Die Kramers sind ein Haufen Individualisten. Das Wort Familie scheint für sie nicht erfunden worden zu sein. Allein das „Hotel Heidelberg“ hält die Sippschaft einigermaßen zusammen. Da ist Hermine (Hannelore Hoger), die flippige Seniorchefin, die das Hotel einst zum Kult-Ort für unkonventionelle Gäste aus aller Welt gemacht hat. Da ist Annette (Ulrike C. Tscharre), die offiziell zwar die Geschäfte leitet, aber im Fall der Fälle schon mal die Koffer tragen muss, während ihre Mutter die geistreiche Diva mimt. Da ist Günter (Rüdiger Vogler), emeritierter Philosophieprofessor, seit 30 Jahren von Hermine getrennt, aber nach einem Mikroinfarkt wieder ins Hotel gezogen. Da ist Annettes jüngere Schwester Floriane (Nele Kiper), die außerhalb von Heidelberg einen Bio-Hof bewirtschaftet und das Hotel mit ihren Produkten beliefert. Und da ist der Benjamin der Kramers: Jeremy (David Nolden), der wie seine Mutter Annette noch immer seinen tödlich verunglückten Vater schmerzlich vermisst. Weil den Kramers droht, ihr Hotel an die Bank zu verlieren, muss auch Annettes Bruder Stefan (Stephan Grossmann) im Hotelbetrieb einspringen. Außerdem bekommt Mutter Hermine, die gern auf großem Fuß lebt, die rote Karte gezeigt: keine Kontovollmacht mehr. Und schließlich will Annette, die seit Jahren den Laden schmeißt, auch die alleinige Geschäftsführung. Von Hermine gibt es dafür nur ein müdes Lächeln. Aber nicht zuletzt ihr Therapeut (Christoph Maria Herbst) bestärkt Annette darin, sich selbstbewusst gegenüber ihrer bockigen Mutter zu behaupten. „Sie können auch den Rest Ihres Lebens Kramer gegen Kramer spielen, aber am Ende des Tages geht es nur um eine einzige Frage: ‚Sind Sie bereit Sie selbst zu sein?’“.
Foto: Degeto / Martin Menke
Wurde das Domizil für extravagante Gäste, das nicht nur durch seinen traumhaften Neckarblick besticht, zu seiner Hoch-Zeit als „das etwas andere Hotel“ gefeiert, so dürfte die neue Degeto-Produktion „Hotel Heidelberg“ gleichermaßen die etwas andere Hotel-Reihe werden. Die Besetzung jedenfalls bestätigt nachdrücklich diese Hoffnung: Hannelore Hoger, Ulrike C. Tscharre, Christoph Maria Herbst und Rüdiger Vogler – das ist erste Garnitur. Hoger, deren spitzzüngige Kratzbürste mit ihrer Selbstgefälligkeit auch manchen Zuschauer provozieren wird, die andererseits das Thema Altwerden, für die 68er eine besondere Bürde, nachhaltig ins Spiel bringt, entwirft das Bild dieser faszinierenden Frau in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Vogler, der die letzten Jahre häufig unter seinen Möglichkeiten bleiben musste, darf in seiner Rolle zumindest andeuten, dass er nicht nur bei Wenders Neue Deutsche Filmgeschichte geschrieben hat; als ruhender Pol am Rande ist er sehr überzeugend. Und Tscharre und Herbst sind spätestens seit „Besser als Du“ ein Traumpaar des gehobenen Unterhaltungsfilms. Während der Therapeut in der Gegenwart seiner Lieblingspatientin stottert und mit allerlei Freudschen Versprechern auffällt, ist das Markenzeichen der Hotelmanagerin ihr Lächeln. Selbst in Frustsituationen bleibt die heimliche Hauptfigur der Reihe einigermaßen freundlich – das mag an Tscharres positiver Ausstrahlung liegen, ließe sich auch als „zweite Natur“ einer Hotelchefin lesen, ist aber auch in der Persönlichkeit dieser Figur verankert, die auf der Zielgeraden von „Kramer gegen Kramer“, erkennt, weshalb sie immer nur für andere da ist und ihre eigenen Ziele, aber auch ihr persönliches Glück nicht hinreichend verfolgt hat. Überhaupt ist das die Stärke dieser ersten Episode: Autor Martin Rauhaus („Nichts für Feiglinge“) hat den Kramers eine gute biographische Grundierung mit auf den Weg gegeben (auch wenn das Vergangene erst nach und nach preisgegeben wird), auf der mehr zustande kommen kann und wird, wie vor allem Episode 2, „Kommen und Gehen“ zeigt, als es beispielsweise in Soaps üblich ist, in denen die Figuren vordergründig mit ähnlichen Konfliktlagen – Generationenstreit, Liebe, Älterwerden, Krankheit, Selbstfindung – konfrontiert werden. „Hotel Heidelberg“ erreicht da bisweilen schon eine andere Tiefe.
