Das Comeback einer LKA-Ermittlerin
Ein Frauenmord zwingt das LKA-Düsseldorf, einen alten Fall wieder aufzunehmen. Drei weitere Morde – dieselben Tatwerkzeuge, dasselbe Tötungsmuster – sind ein paar Jahre her. Ein Lehrer ist damals rechtskräftig verurteilt worden. Mordet also ein Komplice weiter oder sitzt dieser Mann unschuldig hinter Gittern? Ausgerechnet die Beamtin, die damals den spektakulären Fall leitete, wird jetzt aus dem Flächenkommissariat Duisburg West, in das sie degradiert wurde, zurückgeholt. Jene Helen Dorn hat den Ehrgeiz, es dieses Mal besser zu machen. Die Voraussetzungen sind nicht die Besten: Die „Neue“ wird dem leitenden Kriminalhauptkommissar Georgi vor die Nase gesetzt. Abweisend bis eisig ermitteln sie anfangs nebeneinander her. Etwas Unausgesprochenes steht auch zwischen Dorn und dem Dezernatsleiter Mattheissen, der sie überraschend reaktiviert hat, und ihrem Ex- und jetzt wieder Kollegen Kuppka. Doch alle sind Profi genug, sich ganz auf den Fall zu konzentrieren.
Helen Dorn lebt für ihre Arbeit
Das ZDF geht mit einer neuen Krimi-Reihe für den Samstag an den Start: Anna Loos ist „Helen Dorn“, eine Frau, über die sich noch nicht allzu viel sagen lässt. Sie versteckt sich hinter der Arbeit, hinter einem Fall, der ihr alles abverlangt. Partnerlos bezieht sie in Düsseldorf vorübergehend Quartier bei ihrem Vater. Sie hat etwas von einem einsamen Wolf an sich. Gefühle zeigen scheint nicht ihre Stärke zu sein. Oder ist sie einfach nur klug? Als „eine Figur, die in einer Mischung aus Zähigkeit und Zartheit eine ganz und gar unheroische Außenseiterin darstellt, die mit einer manchmal verletzenden Direktheit angstfrei handelt“, charakterisiert sie Produzent Wolfgang Cimera, der freilich schon etwas weiter blicken kann als nur auf den ersten Film „Das dritte Mädchen“, den Magnus Vattrodt (wie auch den zweiten, „Unter Kontrolle“) geschrieben hat. Cimera: „Flotte Sprüche wird man von ihr nicht hören. Wer hier Anleihen skandinavischer Erzählweisen wittert, der irrt nicht ganz.
Gregor Georgi: Profi oder Arschloch?
Dieser hoch konzentrierten Frau, der es sichtlich schwer fällt, die richtige innere Distanz zu den Dingen zu finden, wurde ein etwas bodenständigerer, aber nicht weniger schwer durchschaubarer Ermittler an die Seite gestellt: Matthias Matschke spielt Gregor Georgi. Seine Hauptmerkmale: Familienvater, intelligent, hellwach, ein Taktiker mit Hang zum Zynismus – und auch „Arschloch“ kann er gut. „Er hat das kriminalistische Handwerkszeug inhaliert, kennt Zahlen, Statistiken, Fakten“, so Produzent Cimera. Und diese Helen Dorn, für Georgi ein unbeschriebenes Blatt, diese, seine Karriere-Killerin hat er zunächst gefressen. Mit der gemeinsamen Arbeit am Fall steigt die Akzeptanz, der Respekt vor dieser toughen Frau, die sich so gar nicht schert um die männlichen Muskelspiele im Dezernat. Um das zu erkennen, muss man aber schon genauer hinschauen. Buddy-hafte Annäherungsrituale sind ihre Sache nicht und Vattrodt prophezeit: „Die werden sich noch lange siezen – die brauchen das.“
Matthias Matschke über das Erzählkonzept:
„Die Geschichten bleiben ganz bei den Figuren, ob sie nun Täter, Opfer oder beides sind. Natürlich steht da die klassische Krimifrage: Wer war’s. Aber die Zuschauer bekommen auch Geschichten von Menschen erzählt, die auch jenseits der normalen Detektivgeschichte spannend sind.“
