Gotthard

Miriam Stein, Maxim Mehmet, Aleardi, Król, Dähnert, Urs Egger. Der Berg ruft

Foto: ZDF / Daniel Ammann
Foto Volker Bergmeister

Blut, Schweiss und Tränen – der ZDF-Zweiteiler „Gotthard“ bietet eine hochemotionale, abenteuerliche Filmreise ins Innerste der Erde. Das historische Drama erzählt die Geschichte des Baus des ersten Eisenbahn-Tunnels durch die Alpen. Herausgekommen ist ein Stück solide TV-Unterhaltung, opulent und farbenprächtig in Szene gesetzt, historisch fundiert, mit viel Action und (zu) viel Herzschmerz. Im Zentrum von Urs Eggers Films stehen eine schweizerische Fuhrmannstochter, ein deutscher Ingenieur und ein italienischer Mineur.

Schon der Einstieg zeigt, es geht um Wandel, um Fortschritt, um den Kampf zwischen alt und neu. Man schreibt das Jahr 1873. Auf dem Weg ins kleine Bergdorf Göschenen im Kanton Uri liefern sich ein Pferdewagen und eine Dampflokomotive ein Rennen. Die Pferde werden wild angetrieben, die Lok befeuert. Die Maschine hat deutlich die Nase vorn. Im Dorf laufen derweilen die Bauarbeiten für den ersten Tunnel, der durch den Schweizer Berg Gotthard verlaufen soll, auf Hochtouren. Arbeiter aus aller Herren Länder wollen bei dem spektakulären Bau dabei sein. Auch drei junge Menschen hat die Goldgräberstimmung bei der historischen Bezwingung der Alpen gepackt: Die schweizerische Fuhrmannstochter Anna (Miriam Stein), den deutschen Ingenieur Max (Maxim Mehmet) und den italienischer Minenarbeiter Tommaso (Pasquale Aleardi). Die beiden Männer finden Arbeit bei der Baugesellschaft unter der Leitung von Louis Favre (Carlos Leal), Anna schließt einen Transportvertrag mit Favre. Doch es gibt nicht nur den Berg, sondern auch die Liebe: Max fühlt sich zu Anna hingezogen, doch da ist ja auch noch Tomasso. Die harten Bedingungen auf der Baustelle fordern hunderte Menschenleben, die anfängliche Euphorie verfliegt, es folgen dramatische Konflikte. Als die Baugesellschaft kurz vor der Pleite steht, droht der Traum vom Durchstich zu scheitern.

GotthardFoto: ZDF / Pascal Mora
Eindrucksvolle Bilder aus dem Tunnel. Arbeitsalltag im Stollen: der Abraum-Transport, eine physische Aktion.

Ein historisches Drama hat Autor Stephan Dähnert („Das Ende der Geduld“) da entworfen und dabei seine dramaturgische Kompetenz genutzt. Er erzählt die Geschichte des Tunnelbaus „von unten“ – anhand dreier Menschen vor Ort: Max , Anna und Tomasso treiben die Handlung über die 180 Minuten voran. Sie finden sich, werden durch die harte Arbeit an dem Jahrhundertbauwerk zusammengeschweißt, durch die Irrungen der Liebe und der Entwicklungen des Projekts auseinander gerissen, und die beiden Männer stehen sich schließlich als Kontrahenten um die Frau und den Bau gegenüber. Sie personifizieren die wesentlichen Bereiche Kapital und Arbeiterschaft, die hier in einem Spannungsfeld stehen. Und sie sind Symbol für die einfachen Menschen, die ihr Leben in den Dienst des Fortschritts stellen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Vieles, was Dähnert in sein Drehbuch gepackt hat, ist überliefert. Zwei Historikerinnen (Elisabeth Joris und Eva Schumacher), die den Tunnelbau sozialhistorisch untersucht haben, haben das Projekt begleitet und auf den aktuellen Stand der geschichtswissenschaftlichen Erkenntnis gebracht. Anderes ist reine Fiktion. Das gilt vor allem für die zentralen Figuren und die Liebesgeschichte. Da hat man wohl nicht der Kraft des eigentlichen Themas vertraut. Die Geschichte auf Einzelschicksale herunter zu brechen, dem großen Ereignis ein menschliches Gesicht zu geben – bietet sich bei „Gotthard“ an. Aber – wie hier geschehen – die drei Personen in so ein enges und dominierendes Beziehungsgeflecht zu setzen, ist kein glücklicher Kniff. So gerät der Tunnel phasenweise zu sehr in den Hintergrund und die persönliche Ebene bekommt einen zu hohen Stellenwert.