Foto: Degeto / Martin Menke
Soll dieses Hotel, was die Geschichten und die Charaktere angeht, offenbar mehr „Chateau Marmont“ als „Schwarzwaldhof“ (so hieß eine Degeto-Reihe 2008-12) sein und absolut nichts mit dem erfreulicherweise geschlossenen „Traumhotel“ zu tun haben, so hinkt die filmische Anmutung der neuen Reihe allerdings hinter der klugen Grundidee hinterher. Helmut Zerlett komponierte ein Leitmotiv, das zwar so ein bisschen den Fluss des Lebens simuliert, aber eben auch ziemlich belanglos vor sich hin plätschert. Wie die Musik soll offensichtlich auch die Inszenierung von Michael Rowitz („Mit Burnout durch den Wald“) möglichst nicht wahrgenommen werden. Wenn die tonlagensicheren Hauptdarsteller Bild füllend die Szenerie bestimmen (was ja die meiste Zeit der Fall ist), fällt das so gut wie nicht ins Gewicht. Obwohl man natürlich die Möglichkeit verschenkt, den Schauspielerauftritten, die die Handlung dominieren, ein ästhetisches Konzept entgegenzusetzen. Auch ein etwas coolerer Film-Look hätte diesem einst offenbar so coolen Hotel gut zu Gesicht gestanden – und würde sicher nicht gleich die ARD-Freitagsabendzuschauer vergraulen. Dass der Erzählfluss mitunter etwas holpert, ist dem Umstand geschuldet, dass ja das Personal erst einmal eingeführt werden muss. Andererseits: Den famosen Schauspieler-Performances – allen voran von Hannelore Hoger – zum Trotz sind 90 Minuten für die beiden zentralen Konflikte, dieses nie enden wollende Mutter-Tochter-Ding und das Hickhack mit der Bank, dann allerdings doch viel Zeit. Gut, dass Herbsts Psychotherapeut in die Konfliktlösungen sinnvoll eingebunden ist (selbst die Psychoklempner verabscheuende Seniorchefin erliegt seiner Couch), so hat das Happy End nur bedingt den Anschein, als werde hier vor allem eine dramaturgische Konvention bedient. Nachdem man lange auf das Wohlfühlende warten musste, ist nun der Weg frei, um sich nicht länger im Kleinkrieg in der Familie oder mit der Bank zu zermürben, sondern um endlich zu den grundsätzlichen Dingen des Lebens vorzustoßen. Was „Kramer gegen Kramer“ in der anrührenden Geschichte der Episodenhauptfigur andeutet, einem lebensmüden Niederländer, der seiner verstorbenen Frau nachtrauert – auf ein Mehr solch zwischenmenschlicher Tiefe darf man sich in Episode 2, „Kommen und Gehen“, freuen. (Text-Stand: 28.1.2016)