Folgenlose Aneinanderreihung von Irrtümern
Merle ist von ihrem neuen Freund Romuald in dessen Sommerhaus in der Nähe von Nizza eingeladen worden, doch von dem vielbeschäftigten Verlagsmensch keine Spur. Dafür sind seine Kinder da: die patzige Emma und der pubertär verpeilte Felix. Merle nimmt die Situation hin. Schließlich ist das Wetter gut, das Ferienhaus komfortabel, es gibt einen Pool mit Panoramablick aufs Meer – und mit den beiden Teenagern arrangiert sie sich langsam. Spätestens als sie an Emmas Geburtstag mit Romuald telefoniert und ihm zum Spaß aller etwas vorlügt, geben die Kinder die Distanz zu der Frau auf, von der sie offenbar bisher angenommen haben, dass sie so etwas wie ihre neue Mutter werden könnte. Hier die Enttäuschung über den mal wieder abwesenden Vater, dort über den Liebhaber Romuald verbindet die drei. Doch ein nächtlicher Ausflug mit den beiden zeigt Merle, dass die Nähe zu den Jugendlichen nur ein Irrtum ist, ähnlich vielleicht, wie die Beziehung zu deren Vater.
Eine Enddreißigerin und ihr Platz im Leben
Viel passiert nicht in „Halbschatten“, dieser Liebesgeschichte ohne Liebe, dem Debütfilm von Nicolas Wackerbarth. Eine Frau, Ende 30, erfährt viel Ablehnung, fühlt sich fremd, dennoch bleibt sie länger an dem Ort dezenter Demütigungen, als es andere tun würden. Die Handlung dieses kleinen Kinofilms ist – in der Tradition der Berliner Schule – zwar arm, die Hauptfigur dafür umso reicher an Konnotationen. „Mit Ende 30 hat Merle sich noch alle Optionen auf vielversprechende Selbstverwirklichung offen halten können“, charakterisiert Wackerbarth seine Protagonistin. „Soziale Rollen spielte sie nur an. Auch in diesem Sommer testet sie die, die sich ihr bieten, nur halbherzig aus: die enttäuschte Liebhaberin, die hysterische Hausfrau, die abenteuerlustige Jugendliche, die Schriftstellerin, den Flaneur.“ Trotz des Verzichts auf die gängigen Methoden der Psychologisierung bekommt man als Zuschauer durchaus ein Bild von dieser Merle, dieser Gelegenheitsbuchautorin, von ihren stillen Erwartungen, ihrer Wesensart, mehr noch von ihrer gesellschaftlichen „Stellung“ in der Welt, von ihrer Unentschlossenheit, ihrer Planlosigkeit. Diese Frau hat noch keinen Platz im Leben gefunden – und so switcht sie zwar gelegentlich in die ihr angemessene erwachsene Rolle, fühlt sich aber auch recht wohl, wenn sie den Kindern ihres Freundes und deren Freunde auf Augenhöhe begegnen kann.
Foto: WDR / unafilm
Stimmen zur Premiere auf der Berlinale 2013:
„Stille Seelen, schöne Bilder… So geht ‚Halbschatten’, das Debüt des 1973 geborenen Nicolas Wackerbarth, das von Auslassungen, Vergeblichkeiten, leeren Seelenstellen lebt und sich den narrativen Nötigungen manchmal ermüdend, aber meist elegant verweigert.“ (Tagesspiegel)„‚Halbschatten’ gibt sich so antipsychologisch, antinarrativ und antiexplikativ, wie es die Berliner-Schule-Filme in der Mehrzahl sind. Aber Wackerbarth setzt dieser Anti-Kette nichts Positives, nichts Eigenes entgegen. Stattdessen wirkt der Stil, so extrem er ist, wie zitiert.“ (Berliner Zeitung)
„Die Bilder sind meist streng geometrisch komponiert, leicht milchig zwischen grün und blau… In seiner Stilsicherheit erinnert ‚Halbschatten’ manchmal ein bisschen an ‚La Notte’ von Antonioni. Komisch, sich vorzustellen, dass Merle älter ist als die Helden des Antonioni-Klassikers.“ (tageszeitung)
Abwesender Freund, abwesende Narration
Das, was die Situationen mit der Heldin machen, das macht der Film auch mit dem Zuschauer: der wird auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine Lust oder Unlust, mit den undramatisierten Brocken von Geschichte etwas anzufangen. „Halbschatten“ besitzt mit seinen knapp 80 Minuten eine passende Länge für diese Nicht-Narration, mit der sich der Zuschauer „arrangieren“ muss. Nicolas Wackerbarth bietet wenig Reize an. Wir folgen einer Frau, sympathisch und sensibel leiht ihr Anne Ratte-Polle (die leider mehr im Theater als im Film zu sehen ist) Gesicht und Körper. Wir sehen ein Haus als zweiten Hauptdarsteller, wir sehen pampige Kids, einen bellenden Schäferhund, übergriffige Ladenbesitzer, einen freundlichen Gast in einer Bar. Die Einstellungen sind lang, (Halb-)Totalen dominieren, Musik gibt es nicht – dafür schieben sich die Alltagsgeräusche in den Vordergrund. Manchmal rauschen die Blätter im Wind. Und Kommunikation, das ist in diesem Film eher stummes Selbstgespräch als Austausch. Wer das (sich selbst) Entdecken liebt, sich gern durch Filme treiben lässt, wer beim Motiv Swimming Pool und bei der Abwesenheit vermeintlicher Hauptfiguren nicht sofort die entsprechenden Filme erinnert und Mord oder erotischen Magnetismus erwartet, wer sich vielmehr gern vom Vagen, Ungefähren und dafür von umso strenger komponierten Bildern verführen lässt (und wer das Glück hat, „Halbschatten“ an einem der heißesten Tage eines Jahres zu sehen, beispielsweise am 2. Juli 2015) – der sollte sich auf diesen behutsam beobachtenden Debütfilm einlassen. (Text-Stand: 2.7.2015)