Simon. Nun hat dieses Team erneut einen Film über eine Frau in einer psychischen und physischen Extremsituation produziert: „Im Tunnel“. Der Film beginnt als typischer Verschwörungsthriller. Das Leben der Heldin gerät unverschuldet aus den Fugen. Doch bald verbirgt sich hinter dem Thriller eine tiefer gehende Geschichte. Es geht um unterschiedliche Wahrnehmung in einer komplexen, globalisierten Welt. Und darum, dass dies Menschen so sehr verunsichern kann, dass sie psychisch nicht mehr damit zurecht kommen.
Foto: ZDF / Boris Laewen
„Nie habe ich die Welt klarer gesehen. Ich wusste, wie alles zusammenhängt“, sagt Maren zu Beginn des Films. „Nie hätte ich gedacht, dass die Menschen, die ich am meisten liebe, meine Feinde sind.“ Was geschah, zeigt der Film in verschachtelten Rückblenden – Maren schildert das einer Gutachterin (Johanna Gastdorf). Kai Wessel (Grimme-Preis für „Zeit der Helden“, Bayerischer Filmpreis für „Nebel im August“), erzählt die Psychose einer Frau von innen heraus, so wie sie die Erkrankende erlebt. In ihr passiert etwas, ihre Wahrnehmung verändert sich und damit auch die Welt um sie herum. Die Erzählung ist stets sehr dicht und nah an der Hauptfigur, dabei gelingt es Regisseur Wessel, den seelischen Zustand der Frau – Einsamkeit, Verfolgungswahn, Angst um die Kinder – mit der Bildsprache (Kamera: Ngo The Chau) dem Zuschauer nahe zu bringen. Voll gespenstischer Atmosphäre sind die spärlich ausgeleuchteten Szenen im Tunnel. Wessel hat mit dem Gedanken gespielt, diese Passagen – wie in „Der dritte Mann“ – in der Kanalisation Hamburgs zu drehen, „aus praktischen und gesundheitlichen Gründen haben wir uns letztlich entschieden die Tunnel im Studio zu bauen“, sagt er. Der intensiven, beklemmenden Wirkung der Szenen hat dies keinen Abbruch getan.
Dichte, glaubwürdige Charaktere hat Astrid Ströher, vielseitige Drehbuchautorin (von der ZDF-Polizeiserie „Notruf Hafenkante“ über „Lena Lorenz“ bis zum bereits erwähnten „Es war einer von uns“), in eine spannungsreiche Story gepackt. Bald wird klar, nicht Maren ist in Gefahr, sondern sie wird zur Gefahr für sich und andere. Je mehr sie um Anerkennung, ihre Familie und die Freiheit kämpft, desto tiefer gerät sie in einen Strudel. In die Abgründe der menschlichen Psyche führt Ströhers Geschichte, es ist ein furchterregender, einsamer Zustand, auf den Maren zusteuert. In der Ausformung sicher zugespitzt, sagt der Film aber viel über unsere Gesellschaft aus, in der immer mehr Menschen diffuse Ängste entwickeln und nicht mehr wissen, was sie glauben oder wem sie trauen können. Die Protagonistin des Films steigert sich immer mehr in ihre Verschwörungstheorie hinein – bis sie völlig den Halt verliert. Die Suche nach der Wahrheit führt bei ihr in den Wahn. „Sicherlich müssen dazu sehr viele Faktoren zusammenkommen“, sagt Autorin Ströher, die für das Drehbuch sehr viel zu dem Thema recherchiert und auch Kliniken besucht hat, „aber Tatsache ist, dass jeder Mensch in der einen oder anderen Form psychisch erkranken kann. Ein Ansinnen des Filmes ist, darauf aufmerksam zu machen. Abgesehen von einem krankhaften Wahn ist es gerade in der heutigen Zeit mit der brennenden Thematik um Fake News (alternative Fakten), die angebliche ,Lügenpresse‘, die mutmaßlich von Regierungen gesteuert agiert, sehr wichtig, immer wieder zu überprüfen: Woher kommen die Informationen, mit deren Hilfe ich auf die Welt schaue? Wer bereitet mir diese auf und welche kurz- oder auch sehr langfristigen Ziele werden damit verfolgt? Sind die Informationen, die ich erhalte, überprüft und belastbar?“
Foto: ZDF / Boris Laewen
„Im Tunnel“ ist weit mehr als ein Thriller, es ist ein vielschichtiges und packendes Psycho-Drama, das die Frage stellt: Was ist eigentlich Realität? Und wer bestimmt, was wahr ist und was nicht? „Im Tunnel“ ist aber auch der Film einer Schauspielerin, die hier eindrucksvoll ihre Kunst zeigen kann: Maria Simon hat in Dramen wie „Es war einer von uns“ oder „Silvia S. – Blinde Wut“ ihr enormes Gespür und Einfühlungsvermögen für schwere Themen und schwierige Charaktere bewiesen und scheint in ihrer Rolle als Kommissarin im „Polizeiruf 110“ ein wenig unterfordert. Sie spielt diese Maren nuanciert, facettenreich, nachvollziehbar in den Momenten des Zweifels und wenn sie mit Dingen klar kommen muss, die vorher vielleicht auch schon da waren, an denen sie aber vorbei gelebt hat.