Frühling – Zu früh geträumt

Thomalla, Genzkow, Kuhl, Hanna Binke, Scharf, Jauch. Zu früh abgeschrieben!

Foto: ZDF / Erika Haur
Foto Rainer Tittelbach

Schien in der zwölften „Frühling“- Episode „Schritt ins Licht“ die Luft ein bisschen raus gewesen zu sein aus dem Konzept der etwas anderen „Herzkino“-Reihe, beweist „Zu früh geträumt“, wie gut diese moderat horizontal erzählten Dorfgeschichten bei entsprechender Feinabstimmung (doch noch immer) funktionieren können. Diese Dorfhelferinnen-Dramödie setzt auf Alltag, anschlussfähige Schmerz- und Wohlfühlarrangements, beiläufiges Spiel und mit Annika Kuhl und vor allem Hanna Binke („Ostwind“) auf sehr überzeugende „Gäste“. Einmal mehr gelingen Autorin Scharf die jungen Charaktere besonders gut & lebensnah.

Treppensturz, Schwangerschaft mit 15 und eine neue Liebe
Mit Kindern konnte Katja Baumann (Simone Thomalla) schon immer gut, und auch mit bärbeißigen oder verschlossenen Teenagern hat sie Erfahrung; mit ihrer Tochter Kiki (Carolyn Genzkow) war es in der Pubertät ja auch nie leicht. Aber an diese Amelie (Hanna Binke), deren allein erziehende Mutter Anna Huber (Annika Kuhl) nach einem Treppensturz für einige Tage zuhause ausfällt, kommt Katja zunächst gar nicht heran. Schon länger ist die 15-Jährige das Mädchen für alles im Haushalt und die Ersatzmama für ihre kleineren Geschwister Lisa (Sienna Schäffer) und Patrick (Daan Lennard Lieberenz). Doch seit wenigen Wochen ist ihr das offenbar alles zu viel. Die Dorfhelferin stößt auf den Durchschlag eines Abschiedbriefs, der das Schlimmste ahnen lässt: Amelie weiß nicht mehr ein noch aus – sie ist schwanger. Und das ausgerechnet vom so uncoolen Nachbarssohn Ingo (Levin Henning), den sie nicht einmal besonders mag. Bei Kiki ist die Situation dagegen eher umgekehrt: Sie empfindet immer mehr für Peet (Patrick Mölleken), den Sohn ihrer Chefin, dem sie nach einem Badeunfall das Leben gerettet hat, der sich allerdings mit seinem Rollstuhldasein abgefunden zu haben scheint. Sie ermutigt ihn zur Physiotherapie und coacht ihn zurück ins Leben. Doch dann bekommt sie vom Klinikchef Prof. Gabriel (Peter Sattmann) ein unglaubliches Angebot…

Die ZDF-Unterhaltungsreihe findet wieder zu guter alter Form
War in der zwölften „Frühling“- Episode „Schritt ins Licht“ ein bisschen die Luft raus aus dem Konzept der etwas anderen „Herzkino“-Reihe, die durch den immergleichen Grundplot und die dazu entsprechend stereotype Dramaturgie langsam ihren Kredit zu verspielen schien, belehrt „Zu früh geträumt“ den Kritiker eines Besseren. Diese Episode, ebenso wie die verflixte zwölfte von Natalie Scharf geschrieben und von Thomas Jauch in Szene gesetzt, bringt alles das wieder zum Vorschein, was die besten Filme dieser Unterhaltungsreihe bisher ausgezeichnet hat: die am Alltag ausgerichtete Erzählstruktur der Geschichten, die nicht ganz so unrealistischen Schmerz- und Wohlfühlarrangements, das weitgehend überzeugende, beiläufige und alltagsnahe Agieren der Schauspieler, eine entsprechend gute Besetzung der durchgängigen Rollen und auch der meisten Gastrollen. Außerdem befriedigt die Reihe die Zuschauer-Lust am seriellen, moderat horizontalen Erzählen: Der Mikrokosmos Frühling ist stets lebendig, mal rückt der eine, mal der andere Dauergast oder Dorfbewohner stärker in den Fokus des Geschehens. In der 13. Episode darf sich der Herr Pfarrer, gespielt von Johannes Herrschmann, etwas mehr und vor allem sympathischer einbringen als bisher. Dafür musste der beliebte Darsteller von Tierarzt Mark, Marco Girnth, offenbar eine Sonderschicht für die „SOKO Leipzig“ einlegen, greift aber in der März-Episode wieder direkter ins emotionale Treiben ein. Und auch die Geschichten selber, die Problemfälle, die Themen, Krankheit, Alter, Tod, Generations- und Geschlechterkonflikte, sind mit ihrer Mischung aus sanfter Sozialkritik und leiser Romantik – zumindest für den ZDF-Sonntag – eine Bereicherung. Weniger erfreulich ist die zunehmende Beliebigkeit in der Art, wie die Filme inszeniert sind. Was anfangs frisch wirkte, ist regelrecht zu einem „Frühling“-Code (warm & sonnig) erstarrt. Da wirken die altbackeneren Reihen „Inga Lindström“ und „Pilcher“ in ihrer filmischen Anmutung mitunter sogar abwechslungsreicher (neuer Film, neuer Look!)

