Ein Blutbad wie im Wilden Westen: Killer und Bad Cops sind los im Harz
Ein Blutbad im Harz. Fünf Tote, zwei Killer, drei LKA-Beamte. Und Frank Koops (Aljoscha Stadelmann), der Dorfpolizist, der es lieber beschaulich mag, mittendrin. Jetzt hat der auch noch eine Kronzeugin an der Backe, die er am nächsten Tag zur Verhandlung bringen soll. Das hat ihr seine Jugendliebe „Kuschel“ alias Christiane Kuschnereit (Anja Kling) vom LKA aufgetragen, bevor sie ihren Verletzungen erlag. Aus Sicherheitsgründen hat sie die Frau, die gegen den mafiosen Mörder ihrer Schwester aussagen soll, von einer Polizistin doubeln lassen. So hat nun ausgerechnet jene Matilda Schönemann (Alwara Höfels) den Anschlag auf sich als einzige überlebt. Und damit hat sich Kuschnereits Vermutung bestätigt, dass es einen Maulwurf im LKA geben muss. Dass es mit Benedikt (Johannes Krisch), Gottschalk (Stephan Grossmann), Monzen (Michael Klammer) und Hofmann (Matthias Bundschuh) gleich vier korrupte LKA-Beamte sind, die auf der Gehaltsliste des Mafia-Bosses stehen, macht die Sache für „Frankie“ nicht leichter. Allerdings könnte dieser notfalls tatkräftige Unterstützung erwarten von Mette (Anna Fischer), der neuen Kollegin aus dem Nachbarrevier, die gerade erst am Schießstand ihre außerordentliche Treffsicherheit unter Beweis stellen konnte, und von seinem Freund Heiner (Moritz Führmann): der ist zwar Briefträger, aber auch Schützenkönig, Waffennarr und absoluter Wyatt-Earp-Experte. 23 Schüsse in weniger als einer Minute. Das gab es nicht einmal im Wilden Westen. Aber in St. Andreasberg!
Der Dorfpolizist spielt den Trottel und ist ein harter Brocken für die LKA-Profis
„Harter Brocken“ war ein unerwartet großer Zuschauererfolg. Mit 7,51 Millionen Zuschauern war der Film das erfolgreichste ARD-Fiction-Einzelstück im Jahr 2015. Da überrascht es nicht, dass der ebenso beherzte wie herzensgute Frank Koops nun zwei weitere Einsätze bekommt. Der unnachahmlich von Aljoscha Stadelmann gespielte Dorfpolizist erweist sich auch im zweiten Fall „Die Kronzeugin“ als harter Brocken für die coolen Professionals aus der Stadt. Anfangs spielt er diesen Killern mit Polizeimarke den Dorftrottel vor; damit gewinnt er erst einmal Zeit. Doch spätestens als einer der vier tot unterm Bett im Hotelzimmer der Kronzeugin liegt, wissen die anderen, dass mit diesem „Sheriff“ nicht zu spaßen ist. Trotzdem bleibt als Frage der Fragen: Wie gelingt es wohl dem mit dem Schießeisen alles andere als zielsicheren Streifenpolizisten, sich gegen die LKA-Profis durchzusetzen? Die gleichermaßen spannende und lakonisch ironische Szene im Hotelzimmer gehört zu den Höhepunkten des Films. Die Bedrohten werden in die Enge gedrängt, die Türklinke bewegt sich nach unten – danach gibt es kurz Entwarnung, bis ein verhängnisvolles Niesen der Kronzeugin schnelles Handeln erfordert. Mit vereinten Kräften bringen sie und der Dorfbulle den korrupten Polizisten zu Fall. Auf den Besuch des zweiten LKA-Mannes müssen sie nicht lange warten.
