Hotel Heidelberg – Kramer gegen Kramer

Hoger, Tscharre, Herbst, Vogler, Rauhaus, Rowitz. Eine Couch für die Kramer-Frauen

Foto: Degeto / Martin Menke
Foto Rainer Tittelbach

Wurde das Titel gebende Domizil für extravagante Gäste zu seiner Hoch-Zeit als „das etwas andere Hotel“ gefeiert, so dürfte die Degeto-Produktion „Hotel Heidelberg“ gleichermaßen die etwas andere Hotel-Reihe werden. Schon die Besetzung ist erste Garnitur, aber auch in der Art, wie die Geschichten erzählt sind, lässt Autor Martin Rauhaus keinen Zweifel daran, dass hier kein schwäbisches „Traumhotel“ zu erwarten ist. Dramaturgie & Flow stimmen in „Kramer gegen Kramer“ noch nicht ganz, die Hauptdarsteller sind dafür umso besser: Hoger gibt wunderbar die Bärbeißige, Tscharre strahlt, Herbsts Psychotherapeut stottert und sorgt dafür, dass es zwischen Mutter und Tochter endlich besser klappt. Das Versprechen zum Start löst die zweite Episode, „Kommen und Gehen“, mit einem Mehr an Tiefgang ein.

Die Kramers sind ein Haufen Individualisten. Das Wort Familie scheint für sie nicht erfunden worden zu sein. Allein das „Hotel Heidelberg“ hält die Sippschaft einigermaßen zusammen. Da ist Hermine (Hannelore Hoger), die flippige Seniorchefin, die das Hotel einst zum Kult-Ort für unkonventionelle Gäste aus aller Welt gemacht hat. Da ist Annette (Ulrike C. Tscharre), die offiziell zwar die Geschäfte leitet, aber im Fall der Fälle schon mal die Koffer tragen muss, während ihre Mutter die geistreiche Diva mimt. Da ist Günter (Rüdiger Vogler), emeritierter Philosophieprofessor, seit 30 Jahren von Hermine getrennt, aber nach einem Mikroinfarkt wieder ins Hotel gezogen. Da ist Annettes jüngere Schwester Floriane (Nele Kiper), die außerhalb von Heidelberg einen Bio-Hof bewirtschaftet und das Hotel mit ihren Produkten beliefert. Und da ist der Benjamin der Kramers: Jeremy (David Nolden), der wie seine Mutter Annette noch immer seinen tödlich verunglückten Vater schmerzlich vermisst. Weil den Kramers droht, ihr Hotel an die Bank zu verlieren, muss auch Annettes Bruder Stefan (Stephan Grossmann) im Hotelbetrieb einspringen. Außerdem bekommt Mutter Hermine, die gern auf großem Fuß lebt, die rote Karte gezeigt: keine Kontovollmacht mehr. Und schließlich will Annette, die seit Jahren den Laden schmeißt, auch die alleinige Geschäftsführung. Von Hermine gibt es dafür nur ein müdes Lächeln. Aber nicht zuletzt ihr Therapeut (Christoph Maria Herbst) bestärkt Annette darin, sich selbstbewusst gegenüber ihrer bockigen Mutter zu behaupten. „Sie können auch den Rest Ihres Lebens Kramer gegen Kramer spielen, aber am Ende des Tages geht es nur um eine einzige Frage: ‚Sind Sie bereit Sie selbst zu sein?’“.

Hotel Heidelberg – Kramer gegen KramerFoto: Degeto / Martin Menke
Die Charaktere sind psychologisch gut geerdet. Nicht die Genre-Konvention, sondern u.a. der Psychotherapeut (Christoph Maria Herbst) sorgt für das erhoffte Wohlfühlende. Hermine (Hannelore Hoger) geht ein Licht auf. Weshalb immer nur kämpfen? „Hoffnungslos“, dieses ungute Muster ihrer Mutter hat sie an ihre eigene Tochter weitergegeben. Ganz OBEN: „Wenn Sie sich bewegen, hat der Rest des Systems keine andere Wahl, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen.“ Dr. Ingolf Muthesius weiß alles über seine Patientin Annette (Ulrike C. Tscharre) und macht ihr ständig Mut. Das hindert ihn aber nicht daran, in ihrer Gegenwart ins Sto-Sto-Stottern zu verfallen.

