Honecker und der Pastor

Bauer, Kühnert, Selge, Breinersdorfer, Liefers. Die Familie, bei der Honecker wohnte

Foto: ZDF, Arte / Conny Klein
Foto Thomas Gehringer

Jan Josef Liefers erzählt in seiner dritten Regie-Arbeit „Honecker und der Pastor“ (ZDF, Arte – Radio Doria Film) eine historische Episode, die wie ein Märchen klingt. Der bis vor kurzem noch mächtigste Mann der sozialistischen DDR und seine ebenfalls mächtige Frau müssen knapp drei Monate nach dem Fall der Mauer ihr Zuhause in Wandlitz räumen, finden keine sichere Bleibe und werden wochenlang von einem evangelischen Pastor und seiner Familie aufgenommen. Drehbuch-Autor Fred Breinersdorfer sorgt für einen spannenden, ernsthaften und auch mal skurrilen und tragikomischen Clash der Weltanschauungen. Glänzendes Ensemble (Bauer, Kühnert, Selge, Schnitzler) in einem wunderbar fotografierten Film (Ralf Noack) über die tiefer gehende Frage, ob Versöhnung angebracht und möglich ist.

Man wäre ja wirklich gerne dabei gewesen bei diesem ersten gemeinsamen Essen. Am Tisch versammeln sich Pastor Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer), seine Frau Sigrid (Steffi Kühnert), ihre beiden Söhne, Teenager Traugott (Luca Gugolz) und der kleine Kornelius (Ilja Bultmann), sowie deren Gäste Erich (Edgar Selge) und Margot Honecker (Barbara Schnitzler). Wie üblich wird in diesem christlichen Haushalt vor dem Essen gebetet. „Das stört uns nicht“, sagt Erich Honecker, der ehemalige Partei- und Regierungschef der (noch existierenden) DDR, generös. Nach dem Gebet wünscht man sich höflich „Gesegnete Mahlzeit“ und „Guten Appetit“, dann greift man klappernd zum Besteck. Ein Gespräch aber kommt nicht in Gang, und während die Gemeinschaft stumm und beklommen dasitzt und die Blicke unsicher und misstrauisch umherwandern, kreist die auch sonst eindrucksvolle Kamera von Ralf Noack über den Tisch, von einem Gesicht zum anderen. Die klappernde Stille wird von anschwellenden Percussion-Rhythmen verdrängt, während die Kamera bei Kornelius zur Ruhe kommt. Mit großen Augen starrt der Jüngste auf den alten Mann gegenüber, den einst mächtigen Mann, den er aus dem Fernsehen kennt und der gerade mit Serviette und Spucke einen Fleck zu entfernen versucht.

Honecker und der PastorFoto: ZDF, Arte / Conny Klein
Eine historische Episode, die wie ein Märchen klingt: Margot Honecker (Barbara Schnitzler), Erich Honecker (Edgar Selge), Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer), „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“ (Autobiografie), Sigrid Holmer (Steffi Kühnert)

Das kindliche, ungläubige Staunen ist angebracht. Eine tolle Geschichte ist das, die Jan Josef Liefers „verfolgte, seit ich das erste Mal davon hörte“. Erstaunlich, dass es drei Jahrzehnte dauerte, bis die historische Episode in einen fiktionalen Film verwandelt wurde. Der Pastor hatte bereits 2009 in seiner Autobiografie („Der Mann, bei dem Honecker wohnte“) ausführlich Auskunft gegeben. Drehbuch-Autor Fred Breinersdorfer führte noch einmal Interviews unter anderem mit Uwe und Kornelius Holmer. Die Leitung der evangelischen Kirche hatte Pastor Holmer im Januar 1990 darum gebeten, die Honeckers aufzunehmen. Nach der Schließung der Regierungssiedlung Wandlitz fand sich kein sicheres Zuhause für den nach einer Operation von der Haft verschonten, damals 77 Jahre alten Honecker und seine 15 Jahre jüngere Frau Margot, die ehemalige DDR-Ministerin für Volksbildung. Gut drei Monate zuvor hatten sie noch die Macht inne in einem Regime, das gläubigen Christen das Leben schwer machte – auch den Holmers und ihren insgesamt zehn Kindern, die alle nicht Abitur machen durften, wie Traugott einmal Margot Honecker zornig entgegenhält. Nach dem Fall der Mauer nimmt der Pastor und seine Familie die ins Abseits geratenen Machthaber dennoch auf, aus einem zutiefst christlichen Verständnis heraus: „Wenn wir Barmherzigkeit predigen, dann müssen wir sie auch leben“, verteidigt Holmer seine Entscheidung gegenüber einem Kirchenbruder, der ihm vorwirft, er mache sich zu einem Komplizen der Honeckers.

