Eine Ehefrau plant Rache. Sie begeht Selbstmord, rennt ins Auto ihres Mannes. Den möchte sie für die Nachwelt zum Mörder stempeln. Der Herr Baudezernent nimmt den besten Anwalt – und so stehen trotz des Tagebuchs der Toten, voll mit erlogenen Privatsachen und beruflichen Mauscheleien ihres Mannes mit einem befreundeten Architekten, die Karten nicht schlecht für den Angeklagten. Doch am Ende kommt alles ganz anders in dem parabelhaften Thriller-Kammerspiel „Freier Fall“ von Christian Görlitz, einem raffinierten Ränkespiel um Korruption, Liebesverrat & einen teuflischen Plan, der alle Beteiligten in den Abgrund reißt.
Der Film führt in eine reine Männerwelt. Baudezernent Wurlitzer und Architekt März schieben sich seit Jahren nicht nur Aufträge zu und lassen Schmiergelder fließen, auch die Liebe einer Frau, Petra März, wird freundschaftlich geteilt. Nicht viel besser: Rechtsanwalt Teichmann, der unter dem Deckmäntelchen der Moral Härte und Menschenverachtung an den Tag legt. Er will, dass sein Mandant vom Mord freigesprochen, allerdings für seine Schiebereien verurteilt wird. Doch sein Plan geht nicht auf: zu schonungslos sagt er Petra März die Wahrheit über die Männerfreundschaft („Sie haben sich alles geteilt, mich auch!?“). Folge: Sie sagt gegen ihren Geliebten aus. „Ich hatte eine Liebe“ sind ihre letzten Worte, dann stürzt sie sich in den Tod. „Frauen haben nur zu funktionieren wie Bauteilchen“, so Görlitz im Interview. „Doch wenn die Frauen nicht so wollen wie die Männer, dann bricht die ganze Welt zusammen.“
„Freier Fall“ ist ein in jeder Hinsicht stimmiges Fernsehspiel. Das Drehbuch nach dem Roman von Bernd Sülzer ist psychologisch präzise, dicht und dramaturgisch intelligent ausbalanciert zwischen kurzen, hingetuschten Szenen und langen, sehr intensiven Zwiegesprächen. Keine beliebigen Motive, keine losen Handlungsfäden – alles fügt sich. Die Sprache, von der der Film weitgehend getragen wird, ist kompakt und stilisiert („Sie rennt mir rein. Keine Chance. Sinnlos.“) – ohne dabei unpassend literarisch zu wirken. Sogar mehrere Rückblenden, diese vermeintlich altmodische Erzähltechnik, weiß Görlitz geschickt in den unaufhaltsamen Gang der Handlung einzubauen. Wohlüberlegt auch die Inszenierung mit ihrem sachlich-strengen Kamerakonzept und dem modisch-grauen Design (viel Chrom, viel Neon, spartanisches Interieur), ein Spiegel der kühlen Gesellschaft. Die Kamera tastet sich beim ersten Aufeinandertreffen von Wurlitzer mit Teichmann an die beiden heran, schießt auch mal in der Totalen durch den Maschendraht. Als der Anwalt am Ende dann Frau März in einem Café‚ trifft, kennt er bereits sie und ihre Geschichte – und er kann sie sogleich frontal angehen. Harte Schnitte auf die Gesichter, ein verbaler Kampf, der sich im Innern der Figuren abspielt. Spannung resultiert in Görlitz‘ Film aus der Anspannung seiner Protagonisten; spannend ist der Schlagabtausch mit Worten, aufregend sind die versteckten Gefühle hinter blasser Haut.
„Geschickt gestrickt und klasse gespielt“ (TV-Spielfilm)
„Ein ebenso beklemmendes wie spannendes Drama um Liebe, Lüge und Betrug, das man bis zum Schluss nicht durchschaut.“ (kino.de)
Das „raffinierte Psychokammerspiel“ überzeugte die Grimme-Preis-Jury: Christian Görlitz (Buch/Regie), Bierbichler und Martens erhielten Auszeichnungen in Gold. Julia Stemberger gewann für ihre Petra März den RTL-Goldenen Löwen.
Klar, dass in einem solchen auf Reduktion setzenden Psychodrama die Schauspieler im Mittelpunkt stehen. Da ist Josef Bierbichler, barock, kraftvoll und bis in die kleinste Speckfalte glaubwrdig als korrupter Politiker. Ulrich Tukur („Tatort – Perfect Mind“), ein Meister des sozialen Rollenspiels, durfte den preußisch-korrekten Mann von Welt geben, verbal geschliffen, emotional ein Eisschrank – der Mensch als Black Box. Die Frau an seiner Seite: Julia Stemberger – wenig Text, dafür viel Beredtsamkeit im Blick. Als Künstlerin leidet ihre Petra stumm, Rhetorik ist Sache der Männer in „Freier Fall“. Sie ist vor allem die Waffe von Wurlitzers Anwalt. Jenen Mann im Rollstuhl spielt Florian Martens psychologisch knallhart, ganz entgegen seines Rollen-Images als der Kumpel vom Dienst: kein Lächeln huscht über sein Gesicht, nichts anderes als Hirn verkörpert er, und seine Sprache macht einen frösteln. Sein Teichmann besitzt einen fundamentalen Hass auf alles und jeden, und es bereitet ihm eine sadistische Freude, dem in die Enge getriebenen Trio vor Gericht sein Spiel aufzuzwingen. Auch wenn er sich den Ausgang anders vorgestellt hätte. (Text-Stand: 1998)