Wolfgang Kerber steht unter Druck. Der Chefredakteur sitzt dem Polizeireporter wegen seiner aufwändigen Recherchemethoden im Nacken. Und auch sein Informant will Geld sehen. Da muss eine heiße Story her. Dafür hatte Kerber immer schon ein Näschen. Eine junge Frau ist in einem brandenburgischen Provinzkaff verschwunden. Der Mann, der vor der Wende ein privilegierter Sportfotograf der DDR-Nachrichtenagentur war, wittert seine Story: „Verschwunden in einer Region ohne Zukunft, vermisst in einem Landstrich voller Hoffnungslosigkeit und Gewal“, textet er, noch bevor er mit jemandem gesprochen hat. Doch die ersten Informationen, die er einholt, scheinen seine bösen Ahnungen zu bestätigen.
Der gebürtige Ostberliner Marco Mittelstaedt nähert sich in seinem zweiten Langfilm „Im nächsten Leben“ der Vita seines Vaters an. Von ADN ging der nach der Wende direkt zur Bildzeitung. Als 17-Jähriger hat Mittelstaedt das seinem Vater schwer übel genommen. „Heute denke ich etwas differenzierter darüber“, sagt er. Im Film hat Wolfgang Kerber eine Tochter. Seine Frau ist früh an Krebs gestorben. Er hat es nicht gemerkt zwischen seinen zahlreichen Auslandsjobs. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist das Verhältnis zwischen ihm und seiner Tochter abgekühlt. Kerber hat sich immer nur eingerichtet, er hat nie sein Handeln hinterfragt. Die Welt war stets die Projektionsfläche für seine Wünsche. Und sie ist es immer noch, wie sich bei seiner aktuellen Recherche zeigt: Kerber sieht immer nur das, was er sehen will.
Edgar Selge spielt diesen Wolfgang Kerber und man könnte sich keinen Besseren wünschen. Dieses Verbissene, diese verzweifelte Flucht nach vorn. Dazu dieses markante und zugleich kantige Auftreten: Man spürt noch den Macher von einst, der glaubt zu wissen, wie der Hase läuft. Doch mit dem Mercedes vorfahren reicht nicht mehr, schützt nicht vor Lächerlichkeit. Im Gegenteil. Dieser Mann wirkt bisweilen linkisch, ungeschickt. Die Dünnhäutigkeit, die zunehmende Anspannung, die Wut (auch auf sich selbst) sind geradezu physisch spürbar. Und dann ist da noch der andere Teil seiner Arbeit, der Glanz in seine Augen treibt und einen anderen Anteil seines Wesens zeigt: „Die Menschen brauchen Hoffnung“, sagt Kerber. Er kümmert sich um die Protagonisten seiner Storys, er ist nicht nur ein harter Hund.
„Im nächsten Leben“ hat dramaturgische Schwächen: Die Absicht hinter der doppelten Geschichte von der Blindheit – damals und heute – ist allzu offensichtlich und die Vater-Tochter-Geschichte bleibt vordergründig. Fazit: Als Porträt eines Wendeverlierers ist der Film zumindest interessant, als tragisches Psychogramm eines hemmungslosen Pragmatikers, der in eine Lebenskrise gerät, ist diese Kino-Koproduktion dagegen sehr überzeugend.