Vielleicht lassen sich die ungewöhnlich scharfen Reaktionen zum Kinostart von „Hin und weg“ ja mit dem diffizilen Sujet erklären. Womöglich ist der Film im Fernsehen besser aufgehoben, denn hier fügt er sich nahtlos in eine Reihe ganz ähnlicher Geschichten ein. Unheilbare Krankheiten waren für die Redaktionen zwar lange ein filmisches Tabu, aber davon kann spätestens seit Rainer Kaufmanns vielfach preisgekröntem ARD-Drama „Marias letzte Reise“ (Buch: Ariela Bogenberger, ausgestrahlt 2005) keine Rede mehr sein. Seit „Ein starker Abgang“ (ebenfalls von Kaufmann, Buch: Martin Rauhaus, ZDF 2009) gibt es auch immer wieder Filme, die mit dem Sterben ihre Scherze treiben. Exemplarisch dafür ist „Und weg bist Du“ von Jochen Alexander Freydank (Buch: Monika Peetz, Sat 1 2012).
Schon der verspielte, aber clevere & treffende Titel signalisiert, dass „Hin und weg“ an diese noch vergleichsweise junge Tradition anknüpft: Die Geschichte geht nicht leichtfertig mit dem Thema um, wie es Christian Zübert und seiner Koautorin Ariane Schröder vorgeworfen wurde, sondern mit einer gewissen Leichtigkeit, die aber offenbar starke Ressentiments provoziert hat. Der Handlungskern ist rasch erzählt: Seit ihrer Jugend machen Hannes (Florian David Fitz) und seine Freunde jedes Jahr eine Radtour. Diesmal führt die Reise nach Belgien. Dort ist für Hannes Endstation: Er hat ALS, die Symptome werden seit einiger Zeit stärker, es geht rapide bergab; in Ostende will er Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Seine Freunde haben allerdings keine Ahnung, weder von der Krankheit noch vom geplanten Ende der Reise.
Foto: ZDF / Wolfgang Ennenbach
Früh offenbart Christian Züberts Regiedebüt (…) den Hang, sich mit Behauptungen zu begnügen und diese nur oft genug zu wiederholen, dann werden sie irgendwann vielleicht stimmen. Behauptung I: Der Tod ist ein solches Tabu, dass es völlig unmöglich ist, darüber zu reden, selbst unter besten Freunden. Aus diesem nicht wirklich plausibel erzählten Verschwiegenheitskrampf soll dann das Rad-Roadmovie seine Spannung beziehen, was aber leider völlig in die Hose geht. Denn wann und wie die Wahrheit ans Licht kommen wird und wie die Freunde damit umgehen, solche Fragen entwickeln ihre Unterhaltsam- und Dringlichkeit ja erst dann, wenn die dazugehörigen Figuren einigermaßen dreidimensional angelegt sind. (…) Trotz einer vermeintlichen Wende, die kurz eine paradoxe und daher in Ansätzen sogar interessante Erleichterung spürbar macht, stirbt der Film einen langen, qualvollen Tod – vor peinlich berührten Zuschauern, die froh sind, wenn das alles vorbei ist. (Die Welt)
Anm.: „Hin und weg“ ist mitnichten Züberts Regiedebüt, das war „Lammbock“ (2001). Seither drehte er u.a. „Hardcover“ (2008) & „Dreiviertelmond“ (2011) und für den „Tatort – Nie wieder frei sein“ (2010) bekam er den Grimme-Preis.
Während es in einem reinen Fernsehfilm unter Garantie ein kleines ALS-Referat gegeben hätte – wie äußert sich die Nervenkrankheit, warum ist sie unheilbar, wie rasch schreiten die Symptome voran? – beschränkt sich Zübert, der zuvor „Dreiviertelmond“ gedreht hatte, auf den lapidaren Hinweis, dass Hannes’ Vater jämmerlich krepiert ist. Diesen Abgang will er sich ersparen und lieber selbstbestimmt und in Würde abtreten. Dass er seine Freunde nicht eingeweiht hat, mag man als wenig realistisch empfinden, aber völlig abwegig ist es sicher nicht. Für den Film ist der Moment, als Hannes die Runde informiert, zudem dramaturgisch wichtig: Er markiert das Ende des bis dahin beinahe unbeschwerten ersten Aktes. Die Freunde sind naturgemäß erschüttert, nicht nur von der Todesbotschaft, sondern auch wegen des Zwecks der Tour; aber ebenso selbstredend setzen sie sie gemeinsam fort.
