Endlich raus aus Berlin! Ein Ehepaar hat ihr Traumplätzchen gefunden. Ein altes, etwas heruntergekommenes Haus, verwunschen liegt es da, beschienen von der brandenburgischen Sonne. Es ist Sommer. Das Glück ist zum Greifen nah in der ersten Szene von „Haus und Kind“, dem neuen Film von Grimme-Preisträger Andreas Kleinert. In der zweiten Szene liegt eine andere Frau neben dem attraktiven Mittvierziger. Sie ist etwas jünger, etwas blonder. Da ist sogar die Rede von einem gemeinsamen Kind. „Warum nicht? Wäre wunderschön. So will es die Natur“, schwärmt der Professor für Neuere Deutsche Geschichte. Bernd Neubauer fühlt sich reif für ein Leben mit Haus und Kind. Doch er kann sich nicht so recht entscheiden – mit wem er seine Wünsche und Träume ausleben will. Und so spaltet er seine Gefühle auf – ohne zu merken, dass er dabei selbst zur gespaltenen Persönlichkeit wird. Stefan Kurt spielt jenen Intellektuellen, der in seiner emotionalen Intelligenz auf einer niederen Entwicklungsstufe stehen geblieben ist. Mit dem Umzug seiner Frau nach Berlin gerät der Mann zunehmend unter Druck. Für etwas Entspannung sorgt der Umstand, dass seine Frau ein Morgenmuffel ist. So kann er mit Melanie wenigstens zum Frühstück ungestört Sex haben.
Nach 50 Minuten fliegt dem Herrn Professor sein Doppelleben um die Ohren. Lena spielt mit dem Gedanken sich scheiden zu lassen und die Geliebte scheint nach dem flotten Dreier mit Bernd und ihrer besten Freundin während eines Wochenendes an der Ostsee auch nicht mehr so auf den selbstgefälligen Professor zu stehen. Als sich dann auch noch Frau Maschke, die etwas tatterige Besitzerin des Traumhauses, in dem die Neubauers alt werden wollten, über den Tisch gezogen fühlt, sieht es gar nicht mehr gut aus für die Zukunftspläne von Bernd Neubauer. Der schöpft wieder Hoffnung, als Melanie schwanger wird. Doch diese Hoffnung verfliegt recht bald – und das Schicksal hat noch weitere Überraschungen für den Ehebrecher parat. Der Professor lächelt zwar noch – aber das ist ein Reflex aus besseren Zeiten.
Foto: BR / Conny Klein
Drehbuchlegende Wolfgang Kohlhaase ist eine wunderbar bitter-lakonische Geschichte gelungen. Mit der Leichtigkeit einer Sommerkomödie erzählt, die gelegentlich an die Filme von Eric Rohmer erinnert, dringt er zugleich auch sehr trefflich in die Psyche eines Milieus, einer Generation und einer sozialen Schicht, die es sich leisten kann, sich vor endgültigen Entscheidungen zu drücken und in einem attraktiven Schwebezustand zu verharren, der einem das Alter(n) weniger deutlich macht. Zeigte Kohlhaase in „Sommer vorm Balkon“ zuletzt, wie sich die „einfachen Leute“ das Leben schön reden und erträglich süffeln, so ist die Dreieckskonstruktion in „Haus und Kind“ sehr viel diffiziler, das Lügengebäude ausgefeilter, das Doppelleben komplexer. Wenn es hier kracht, dann kracht es richtig.
Schon das Drehbuch arbeitet klug mit Metaphern, Kontrasten (Stadt/Land, Haus/Wohnung), mit Parallelsituationen (Tisch und Bett). Die Dialoge sind sparsam. Andreas Kleinert hat die passenden Bilder dazu gefunden und den Protagonisten hat er das richtige Spiel zwischen Nähe und Distanz verordnet. Nachdem Lena von Bernds Doppelleben weiß, gibt es eine klärende Szene: sie sitzt auf dem Bett, er nebenan auf der Couch. Die Entfernung der beiden betont die Verlorenheit, die Ohnmacht und sie spiegelt den Ekel vor der Berührung des Partners. In solchen Bildern beweist Sensibilist Kleinert seine Könnerschaft. Auch Stefan Kurt ist wieder einmal richtig gut als der Intellektuelle mit dem Kleinhirn eines Primaten, der bis zum Ende wenig Selbstzweifel ob seines Handelns aufbringt. Keine kann so schön lächeln und im nächsten Moment so bitter die Enttäuschung in ihre Mundwinkel legen wie Marie Bäumer. In „Mitte Ende August“ macht sie es ebenso wunderbar. (Text-Stand: 28.8.2009)