Während man sich im Inneren behutsam annähert und kennenlernt, steigt der Druck von außen. Das verschlafene Lobetal wird von Journalisten belagert, vor dem Haus versammeln sich Demonstranten und im Sekretariat seiner Gemeinde stapeln sich Beschwerdebriefe bis hin zu Morddrohungen. Vielleicht ist es nicht zu weit hergeholt, dass Liefers mit seiner Inszenierung – gedreht wurde im zweiten Pandemie-Jahr 2021 – auch ein wenig auf die gesellschaftliche Stimmung der Gegenwart anspielt. Die Helden in seinem Film sind jedenfalls eindeutig das Ehepaar Holmer, das den Drohungen auch physisch trotzt, das sich mit ihren Körpern zwischen eine wütende, vor dem Haus aufmarschierte Menge und die alten Machthaber stellt. Ans Ende setzt Liefers zudem eine von Kornelius überlieferte Aussage seiner Mutter. Das Misstrauen würde alles vergiften, sagt sie. „Wenn wir das Vertrauen nicht wiederfinden, dann geht alles zugrunde“, lautet die letzte Botschaft des Films. Auch dieser gut gemeinte, aber etwas diffus klingende Appell soll wohl in die Gegenwart hineinwirken. Ob Liefers selbst mit seinen öffentlichen Äußerungen in der Corona-Krise besonders vertrauensbildend gewirkt hat, darüber kann man geteilter Meinung sein.

Honecker und der PastorFoto: ZDF, Arte / Conny Klein
Eines schönen Abends im Januar 1990 stehen die Honeckers vor der Haustür des evangelischen Pastoren-Ehepaars. Nach der Schließung der Regierungssiedlung Wandlitz fand sich kein sicheres Zuhause für den nach einer Operation von der Haft verschonten, damals 77 Jahre alten Honecker und seine 15 Jahre jüngere Frau Margot, die ehemalige DDR-Ministerin für Volksbildung. Edgar Selge, Barbara Schnitzler

Davon abgesehen: Seine dritte Regie-Arbeit – nach den Komödien „Jacks Baby“ und „Die Frauenversteher – Männer unter sich“ – ist ein unterhaltsamer Genre-Mix aus Kammerspiel, Komödie und gesellschaftspolitischem Drama. Die sorgfältig entwickelte Annäherung der Familien bis hin zu einem gemeinsamen Dia-Abend in vertrauter Runde und die ernsthaften Dialoge über Glauben und Sozialismus, über religiöse und weltliche Werte ergänzen Breinersdorfer und Liefers mit skurrilen und komischen Miniaturen wie dem geistig eingeschränkten Herrn Schimke (Axel Prahl), der der Weltpresse für ein paar Zigaretten alles verraten würde. Uwe Holmer leitete die größte Behinderteneinrichtung der DDR, den christlichen Verein Hoffnungstal, der einst von Pastor Friedrich von Bodelschwingh „für die Obdachlosen der Stadt Berlin“ gegründet worden war – wie passend. Auch die erste Begegnung der beiden Boulevard-Reporter (Oscar Ortega Sánchez, Stephan Grossmann), die vor dem Haus der Holmers Stellung beziehen, weist darauf hin, dass Lobetal eine eigene Welt innerhalb der DDR war – eine Welt der Außenseiter. Einen kleinen Spaß gönnt sich Liefers mit der prominenten Besetzung im Tante-Emma-Laden. Anna Loos und Kurt Krömer spielen das redselige Verkäufer-Paar, das einige Mühe mit dem Einkaufszettel und der „Sauklaue“ von Margot Honecker hat. Den gewünschten Honig aus dem Westen können sie leider nicht bieten. Also muss Kornelius doch mit zwei „Honigbärchen“ Vorlieb nehmen. Aber Margot weiß sich zu helfen, gießt den Ost-Honig für ihren Erich in die leere Flasche einer Westfirma um.

Edgar Selge spielt die historische Figur ohne den speziellen Honecker-Duktus und auch sonst auf eine kluge, niemals plakative Weise. Es ist eigentlich ein undankbarer Job, denn von Erich Honecker haben sich viele ein persönliches Bild gemacht, das nun mit einer schauspielerischen Interpretation automatisch abgeglichen wird. Zudem gibt es Honecker-Parodien zur Genüge, und Selge ist auch nicht der Erste, der den greisen Ex-Staatschef verkörpert. In der Komödie „Willkommen bei den Honeckers“ aus dem Jahr 2017 zum Beispiel gab Martin Brambach den noch ein wenig älteren und sterbenskranken Erich Honecker im chilenischen Exil. Hier nun sieht man eine vielschichtigere Figur. Selges Honecker erscheint häufig wie ein entrückter Greis, als habe er sich zurückgezogen in eine innere Wagenburg, geschwächt durch die Krankheit, gekränkt und geschockt von der demokratischen Revolution. Er redet mechanisch, wie ein Sprech-Automat, doch in den Gesprächen mit Uwe Holmer erweist er sich auch als ebenbürtiger Gegner, starrköpfig, aber nicht senil und verwirrt. Und dann gibt es noch den „einfachen Menschen“, der morgens lärmend seine Vitamine schlürft, der grummelnd Westfernsehen schaut und der geradezu aufblüht, wenn Tochter Sonja (Pauline Knof) und Enkel Roberto (Levi Eisenblätter) zu Besuch kommen. Ein sympathischer Großvater, und natürlich löst auch der Dia-Abend in gelöster Atmosphäre ambivalente Gefühle aus. Aber in einem Film, der die Tugend der Versöhnung feiert, wäre es seltsam, dem ehemaligen Lenker eines diktatorischen Regimes jegliche menschliche Züge abzusprechen.