Kein Wort zu viel: eine einfache Geschichte kann manchmal einfach gut sein
Ein überschaubarer Konflikt, klassischer Suspense mit einem Informationsvorsprung für den Zuschauer, eine Hauptfigur, die man – nicht ganz zu Unrecht – auch als Zuschauer unterschätzt: Geschichten können manchmal so einfach sein; eben einfach gut. Holger Karsten Schmidt, Vielschreiber auf höchstem Niveau mit drei Grimme-Preisen als Referenz, zeigt einmal mehr, wie wirkungsvoll manchmal die einfachsten Geschichten sein können. Häufig bedarf es gar nicht übermäßig vieler narrativer Erfindungen. In dieser Geschichte ist von vornherein alles nachvollziehbar. Übertragen aufs Textuelle: Es ist eine Geschichte aus lauter Hauptsätzen. Die Handlung ist überschaubar, das Gezeigte erklärt sich selbst, die Situationen sind entsprechend klar, die Bösen sind cool, die Guten sind sympathisch, nicht sympathisch wie der Mann von der Hamburg-Mannheimer, sondern sympathisch wie eine alltagsnahe Kunstfigur: integer, einsam, melancholisch und doch mit sich und der Welt im Reinen. Man darf auch gespannt sein, welche Rolle der Postbote und die liebreizende Kollegin aus dem Nachbardorf im dritten Krimi der Reihe übernehmen werden. Und auch wenn die Versuchung für einen intelligenten Autor wie Schmidt groß ist, den Figuren noch etwas „Besonderes“ in den Mund zu legen – er verzichtet darauf: Das Lakonische ist letztlich ein Gewinn und es tut der Erzählung insgesamt gut. Ob Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder der Harz – da wie dort ist bei solchen kleinen, feinen Genregeschichten weniger mehr. Im sich bescheiden liegt auch die Kraft der Hauptfigur. Gleiches gilt für Aljoscha Stadelmann. Man muss sich fragen, weshalb diesem Schauspieler nicht schon viel früher Hauptrollen anvertraut wurden: Schien seine besondere Qualität in schrägen, verpeilten Figuren wie in Krohmers „Riskante Patienten“, „Vorstadtrocker“ oder in kleineren Rollen bei Lars Becker zu liegen, konnte man in „Harter Brocken“ erkennen, was passieren kann, wenn man im deutschen Fernsehen besetzungstechnisch mehr wagt und Schauspieler aus ihrem Typen-Korsett rausholt (2010 konnte man diese Erfahrung mit Charly Hübner machen). Und nach Koops kamen weitere Klasse-Rollen für Stadelmann wie das Psychodrama „Die Maßnahme“ oder zuletzt die preiswürdige Ausnahme-Performance im NDR-„Tatort – Der Fall Holdt“.
Kurzweilige Genre-Brüche, Spannung & das Schmidtsche Spiel mit den Namen
Die konstatierte „Einfachheit“ ist allerdings eine Einfachheit auf hohem Niveau. Denn auf die Idee, die Kronzeugin – auch ohne Wissen des Zuschauers – auszutauschen, muss man erst einmal kommen. Ungewöhnlich ist es auch, eine vermeintliche Hauptfigur in den ersten 22 Minuten sterben zu lassen; und durch die Besetzung mit Anja Kling wirkt dieser Effekt umso nachhaltig irritierender. Und dann kommt die echte Kronzeugin ins Spiel: Alwara Höfels spielt sie 60 Minuten lang als eine Frau im emotionalen Ausnahmezustand, die auch noch ein kleines Geheimnis mit sich herumträgt. Angst ist ihr zweiter Vorname. Der erste lautet Matilda. So wie 2010 bereits die Kronzeugin in Schmidts bislang erfolgreichstem Krimi, zu dem er das Drehbuch schrieb: „Mörder auf Amrum“ (Grimme-Preis, 7,47 Mio. Zuschauer, 13 Wiederholungen im Free-TV, 38 auf Sky Krimi). Die Hauptrolle spielte im Übrigen Hinnerk Schönemann. Voilà, fertig ist der Rollenname: Matilda Schönemann. Und ein Koops war damals auch schon dabei, so hieß der Vorgesetzte von Schönemanns Helge Vogt, ach ja und Vogt heißt in „Die Kronzeugin“… Wichtiger als die Rollennamen sind für das Gelingen des Films selbstredend die Darsteller der Antagonisten. Johannes Krisch und Stephan Grossmann (der Tote unter dem Hotelbett) sind die Hauptgegenspieler, zwei Männer, die sich selbst überschätzen – und deren Scheitern ein Stück weit etwas Tragisches hat; dass sie Bad Cops und keine klassischen Killer sind, macht ihre Rollen interessanter und narrativ nuancenreicher. Mögen auch im Erstling von Stephan Wagner die Charaktere etwas doppelbödiger und dichter herausgearbeitet gewesen sein – zur geradlinigen, packenden Geschichte von „Die Kronzeugin“ passt die insgesamt recht dynamische Inszenierung von Florian Baxmeyer außerordentlich gut. Der Anschlag und das anschließende Blutbad im ersten Drittel des Films sind räumlich wie zeitlich außerordentlich anschaulich in Szene gesetzt – da stimmt jedes Bild, da hat sich keiner drauf verlassen, die Sequenz im Schnitt irgendwie hinzubiegen. Sehr viel kürzer, dafür mit einem Wow-Effekt, ist der Western-like Showdown auf der Brücke einer Talsperre. In „Harter Brocken – Der Banküberfall“ ist die von Julia Koschitz gespielte Täterin aus Episode 1 wieder mit dabei; und die Schöne sinnt auf Rache. (Text-Stand: 28.10.2017)