Frühling – Zu früh geträumtFoto: ZDF / Barbara Bauriedl
Von der Klassenbesten zum Sorgenkind. Noch wissen Katja und die Lehrerin nicht den Grund für Amelies Krise. Das Gesicht des Films: Hanna Binke („Ostwind“)

Ein stimmiger Cast ist die halbe Miete: Hanna Binke überragt alle
In „Zu früh geträumt“ dominiert zwar auch ein alles überstrahlendes Sommerlicht die Bilder, aber da so vieles andere in diesem Film ausgesprochen gut funktioniert, wird diese anfangs noch aufdringlich wirkende Urlaubsfilm-Ästhetik sehr bald – was die Wahrnehmung angeht – von der berührenden Geschichte überlagert. Dass dieses Teenager-Schicksal einem ziemlich schnell ziemlich nahe kommt, liegt vor allem an der Kinofilm- und Hauptrollen-erfahrenen Hanna Binke („Ostwind“), die für die wechselnden pubertären Stimmungslagen stets den passenden Ausdruck findet. Sehr stimmig und Teenager-like, aber eben auch gut gespielt ist eine Szene, in ihre Amelie vor Katja Baumann das Verhalten und die Rhetorik ihrer Mutter nachmacht. „Es gibt im Leben meiner Mutter keine Probleme, dabei ist ihr ganzes Leben ein Problem“, bringt sie den Konflikt auf den Punkt. Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist in der zweiten Hälfte des Films das zentrale Problem. Was an der Figur der Amelie fasziniert, ist das Nebeneinander von Verletztheit und abgeklärter Taffheit, typische Wesenszüge von jungen Leuten heute, die pragmatisch sein wollen/müssen, sich aber schnell überfordert fühlen.

Die Jugend kauft diesmal den (Geschichten der) Älteren den Schneid ab
Überhaupt gelingen Autorin Natalie Scharf die jungen Charaktere besonders gut, geraten alltagsnah und sympathisch. So ist die private Entwicklung von Carolyn Genzkows Kiki als Trouble Girl, das ihren Weg noch nicht gefunden hat, seit einigen Episoden interessanter als die ewigen Nähe-und-Distanz-Spielchen ihrer Mutter, trotz des damit verbundenen hochkarätigen Neuzugangs Merab Ninidze seit „Frühling zu zweit“, Film Nummer 9. Auch die Nichte der neuen Fernbeziehung und vor allem deren Darstellerin Ava Celik brachte drei Mal etwas Schwung in die konservative oberbayerische Gemeinde. In „Schritt ins Licht“ wurde sie schmerzlich vermisst, aber schon könnte Ersatz gefunden sein: Cristina do Rego („Pastewka“) als portugiesiche Tierärztin auf Jobsuche wird nach einem Kurzauftritt in „Zu früh geträumt“ in der nächsten Episode mehr zu tun bekommen. In einem Punkt wirkt im Übrigen auch die Filmsprache dieses Mal etwas frischer: So sorgen die verschiedenen Handlungsstränge in einer stimmungsvollen Sequenz mit einem vielsagenden Song kurzgeschlossen, zweimal im Film für Abwechslung und eine Art emotionale Bestandsaufnahme. Fazit: Die „Frühling“-Reihe darf man noch nicht abschreiben. Sie zeigt aber auch, wie wichtig die Feinabstimmung ist und wie schnell aus einem launigen Unterhaltungsfilm ein nerviger Reihen-Klon werden kann, wenn nicht alles passt.

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Reihe

ZDF

Mit Simone Thomalla, Carolyn Genzkow, Hanna Binke, Annika Kuhl, Merab Ninidze, Sienna Schäffer, Daan Lennard Lieberenz, Levin Henning, Patrick Mölleken, Johannes Herrschmann, Nicholas Reinke, Marco Girnth, Peter Sattmann, Bettina Mittendorfer

Kamera: Florian Schilling

Szenenbild: Uta Hampel

Schnitt: Behruz Torbati

Musik: Therese Strasser

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Natalie Scharf

Regie: Thomas Jauch

Quote: 5,07 Mio. Zuschauer (13,4% MA)

EA: 19.02.2017 20:15 Uhr | ZDF

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