Foto: ZDF / Wolfgang Ennenbach
Die Kritiken galten auch den allzu oberflächlich gezeichneten Figuren. Das ist nachvollziehbar. „Hin und weg“ ist ein Ensemblefilm, und einige Mitglieder der Gruppe bekommen im Verlauf der neunzig Minuten kaum mehr Tiefe, als ihnen die Einführung zubilligt. Das gilt vor allem für Mareike und Dominic (Victoria Mayer & Johannes Allmayer), die als Spießerpärchen eine Art Gegenentwurf zum Rest der Gruppe sind. Dass sie sich später unabhängig voneinander in einen Swingerclub verirren, ist daher als Exkurs etwas irritierend. Hannes’ Bruder (Volker Bruch) bleibt auf diese Rolle beschränkt, und Kumpel Michael (Jürgen Vogel) ist offenbar nur deshalb mit von der Partie, damit er sich unterwegs als Frau verkleiden und die Nervensäge Sabine (Miriam Stein) aufreißen kann. Davon abgesehen gehört „Hin und weg“ zu jener Sorte Film, in der die Jungs sympathische große Kindsköpfe sind und den Frauen als Stimmen der Vernunft der Part als Spaßbremsen zukommt. Trotzdem sind die Figuren mehr als nur wandelnde Klischees, weil sie sich rund um Hannes und seine Frau Kiki (Julia Koschitz) zu einer schlüssigen Gruppe zusammenfügen. Das Paar tritt im zweiten Akt in den Hintergrund, nun funktioniert die Tragikomödie als Ensemblefilm, weil die Reisenden zwischendurch immer wieder das Ziel ihrer Tour vergessen und wie früher ihr Zusammensein leben. Anders als in Matti Geschonnecks bitterem Abschiedsdrama „Ein großer Aufbruch“ (2015) kommt es daher im Verlauf der letzten gemeinsamen Reise auch nicht zur großen Abrechnung. Stattdessen gibt es einige ausgesprochen witzige Situationen, darunter eine ausgelassene Schlammschlacht, die sicher nicht einfach zu filmen gewesen ist. Darüber hinaus schafft es Züberts Kameramann, der großartige Ngo The Chau, der viele malerische Bilder in ein schönes Licht getaucht hat, dass man als Zuschauer zum siebten Mitglied der Gruppe wird.
Soundtrack:
Passenger („What You’re Thinking“, „Rolling Stone“), Snap („Rhythm Is A Dancer“), Homeboy („Hula Hoop“), Joyce Jonathan („Botero“), Ira May („Bigger Plan“), Beatsteaks („I Never Was”), Boy („July”), Ryan Keen („Skin And Bones”)
Foto: ZDF / Wolfgang Ennenbach
Im Gegensatz etwa zu Frederik Steiners Sterbedrama „Und morgen Mittag bin ich tot“, in dem die schmerzliche Konfrontation mit der Endlichkeit unter die Haut geht, verpacken Christian Zübert und … Ariane Schröder das schwere Thema in ein Feelgood-Roadmovie. Der Zuschauer wird eingeladen, sich mit Hannes’ Begleitern zu identifizieren. Die sind zunächst mürrisch, lächeln aber schon bald wieder. Die Stationen in den idyllischen Städtchen auf dem Weg sind auch ausnehmend schön. Obwohl der Film kaum originelle Anknüpfungspunkte mit der Reiseroute herstellt, radelt man als Betrachter eine Weile entspannt mit. (epd film)
Achter Teilnehmer ist der Tod, und weil Zübert immer wieder daran erinnert, ist die Unbeschwertheit jeweils nur von kurzer Dauer. Als Hannes nicht mehr kann, sammelt seine Mutter (Hannelore Elsner) die Reisenden ein. Mit dem Auto geht es weiter nach Ostende, wo sich Zübert einen letzten makabren Scherz erlaubt: Der Leichenwagen vor dem Haus des Sterbehelfers wartet nicht auf Hannes, sondern auf den Arzt, der einen Unfall hatte. Der Tod gewährt eine Galgenfrist und somit eine letzte gemeinsame Nacht für Hannes und Kiki; eine Szene mit großem Pathos-Potenzial, die Zübert zwar berührend, aber nicht kitschig inszeniert. Fitz und Koschitz, die dank diverser thematisch verwandter Filme von Johannes Fabrick („Der letzte schöne Tag“, „Pass gut auf ihn!“, „Wenn es am schönsten ist“) mit Sujets dieser Art bestens vertraut ist, spielen ihre Rollen ohnehin vorzüglich und jederzeit glaubwürdig; auch, weil ihre Figuren jene Differenziertheit aufweisen, die den anderen abgeht. Ein Film zum Weinen und zum Lachen, ebenso schmerzlich schön wie sein Schlussbild. (Text-Stand: 2016)