Wurde das Domizil für extravagante Gäste, das nicht nur durch seinen traumhaften Neckarblick besticht, zu seiner Hoch-Zeit als „das etwas andere Hotel“ gefeiert, so dürfte die neue Degeto-Produktion „Hotel Heidelberg“ gleichermaßen die etwas andere Hotel-Reihe werden. Die Besetzung jedenfalls bestätigt nachdrücklich diese Hoffnung: Hannelore Hoger, Ulrike C. Tscharre, Christoph Maria Herbst und Rüdiger Vogler – das ist erste Garnitur. Hoger, deren spitzzüngige Kratzbürste mit ihrer Selbstgefälligkeit auch manchen Zuschauer provozieren wird, die andererseits das Thema Altwerden, für die 68er eine besondere Bürde, nachhaltig ins Spiel bringt, entwirft das Bild dieser faszinierenden Frau in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Vogler, der die letzten Jahre häufig unter seinen Möglichkeiten bleiben musste, darf in seiner Rolle zumindest andeuten, dass er nicht nur bei Wenders Neue Deutsche Filmgeschichte geschrieben hat; als ruhender Pol am Rande ist er sehr überzeugend. Und Tscharre und Herbst sind spätestens seit „Besser als Du“ ein Traumpaar des gehobenen Unterhaltungsfilms. Während der Therapeut in der Gegenwart seiner Lieblingspatientin stottert und mit allerlei Freudschen Versprechern auffällt, ist das Markenzeichen der Hotelmanagerin ihr Lächeln. Selbst in Frustsituationen bleibt die heimliche Hauptfigur der Reihe einigermaßen freundlich – das mag an Tscharres positiver Ausstrahlung liegen, ließe sich auch als „zweite Natur“ einer Hotelchefin lesen, ist aber auch in der Persönlichkeit dieser Figur verankert, die auf der Zielgeraden von „Kramer gegen Kramer“, erkennt, weshalb sie immer nur für andere da ist und ihre eigenen Ziele, aber auch ihr persönliches Glück nicht hinreichend verfolgt hat. Überhaupt ist das die Stärke dieser ersten Episode: Autor Martin Rauhaus („Nichts für Feiglinge“) hat den Kramers eine gute biographische Grundierung mit auf den Weg gegeben (auch wenn das Vergangene erst nach und nach preisgegeben wird), auf der mehr zustande kommen kann und wird, wie vor allem Episode 2, „Kommen und Gehen“ zeigt, als es beispielsweise in Soaps üblich ist, in denen die Figuren vordergründig mit ähnlichen Konfliktlagen – Generationenstreit, Liebe, Älterwerden, Krankheit, Selbstfindung – konfrontiert werden. „Hotel Heidelberg“ erreicht da bisweilen schon eine andere Tiefe.

Hotel Heidelberg – Kramer gegen KramerFoto: Degeto / Martin Menke
Um ihr Hotel vor der Pleite zu retten, müssen die Kramers an einem Strang ziehen. Das ist nicht ganz einfach. Vor allem die Seniorchefin will sich nicht abschieben lassen. Günter (Rüdiger Vogler), Jeremy (David Nolden), Hermine (Hannelore Hoger), Stefan (Stephan Grossmann), Annette (Ulrike C. Tscharre), Florine (Nele Kiper)

Soll dieses Hotel, was die Geschichten und die Charaktere angeht, offenbar mehr „Chateau Marmont“ als „Schwarzwaldhof“ (so hieß eine Degeto-Reihe 2008-12) sein und absolut nichts mit dem erfreulicherweise geschlossenen „Traumhotel“ zu tun haben, so hinkt die filmische Anmutung der neuen Reihe allerdings hinter der klugen Grundidee hinterher. Helmut Zerlett komponierte ein Leitmotiv, das zwar so ein bisschen den Fluss des Lebens simuliert, aber eben auch ziemlich belanglos vor sich hin plätschert. Wie die Musik soll offensichtlich auch die Inszenierung von Michael Rowitz („Mit Burnout durch den Wald“) möglichst nicht wahrgenommen werden. Wenn die tonlagensicheren Hauptdarsteller Bild füllend die Szenerie bestimmen (was ja die meiste Zeit der Fall ist), fällt das so gut wie nicht ins Gewicht. Obwohl man natürlich die Möglichkeit verschenkt, den Schauspielerauftritten, die die Handlung dominieren, ein ästhetisches Konzept entgegenzusetzen. Auch ein etwas coolerer Film-Look hätte diesem einst offenbar so coolen Hotel gut zu Gesicht gestanden – und würde sicher nicht gleich die ARD-Freitagsabendzuschauer vergraulen. Dass der Erzählfluss mitunter etwas holpert, ist dem Umstand geschuldet, dass ja das Personal erst einmal eingeführt werden muss. Andererseits: Den famosen Schauspieler-Performances – allen voran von Hannelore Hoger – zum Trotz sind 90 Minuten für die beiden zentralen Konflikte, dieses nie enden wollende Mutter-Tochter-Ding und das Hickhack mit der Bank, dann allerdings doch viel Zeit. Gut, dass Herbsts Psychotherapeut in die Konfliktlösungen sinnvoll eingebunden ist (selbst die Psychoklempner verabscheuende Seniorchefin erliegt seiner Couch), so hat das Happy End nur bedingt den Anschein, als werde hier vor allem eine dramaturgische Konvention bedient. Nachdem man lange auf das Wohlfühlende warten musste, ist nun der Weg frei, um sich nicht länger im Kleinkrieg in der Familie oder mit der Bank zu zermürben, sondern um endlich zu den grundsätzlichen Dingen des Lebens vorzustoßen. Was „Kramer gegen Kramer“ in der anrührenden Geschichte der Episodenhauptfigur andeutet, einem lebensmüden Niederländer, der seiner verstorbenen Frau nachtrauert – auf ein Mehr solch zwischenmenschlicher Tiefe darf man sich in Episode 2, „Kommen und Gehen“, freuen. (Text-Stand: 28.1.2016)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Hannelore Hoger, Ulrike C. Tscharre, Christoph Maria Herbst, Rüdiger Vogler, Stephan Grossmann, Nele Kiper, David Nolden, Bram van der Vlugt, Martin Brambach, Dagmar Sachse

Kamera: Dietmar Koelzer

Szenenbild: Stefan Schönberg

Kostüm: Anja Niehaus

Schnitt: Claudia Wolscht

Musik: Helmut Zerlett

Produktionsfirma: Calypso Entertainment

Produktion: Brit Possardt

Drehbuch: Martin Rauhaus

Regie: Michael Rowitz

Quote: 4,38 Mio. Zuschauer (13,7% MA)

EA: 26.02.2016 20:15 Uhr | ARD

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