Beziehungsnetz und Spannungsgewebe
Autoren, Schauspieler und Produzenten können einem viel erzählen. Im Falle von „Helen Dorn – Das dritte Mädchen“ sind Konzeption und Ergebnis weitgehend deckungsgleich. Und bei diesem Film, der immerhin der Auftakt einer Reihe ist, hat man nie den Eindruck, er sei nur am Reißbrett zusammengenagelt worden. Die Geschichte schafft es, mit einem – besonders was die Frage nach dem „wer war’s“ angeht – relativ überschaubaren Personal den Zuschauer 90 Minuten lang zu fesseln. Es gibt dramaturgische Wendungen, atmosphärische Störungen im Team, es gilt, sich einem Justizirrtum zu stellen und es gibt einen Nebenstrang, der viele Fragen aufwirft: Warum behandelt ein Polizist einen alten Mann so grob? Und warum ist dieser so fies zu seinem Sohn? Die komplexe, dichte Verwebung der Geschichten und Handlungsstränge ist die besondere Rezeptur dieses Films. Da überrascht es nicht, dass Drehbuchautor Magnus Vattrodt sich nicht nur einem Namen gemacht hat mit Kriminalfilmen, die wie Interaktionsspiele gebaut sind, sondern auch mit dem Beziehungsreigen „Liebesjahre“ und dem Justizkrimidrama „Das Ende einer Nacht“, die mehrfach preisgekrönt wurden.
Wenn Blicke töten könnten…
Diese Steilvorlage des Drehbuchs nehmen Regisseur Matti Geschonneck und alle Gewerke, von der Kamera über Szenen- und Kostümbild bis hin zum Schnitt, gewohnt souverän auf. Die glasklare Sprache Vattrodts findet ihr visuelles Äquivalent in den Glasfronten und den glatten, kühlen Oberflächen des LKA-Büros, dessen Transparenz kein Gefühl von Freiheit und Weitblick vermittelt, sondern Enge und eine Atmosphäre des Beobachtens entstehen lässt. Und grau ist die Welt, in der man funktionieren muss, für Freizeit, für ein Lächeln, für Farbe bleibt da kein Raum. Im Keine-Miene-Verziehen sind Helen Dorn und ihre LKA-Männer wahre Meister. Womit wir bei den Schauspielern wären: In den meisten ihrer Filme geizt Anna Loos mit ihren Gesichtsausdrücken, was bei Dramen zu einer großen Bedeutungsschwere führen kann. In „Helen Dorn – Das dritte Mädchen“ indes korrespondiert ihre reduzierte Mimik überaus stimmig mit der coolen Färbung dieser Krimierzählung. Wer Gefühle zeigt, ist verletzbar. Pokerface ist King im Haifischbecken LKA. Das gilt auch für die Art und Weise, wie Matthias Matschke seinen degradierten Ermittler spielt. Loos, Geschonneck, Vattrodt kennt man, von Matschke weiß man auch, dass er gut ist, als „Pastewka“-Bruder oder in Krimis, wo er eher der Mann für die zwielichtigen Buben ist. Als Kommissar hatte man ihn nicht auf der Rechnung. Und so ist er vielleicht die größte positive Überraschung dieser ZDF-Reihe. Auch, weil er als Gregor Georgi (s)ein wenig freundliches Gesicht aufsetzt. Das hat Stil, das hat System, man ist gespannt. Wenn Blicke töten könnten, gäbe es noch mehr als nur vier tote Frauen. Das Gesicht ist eine Schutzmauer, hinter der die Menschen ihre Geheimnisse bewahren: eine Fassade, sie ins Zentrum eines Krimis zu rücken, zeugt davon, das Genre, das immer ein Stück weit Versteck- & Lügenspiel ist, verstanden zu haben. Wer der Mörder ist, das geben die Gesichter aber nicht so schnell preis. (Text-Stand: 26.1.2014)