Großstadtförsterin

Stefanie Reinsperger, Aybi Era, Beatrice Meier, Sabine Bernardi. Lass Bilder sprechen!

Foto: RBB / Maor Waisburd
Foto Rainer Tittelbach

Die als neue ARD-Freitagsreihe konzipierte „Großstadtförsterin“ haucht dem eher altbackenen Genre, das im deutschen Fernsehen mit wertkonservativen Serien wie „Forsthaus Falkenau“ (1988-2013) oder „Forstinspektor Buchholz“ (1988-90) erfolgreich war, filmisch und thematisch neues Leben ein. Besonders reizvoll ist dabei die Verbindung aus Naturerleben und Großstadt-Lifestyle. Es ist auch stets ehrenwert Themen wie Klimawandel und Naturschutz in TV-Unterhaltung einzubringen; besonders zu überzeugen weiß der durchweg gut besetzte 90-Minüter aber dadurch, dass die Macherinnen für diese Intention auch eine alltagsnahe, nicht überdramatisierte Geschichte und realistische Erzählweise gefunden haben. Herzstück des Films sind die titelgebende „Großstadtförsterin“, die im Gegensatz zu den anderen Frauen am ARD-Freitag nicht nur eigenwillig, sondern auch eigenbrötlerisch, undiplomatisch und stur ist, und ihre wunderbare Darstellerin Stefanie Reinsperger: ein echter Glücksfall!

Revierleiterin im Forstamt Grunewald – das klingt reizvoller, als es ist, muss Jana (Stefanie Reinsperger) nach den ersten Arbeitstagen in der grünen Lunge Berlins leider feststellen. Angenommen hat sie die Stelle als leitende Großstadtförsterin ohnehin nur wegen ihrer alten Freundin Aylin (Aybi Era), die im Berliner Senat mehr für den Naturschutz tun möchte. Doch die eher menschenscheue Jana hat immerhin viele Jahre einen beruflichen und privaten Traum in den Vogesen gelebt. Dagegen ist der Grunewald mit einem wild gewordenen Keiler, mit Party machenden Jugendlichen und Kindern, die Wildtiere mit Popcorn füttern, eine fremde, unbegreifliche Welt für sie. Auch die neuen Kollegen sind mehr als gewöhnungsbedürftig: der misstrauische Robin (Eugen Knecht), der gern selbst die Revierleitung übernommen hätte, die wankelmütige Yvonne (Bärbel Schwarz) oder „Forscher“ Selim (Burak Sercan Akyol), der zwar klug und umsichtig, aber auch unsicher und sehr vorsichtig ist. Und dann ist da noch dieser merkwürdige Stadtjäger (Alexander Khuon), der ihr immer wieder über den Weg läuft. Die größte Enttäuschung aber ist das Verhalten ihrer Freundin. Offensichtlich hat Aylin sie nur deshalb nach Berlin geholt, um ihre politischen Ziele besser erreichen zu können. Ein E-Bike-Weg mitten durch den Grunewald, das ist auf jeden Fall für die naturliebende Jana ein No-Go.

GroßstadtförsterinFoto: RBB / Maor Waisburd
Jana (Stefanie Reinsperger) und Aylin (Aybi Era). Die beste Freundin wird zur Antagonistin. Sie bringt nicht nur eine andere Farbe in den Wald, sondern ihre Lebenswelt, das Lifestyle-Berlin, auch Abwechslung ins Grün der Bilder von „Großstadtförsterin“.

Die als neue ARD-Freitagsreihe konzipierte „Großstadtförsterin“ haucht dem eher altbackenen Genre, das im deutschen Fernsehen mit wertkonservativen Serien wie „Forsthaus Falkenau“ (1988-2013) oder „Forstinspektor Buchholz“ (1988-90) erfolgreich war, filmisch und thematisch neues Leben ein. Besonders reizvoll ist dabei die Verbindung aus Naturerleben und Großstadt-Lifestyle. So taucht die Frau, die Tiere, Pflanzen und die Einsamkeit liebt, auch schon mal ein ins Berliner Nachleben und tanzt wild und ausgelassen ab mit ihrer Freundin Aylin, die für den urbanen Gegenentwurf zum Grunewald und dem muffigen Forsthaus mit 50er-Jahre-Ambiente steht. In der Frauenfreundschaft spiegelt sich noch ein weiterer Gegensatz: Jana, die Aktivistin früherer Jahre, ist auch heute noch Idealistin, während Aylin, die Politikerin, die Probleme seit jeher pragmatisch angegangen ist. Aufschlussreich sind auch viele, kleine Informationen, die in die 90 Minuten eingestreut sind. Große Vorträge werden nicht gehalten, Hintergrundinformationen, beispielsweise, dass nur vier Prozent der Bäume im Grunewald gesund sind oder, weshalb man Wildtiere nicht füttern darf, werden recht beiläufig über den Dialog vermittelt. Anderes findet situativ Eingang in die Handlung. So bringt es Deutschlands größte urbane Grünfläche mit sich, dass sich immer wieder Wildtiere auf Straßen und in Gärten verlaufen. Wer wusste schon, dass es eigens dafür Stadtjäger gibt.

