Schon ein versehentliches Anrempeln genügt. Die Kamera folgt Daniel (Christian Erdt) über volle Straßen. Überall Menschen und Baustellen. „Sorry“, murmelt er noch, bevor der Strudel seiner Rache-Fantasien seinen Lauf nimmt. Während „Alles Übel der Welt“ in teilweise brutalen Szenen Daniels Zweikämpfe mit einem imaginierten Gegner bebildert, zeigt der Sprung in die Gedankenwelt eines anderen Passanten am Ende, dass es nicht so eskalieren muss. Während sich die Wut in Daniel (nach seinen anfänglichen Sprachübungen als erfolgloser Schauspieler vorstellbar) potenziert, verfliegt sie beim nächsten Passanten nach wenigen Sekunden. Die innere Stimme verstummt, die Kamera wechselt von nah zur Aufsicht und entfernt sich. Ende der Geschichte.
Foto: ZDF / Rebecca Meining
Es geht um Aggressionen, um Unsicherheit, um übertriebene Ansprüche an sich selbst, um kindliche Ängste und falsche Rollenbilder. Im Kopf brechen sich Aggressionen Bahn. Angst dreht hoch zu Panik. Unsicherheit lähmt, Allmachtsfantasien münden in Misstrauen. Wie bei Karsten Drechsler (Mark Waschke). Drechsler ist auf der Überholspur – im Bild und gedanklich. Wer bremst, hat verloren. In Gedanken spielt er seinen Berufsausstieg durch, aber loslassen hat er nie gelernt. Mark Waschke (Episode fünf) ist zweifellos das prominenteste Gesicht in diesem Reigen. Andere Storys folgen frischen Gesichtern wie Carlo Schmitt in der titelgebenden Episode oder Katharina Stark in „Weil ich ein Kind der Sonne bin“. In der Rolle der psychisch labilen Marie denkt sie immer in alle Richtungen, kann sich schwer entscheiden. Wir treten mit ihr auf der Stelle. Kaum auszuhalten ist das.
„I Am The Greatest“ folgt seinen Anti-Helden in sieben verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Episoden sind schnörkellos inszeniert. Alles ist Abbild realen Lebens. Hochglanzbilder wären falsch hier. Ungeschönt wirkt die Szenerie meist trüb, die Aufnahmen manchmal geradezu schmutzig. Wenn Regisseur Nicolai Zeitler in Episode drei als unsicherer Vater Robert mit seinem Sohn auf den Spielplatz geht, ist das kein Ort der Freude. Robert hat Angst, seinen Sohn zum Muttersöhnchen erzogen zu haben. Er leidet unter den Blicken anderer Mütter und imaginiert die Zukunft seines Sohnes als Versager. Grundlos, aber spürbar kränkend.
Foto: ZDF / Rebecca Meining
Das Langfilmdebüt des Paares Marlene Bischof und Nicolai Zeitler, die gemeinsam auch das Drehbuch schrieben, ist anstrengend, aber gut. Ermüdend sind am ehesten die Einstiege. Die Herangehensweise an die Geschichten ähneln einander mehr als die Verläufe. Nicht jedes Gesicht weckt gleich unsere Neugier und nicht immer gelingt es, ein Problem filmisch spürbar zu machen. Zeitler und Bischof entwickeln und inszenieren seit 2016 gemeinsam Kurzfilme und Werbespots. Ihr Langfilmdebüt „I Am The Greatest“ entstand 2023 in Zusammenarbeit mit dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF. Die Themen, die das Experiment „erster Langfilm“ für Zeitler und Bischof mit sich brachte, kennen sie als Eltern zweier Kinder nur zu gut. In Episode drei war Zeitler als Regisseur, Schauspieler und Vater gleichzeitig im Einsatz. Nach seinen Worten „unglaublich viel und alles gleichzeitig.“