Honecker und der PastorFoto: ZDF, Arte / Conny Klein
In seiner dritten Regiearbeit macht sich Jan Josef Liefers einen kleinen Jux – und so spielen Anna Loos & Kurt Krömer das Verkäufer-Paar eines Tante-Emma-Ladens.

Und auf die von den Honeckers zu verantwortenden unmenschlichen Maßnahmen der DDR kommt der Film durchaus immer wieder zu sprechen. Wobei sich Breinersdorfer und Liefers insbesondere Margot, die ehemalige Bildungsministerin, vorknöpfen: Luzia Oppermann, die „Monstermutter“ aus dem letzten „Polizeiruf“ mit Maria Simon, hat einen denkwürdigen Auftritt als ehemalige Insassin eines Jugendwerkhofs, die Pastor Holmer bei einer Talkshow mit der Verantwortung seiner Gäste für die Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in der DDR konfrontiert. Solche Fernsehen-im-Fernsehen-Szenen wirken immer etwas steif und gekünstelt, aber Liefers‘ Inszenierung gerät vergleichsweise lebendig. Die Besetzung der Rolle Margot Honeckers mit Barbara Schnitzler hat übrigens einen ironischen Beiklang, denn sie ist die Tochter von Karl-Eduard von Schnitzler, im DDR-Fernsehen („Der schwarze Kanal“) jahrzehntelang das propagandistische Sprachrohr des Regimes. Vor allem aber ist Barbara Schnitzler eine auf der Bühne und vor Kameras erfahrene Schauspielerin, die der Margot Honecker eine geradezu furchteinflößende Ausstrahlung verleiht. Aber auch die strenge Ex-Ministerin wird nicht nur als ideologisch verbohrte Ziege dargestellt, sondern auch als eine Frau aus „einfachen Verhältnissen“, die in einer ausschließlich von Männern dominierten Welt bestehen musste und die sich ihrer Herkunft bewusst ist. Wenn Margot Honecker auf Knien rutschend die Treppe putzt, nötigt das Sigrid Holmer Respekt ab. Wenn Margot Honecker die Praxis in den Jugendwerkhöfen verteidigt, verliert der Pastor das einzige Mal die Fassung.

Hans-Uwe Bauer setzt dem Uwe Holmer mit seinem eindrucksvollen Spiel eines aufrechten, zugewandten Christen ein wahres Denkmal. Ähnliches gilt für Steffi Kühnert als durch und durch sympathische Sigrid Holmer, die zwar ernsthaft glaubt, Margot Honecker mit einer Bibel-Lektüre bekehren zu können, die aber gewiss keine religiöse Eiferin ist. Der christliche Familienalltag in dem von Sonnenstrahlen durchfluteten Haus wirkt vielmehr derart harmonisch, dass man richtig froh ist, wenn das Holmer-Quartett bei der Hausmusik mal so herrlich schief liegt. Und bei allem Willen zu Versöhnung und Barmherzigkeit: Als die Honeckers endlich weg sind, reißt Sigrid Holmer die Fenster auf und atmet und lüftet mal richtig durch. (Text-Stand: 22.2.2022)

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Fernsehfilm

Arte, ZDF

Mit Hans-Uwe Bauer, Steffi Kühnert, Edgar Selge, Barbara Schnitzler, Ilja Bultmann, Luca Gugolz, Axel Prahl, Oscar Ortega Sánchez, Stephan Grossmann, Pauline Knof, Levi Eisenblätter, Kurt Krömer, Anna Loos

Kamera: Ralf Noack

Szenenbild: Frank Polosek

Kostüm: Lucie Bates

Schnitt: Richard Krause

Musik: Conrad Oleak

Redaktion: Frank Zervos, Daniel Blum, Olaf Grunert

Produktionsfirma: Radio Doria Film

Produktion: Jan Josef Liefers

Drehbuch: Fred Breinersdorfer

Regie: Jan Josef Liefers

Quote: 3,41 Mio. Zuschauer (11,8% MA)

EA: 18.03.2022 20:15 Uhr | Arte

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