Themen wie Klimawandel und Naturschutz in fiktionale Genres einzubringen, ist ehrenwert. Zu überzeugen weiß „Großstadtförsterin“ aber vor allem dadurch, dass für die Intention auch eine ansprechende Geschichte und Erzählweise gefunden wurde. Das Drehbuch stammt von Beatrice Meier, die mit „Eine Sommerliebe zu dritt“ und „Sprachlos in Irland“ die Vorlagen für zwei der intelligentesten ARD-Freitagsfilme der letzten Jahre geschrieben hat. Schon die ersten Filmminuten zeugen von großer Sensibilität. Jana steht nicht auf Berlin, sie fremdelt mit den vielen Menschen hier. Erst im Grunewald kann sie durchatmen, nimmt Kontakt mit der Natur auf. Vier Minuten dauert diese Sequenz, die ohne Worte schon einiges verrät über diese junge Frau und ihre neue Aufgabe; man spürt als Zuschauer ihre Probleme mit der neuen Situation. Auch später noch wird viel in und mit Bildern erzählt. Regie führte Sabine Bernardi, die schon mit so unterschiedlichen Produktionen wie „Ku’damm 63“, „Tatort – Love in Pain“ oder dem Grimme-Preis-nominierten Sozialdrama „Auf dünnem Eis“ zu überzeugen wusste.

GroßstadtförsterinFoto: RBB / Maor Waisburd
Realismus dominiert über Försterinnen-Romantik. Dies spiegelt sich auch in der stimmigen Besetzung (Bärbel Schwarz, Burak Sercan Akyol und Eugen Knecht) und in der Art und Weise, wie Sabine Bernardi die Szenen und Interaktionen inszeniert.

Selbst die krassen Gegensätze zwischen der lichten, sonnendurchfluteten modernen Metropole und der vorgestrigen Forst(haus)-Atmosphäre mit den gedeckten Braungrün-Tönen wirken nicht ausgestellt, sondern gehen als „realistisch“ durch. Mit dazu bei trägt – trotz der zahlreichen kleinen Konflikte – die undramatische, alltagsnahe Tonlage, die sich angenehm über die Handlung legt. Erst im Schlussdrittel wird es dramatischer, die Konflikte der Freundinnen treten offen zutage, und es bilden sich neue Koalitionen. Auch wenn ein Film mit der Option zur Reihe nicht viele Konfliktlösungsmöglichkeiten besitzt, so weiß man bis kurz vor Schluss nicht, wie’s ausgehen wird. Im Gefühlschaos ändern die Figuren immer wieder ihre Meinung. Darin nicht den dramaturgischen Kniff zu sehen, sondern das Hin und Her als glaubwürdige Aktion/Reaktion der Figuren zu verstehen: Diese Wahrnehmung kommt nicht von ungefähr. Auch sie ist jener lebensklugen, sich Zeit nehmenden, an den Charakteren orientierten Erzählweise zu verdanken.

Herzstück der Geschichte ist die titelgebende „Großstadtförsterin“, die im Gegensatz zu den anderen Frauen am ARD-Freitag nicht nur eigenwillig, sondern auch ziemlich eigenbrötlerisch und undiplomatisch stur ist, und ihre wunderbare Darstellerin Stefanie Reinsperger. Die Stimmungen ihrer Jana vermittelt sie nie zu direkt, ihr Spiel ist nuanciert und weist viele emotionale Zwischentöne auf. Sie kann perfekt muffelnd den Menschenfeind geben, aber auch vor Glück strahlend Jana, das Feierbiest. In Kombination mit dem realistischen Angang des Films, dem eine Reihe zu wünschen wäre, nimmt man ihr die Großstadtförsterin von der ersten Minute an ab. Auch die Rollen der anderen Eigenbrötler sind stimmig besetzt und unterstreichen den Wirklichkeitsanspruch der Macherinnen. Nicht weniger treffend: Aybi Era als geliebt-verhasste Antagonistin. Auch wenn ihre Aylin freundlich strahlend Politik in eigener Sache macht, glaubt man ihr die Intrigantin ebenso wie die gute Freundin.

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Reihe

ARD Degeto, rbb

Mit Stefanie Reinsperger, Aybi Era, Eugen Knecht, Bärbel Schwarz, Burak Sercan Akyol, Alexander Khuon, Martin Ontrop, Luisa Römer, Joshio Marlon, Tamer Tahan

Kamera: Kaspar Kaven

Szenenbild: Juliane Hoffrecht

Kostüm: Nicole Stoll

Schnitt: Simone Sugg-Hofmann

Musik: Matthias Petsche

Soundtrack: CocoRosie („Restless“), Feu! Chatterton („Monde Nouveau“), two colors („Lovefool“), Röyskopp („Control“), Måneskin („Beggin'“)

Redaktion: Verena Veihl (RBB), Kirsten Frehse (Degeto)

Produktionsfirma: MadeFor Film

Produktion: Rima Schmidt

Drehbuch: Beatrice Meier

Regie: Sabine Bernardi

Quote: 3,16 Mio. Zuschauer (12,3% MA)

EA: 01.03.2024 20:15 Uhr | ARD

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