Postpartale Depression ist ein Phänomen, dessen Tragweite man kaum nachvollziehen kann: Eine Mutter bringt ein Kind zur Welt, hegt aber keinerlei Gefühle für das Neugeborene. Dank einer intensiven schauspielerischen Leistung von Katharina Wackernagel gelingt es Ariela Bogenberger (Buch) und Petra K. Wagner (Regie), das Krankheitsbild in ein berührendes Drama zu verwandeln. Dass die Hauptfigur eine Hebamme ist, vergrößert die Fallhöhe noch.
Das Alpenpanorama, der Dialekt, die Herzlichkeit: Zunächst deutet in diesem Film alles auf eine Geschichte hin, wie sie die ARD für gewöhnlich freitags erzählt; erst recht, als der dichte Nebel gleißendem Sonnenschein weicht. Aber „Herbstkind“ ist ein Mittwochsfilm, das Drehbuch stammt von Ariela Bogenberger („Marias letzte Reise“), und Petra K. Wagner hat zuletzt den ungewöhnlichen Thriller „Sprinter – Haltlos in die Nacht“ inszeniert. Tatsächlich deuten bereits zu Beginn diverse Details darauf hin, dass die Idylle kleine Risse hat. Der Abgrund, in den Emilia Schneider zu Beginn blickt, ist als Metapher fast schon zu stark.
Foto: BR / Erika Hauri
Emilia ist Hebamme und selbst hochschwanger. Sie will das Kind auf keinen Fall im Krankenhaus zur Welt bringen, doch das Baby liegt nicht richtig; nun muss sie doch in die Klinik. Warum sie sich so dagegen sträubt, bleibt zunächst offen, aber mit ganz einfachen Mitteln der Bildgestaltung (Kamera: Peter Polsak) sorgt Wagner dafür, dass sich Emilias Unbehagen auf den Zuschauer überträgt: Kaum im Krankenhaus eingetroffen, wo auch noch ihre befreundete Kollegin (Lena Stolze) gleich wieder heimgeschickt wird, nimmt sie ihre Umgebung bloß noch wie durch Watte wahr. Diese Distanz wird sich nach der Geburt auf das Baby übertragen: Der Kleine ist ein Wonneproppen, aber er bleibt Emilia fremd.
Man wundert sich zwar, dass ausgerechnet der Hebamme das Phänomen der postpartalen Depression offenbar fremd ist, aber Wackernagels Spiel und Wagners Inszenierung vermitteln nachdrücklich, welche Ausmaße diese Erkrankung annehmen kann: Das Baby fühlt sich für Emilia wie ein Alien an, sie hat keinerlei Bezug zu diesem kleinen Wesen. Alle anderen sind außer sich vor Freude; ausgerechnet die Mutter jedoch fühlt sich mehr und mehr wie eine Fremde im eigenen Leben. Die Störung steigert sich zur Psychose, in deren Verlauf sie den Kleinen beinahe mitsamt seiner Bettwäsche in die Waschmaschine stopft.
Während die Großeltern eher klischeehaft geraten sind – Heinz Hoenig als Emilias Vater, ein patenter Opa, Saskia Vester als Christophs Mutter, eine Oma mit Hippie-Attitüde –, hat Felix Klare als frisch gebackener Papa naturgemäß eine ungleich differenziertere Rolle: Christoph nimmt anfangs überhaupt nicht wahr, was mit seiner Frau los ist, und kann später nicht verstehen, wieso der Nachwuchs bei Emilia nicht Mutterglück, sondern Gleichgültigkeit auslöst. Geschickt ergänzt das Drehbuch die zentralen Rollen um Nebenfiguren, die Emilias gemischte Gefühle widerspiegeln: eine schwangere junge Rebellin (Alice Dwyer), die eigentlich gar kein Kind haben will, und die gleichfalls schwangere Nachbarstochter (Ella-Maria Gollmer), die zwar selbst noch ein Kind ist, für die eine Abtreibung aber nicht infrage kommt. Auf diese Weise schließt sich der Kreis; auch wenn die angebotene Erklärung für Emilias Depression aus Sicht professioneller Psychologen allzu schlicht wirken dürfte.
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