Jessi ist zwölf, steht aber anders als die langbeinigen Mädchen aus ihrer Klasse erst am Beginn der Pubertät. Wegen ihrer Kurzhaarfrisur und ihres burschikosen Auftretens wird sie öfter mal für einen Jungen gehalten. Weil sie außerdem unter allerlei harmlosen Zwangsstörungen leidet, ist sie ein beliebtes Mobbing-Opfer ihrer männlichen Mitschüler, die sie „Neutrum“ nennen. „Glück ist was für Weicheier“ klingt nach Komödie und einem Film über Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Tatsächlich verblüffen Silvia Wolkan (Buch) und Anca Miruna Lazarescu (Regie) immer wieder mit unerwartetem Witz, aber letztlich ist der Film ein tieftrauriges Drama: Jessis Schwester Sabrina (Emilia Bernsdorf) leidet unter einer tödlichen Lungenkrankheit. Seine amüsante Note verdankt das Buch einer irrwitzigen Idee: Jessi (Ella Frey) liest in einem Buch über Rituale zur Schadensabwehr, dass sich Sabrinas Schicksal womöglich mit Hilfe von Sex abwenden lässt; die Krankheit würde dann auf den Mann übergehen. Also widmet sie ihre Freizeit fortan der Suche nach einem Beischläfer.
Diese Ebene ist so etwas wie der Motor der Handlung und sorgt daher für eine gewisse Dynamik. In erster Linie ist „Glück ist was für Weicheier“ jedoch das Porträt eines Mädchens, das schon in jungen Jahren mit viel zu viel Leid konfrontiert wird. Dass Jessi anders ist als die anderen, treibt ihre seelische Unordnung nur auf die Spitze; Verwirrtheit und Weltschmerz gehören in dieser Lebensphase quasi zur Grundausstattung. Der Film ist eine Kinokoproduktion der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel, hatte eine kaum der Rede werte Kinoauswertung und hieß in der internationalen Festival-Auswertung „Happiness Sucks“. Die Botschaft dieses Titels (und damit auch des Films) ist die gleiche, nur deftiger formuliert: Glück ist Scheiße; und das trifft es ziemlich gut. Jessis Mutter ist vor elf Jahren bei einem Autounfall gestorben. Kein Wunder, dass der Vater von Melancholie umwölkt ist.
Martin Wuttke ist eine interessante Besetzung für diese Rolle: Nicht zuletzt dank einer Perücke, die ihn stets etwas wirr aussehen lässt, wirkt er weitaus zerbrechlicher als seine jüngere Tochter. Stefan wappnet sich mit Walgesängen gegen die Unbill des Daseins und ist auch sonst ein bisschen aus der Zeit gefallen; seine Naivität lässt ihn wie ein altes Kind erscheinen. Der Bademeister konnte sich damals nicht von seiner Frau verabschieden; das kompensiert er, indem er versucht, Sterbenden die Angst vor dem Tod zu nehmen. Auch diese Szenen nutzen Wolkan und Lăzărescu für moderat makabre Momente, wenn Stefan beispielsweise einen belehrenden Monolog hält („Laden Sie den Tod zum Kaffee ein“) und gar nicht mitbekommt, dass der Mann, dem er Beistand leisten will, soeben verstorben ist. Er hat dem Sterbebegleiter eine Küchenmaschine vermacht, was später zu einer bizarren Szene führt: Weil Stefan beim Mixen roter Beeren den Deckel vergessen hat, sieht er umgehend aus wie eine jener blutbesudelten Figuren aus den Horrorfilmen, die sich Sabrina regelmäßig anschaut.
Obwohl der Film im Grunde nur eine Aneinanderreihung einzelner Vorfälle und Erlebnisse ist, gelingt es Lazarescu in ihrer ruhig erzählten zweiten Regiearbeit nach ihrem deutsch-rumänischen Road-Movie „Die Reise mit Vater“ (2016), einen harmonischen Handlungsfluss herzustellen. Dafür steht vor allem die junge Hauptdarstellerin Ella Frey (Jahrgang 2004), die mit ihrer Leistung bestätigt, was sich schon in früheren Filmen wie „Hirngespinster“ (2014) oder „Nur eine Handvoll Leben“ (2016) angedeutet hat. Dort hat sie schwierige Figuren mit bemerkenswerter Souveränität gemeistert; das gilt hier erst recht. Emilia Bernsdorf, sieben Jahre älter und nicht zuletzt dank regelmäßiger Mitwirkung in verschiedenen Krimis und Sonntagsfilmen des ZDF ungleich erfahrener, hat die deutlich kleinere Rolle, verkörpert die zunehmende Fragilität der zusehends verschwindenden Schwester, die ihr Schicksal mit viel Ironie nimmt, jedoch mit berührender Glaubwürdigkeit.
Ella Frey trägt auch die kleine, aber für das Gesamtgefüge des Films ungemein wichtige komödiantische Ebene. Bei ihrer Führung hat Lazarescu sorgsam darauf geachtet, dass nicht die Rolle, sondern die jeweiligen Umstände komisch sind, etwa Jessis Besuche bei einem etwas ratlosen Therapeuten (Christian Friedel), der ihr nutzlose Flirt-Tipps gibt, oder ihr daraufhin vergeblicher Versuch, sich an den Schulschwarm (Tim Dieck) ranzumachen, der sie prompt für schwul hält. Sehr interessant neben den stimmigen Bildern für Jessis Innenwelt (Kamera: Christian Stangassinger) ist auch die Musik (Ketan und Vivan Bhatti), die mit ihrer Mischung aus Gute-Laune-Melodien und schwermütigen Untertönen die Handlung perfekt untermalt. „Glück ist was für Weicheier“ eröffnet die diesjährige Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“. Leider zeigt das ZDF die Filme ausnahmslos erst nach 23 Uhr; dabei hätte die Tragikomödie bestimmt auch um 20.15 Uhr funktioniert.
„Der Film nimmt den Tod durchaus ernst, doch umgibt er ihn auch mit einer Prise nie überzogenen, absurden Humors. Sabrina etwa stellt schon mal die Musik zu ihrer Beerdigung an und schaut Zombiefilme, wo die Menschen wie die Fliegen sterben. Und Stefan erzählt seinen todkranken Klienten im Hospiz vom „Orgasmus des Todes“ und bekommt einmal gar nicht mit, dass ein Mann hinter seinem Rücken schon gestorben ist. Aber das wirkt nie lächerlich, eher ungelenk. Und ungelenk und unerfahren agiert auch Jessica, denn „Glück ist was für Weicheier“ ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte. (…) Ungelenk wirkt auch der Psychotherapeut, zu dem Jessica von der Schule geschickt wird. Aber auch er ist weit von einer Karikatur entfernt, wird eher zu einem Freund. Der Tonfall dieses Films bleibt in einem positiven Sinne verhalten. Dazu tragen auch die grandiosen Darsteller bei, allen voran Ella Frey als Jessica und der in diesem Film sehr in sich gekehrten Martin Wuttke als Vater Stefan. (epd film)