GotthardFoto: ZDF / Pascal Mora
Reizvoller Stimmungsaufheller und visueller Kontrast. Dafür verwässert die Liebesgeschichte das historische Sozialdrama. Maxim Mehmet und Miriam Stein in „Gotthard“

Bis der Zweiteiler so richtig Fahrt aufnimmt, braucht es eine ganze Weile. Regisseur Urs Egger nimmt sich viel Zeit für die Einführung der Protagonisten und für die Anfänge des gigantischen Projekts. Und er geht dabei in die Vollen. Opulente Bilder, satte Farben und allzu dick aufgetragene Musik dominieren. Zuweilen ist der Tunnel etwas zu gut ausgeleuchtet; so verliert er beim Betrachter an Bedrohlichkeit und Enge. Meist aber sind die Szenen im Berg von hoher Intensität und Kraft. „Das Tunnelinnere haben wir in einer riesigen Industriehalle nahe Köln rekonstruiert: einen 90 Meter langen Tunnelabschnitt, in dem wir alle Tunnelszenen drehen konnten – samt Spezialeffekten, Einstürzen und Sprengungen“, sagt Egger. „Von allen historischen Filmen, die ich bisher gemacht habe, war ,Gotthard‘ bei weitem der aufwändigste.“ Das merkt man dem Film an vielen Stellen an. Entscheidend für die Sogwirkung vieler Bilder ist die lebendige, fast dokumentarische Kamera (Lukas Strebel). Was Egger zudem in seiner Inszenierung gelingt: den Bau des Tunnel nicht zu glorifizieren. Er zeigt vor allem die schmutzige Seite dieses Vorzeigeprojekts: die miesen Arbeitsbedingungen, die großen Gefahren, denen die Mineure ausgesetzt waren. Viele historische Belege sind wesentliche Bestandteile des Zweiteilers: der Arbeiterstreik oder die ausbrechende Tunnel-Krankheit, die viele Opfer forderte und von der Gotthard-Gesellschaft verharmlost wurde.

Hervorzuheben bei „Gotthard“ ist die Ausstattung. In ihrer Detailtreue und Genauigkeit ist sie überzeugend, trägt maßgeblich dazu bei, dass man eine Vorstellung von der Arbeit im Gotthard-Tunnel und den Lebensbedingungen der Menschen, die am Bau beteiligt waren bekommt. Der Look ist sehr authentisch, dabei hat man – laut Urs Egger – auch die Vorteile der digitalen Nachbearbeitung genutzt. Vielleicht hätte man beim Drehbuch allein den Fakten und der Bedeutung dieses Projekts vertrauen sollen. Aber man hat sich für Liebe und Leid und somit eine starke Emotionalisierung entschieden. So hat der Film zwei Gesichter: Im Tunnel harte Realität, außerhalb zu viel Melodram. Mit der Verbindung eines eindringlichen historischen Sozialdramas mit einer Liebesgeschichte schielt man auf ein großes Publikum. Und das dürfte auch Gefallen finden an den drei tragenden Rollen. Miriam Stein, Maxim Mehmet und Pasquale Aleardi bilden als Anna, Max und Tomasso ein sehr anrührendes Trio und sind eine gute Wahl. Carlos Leal (als Tunnelbaumeister Favre) und Pierre Siegenthaler (als Alfred Escher) verkörpern die historischen Figuren. Am 1. Juni 2016 feierte die Schweiz den Abschluss eines Jahrhundertprojekts, die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels – mit 57,1 km der längste Eisenbahntunnel der Welt. Diesen Anlass hat man zum größten Fernsehfilmprojekt genutzt, das in der Schweiz je realisiert wurde. Herausgekommen ist ein Stück solide TV-Unterhaltung, opulent und farbenprächtig in Szene gesetzt, historisch fundiert, mit viel Action und (zu) viel Herzschmerz versehen. Passend für das Vorweihnachtsprogramm.

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ZDF

Mit Maxim Mehmet, Miriam Stein, Pasquale Aleardi, Marie Bäumer, Joachim Król, Max Simonischek, Roeland Wiesnekker, Carlos Leal, Anna Schinz, Cornelius Obonya

Kamera: Lukas Strebel

Szenenbild: Knut Loewe

Kostüm: Birgit Hutter

Schnitt: Benjamin Hembus

Musik: Fabian Römer

Produktionsfirma: Zodiac Pictures

Drehbuch: Stefan Dähnert – nach Geschichte von Niklaus Hilber und Patrick Tönz

Regie: Urs Egger

Quote: 1. Teil: 4,78 Mio. Zuschauer (14,3% MA); 2. Teil: 4,51 Mio. (13,8% MA)

EA: 19.12.2016 20:15 Uhr | ZDF

weitere EA: 21.12.2016 20:15 Uhr | ZDF

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