Die Konkurrenz der Schwestern: Wer wird neue Direktorin des Botanischen Gartens?
Für Frau Holle (Cornelia Froboess) kommt als neue Direktorin des Botanischen Gartens nur Mia Goldig (Klara Deutschmann) infrage. Sie ist die Gärtnermeisterin und ist mit Leib und vor allem Seele dabei, sie liebt die Pflanzen, und sie hat neue Ideen. Ihre Mutter Helene (Lena Stolze) hat allerdings andere Pläne: Sie möchte Mias ältere Schwester Marissa (Lavinia Wilson) zu ihrer Nachfolgerin berufen. Denn der Garten benötige zum Überleben jetzt vor allem Investoren. Und als Eventmanagerin bringt Marissa, die mit der Akquise von Geldern vertraut ist und die zu repräsentieren versteht, für Helene Goldig die besseren Voraussetzungen mit als die empfindsame Mia. Gegen die idealistische, junge Frau spricht außerdem, dass sie stets ins Stottern gerät, sobald sie vor mehr als zwei Personen sprechen muss. Daher zweifelt auch sie selbst anfangs daran, eine geeignete Direktorin zu sein. Als sie aber erkennen muss, wie wenig doch ihrer hinterhältigen Schwester der Botanische Garten bedeutet, und nachdem ihr schon Frau Holle Mut zugesprochen hat und auch der neue Gartenbauunternehmer Lennart (Patrick Kalupa) hin und weg ist von ihr und ihrer Heilpflanzenvision, traut sie sich immer mehr zu. Sogar Jakob Sommer (Jean-Yves Berteloot), der Anwalt der Entscheider-„Familie“, die hinter dem Garten steht, ist angetan von Mias lebensbejahender Art. Jetzt muss sie nur noch einen potenten Geldgeber auftun. Marissa gibt sich allerdings nicht geschlagen. „Sie vergiftet alles, was sie in die Finger kriegt“, erinnert sich Mia. Und tatsächlich: Marissa sät Zwietracht zwischen Mia und ihrem seelenverwandten Freund Costas (Edgar Eckert). Aber sie geht noch weiter, und sie verbreitet ehrabschneidende Lügen über ihre Schwester.
Die Frische des Frühlings spiegelt sich in der Physiognomie der liebreizenden Heldin
Die Zuschauer reagierten eher verhalten auf die originelle Idee, Konflikte und moralischen Kern von bekannten Märchen in die Gegenwart zu transportieren. Nach „Der Froschkönig“ und „Schneeweißchen und Rosenrot“ 2018 zeigt das ZDF nun eine weitere moderne Märchen-Adaption – wiederum in der Adventszeit und auf dem „Herzkino“-Sendeplatz. In „Frau Holle“ werden keine Federbetten geschüttelt, auch schneit es nicht, vielmehr spielt der Frühling eine entscheidende Rolle. Wie schon bei den Vorgängerfilmen hat Drehbuchautorin Sarah Esser allenfalls ein paar Motive dieses Grimm‘schen Märchens aufgegriffen. Die Natur erwacht zu neuem Leben, die Knospen springen auf, ein Blütenmeer soweit das Auge reicht. Und die Frische dieser Jahreszeit spiegelt sich in der Physiognomie der Heldin. Es grünt so grün: Was sich bei der einen Schwester auf die Natur bezieht, das trägt die andere bei ihrem ersten Auftritt an den Füßen – giftgrüne High-Heels. Was folgt sind eine Intrige, die Krise einer Freundschaft, eine Liebe auf den ersten Blick und der gerechte Sieg des Guten, des Integren, der Menschenliebe über das hinterlistige, falsche, menschenverachtende Wesen der Antagonistin. Dabei versetzt der Glaube an sich selbst einmal mehr Berge. Am Ende zieren Blüten die Haarpracht der herzensguten Mia, während auf die boshafte Marissa nicht wie im Ursprungsmärchen Pech, sondern – passend zu „Frau Holles Garten“ – Erde herabfällt.
„Im Zentrum des Films steht für mich eine Beschreibung des bedenklichen Zustandes unseres Planeten und somit eine politische Botschaft: die einen wollen die Welt (den Garten) zubetonieren, um Fahrgeschäfte draufzustellen, während die anderen begreifen, dass wir von den Heilkräften der Natur elementar abhängen… und damit ist dann eben auch der Mehrwehrt des allegorischen Erzählens, die den Märchen innewohnt, dargestellt. “ (Produzentin Annedore von Donop)
Mit kühlem Kritiker-Verstand lassen sich einige Argumente gegen „Frau Holles Garten“ finden: eindimensionale Story, schlichte Moral, eine Inszenierung mit gelegentlichem Hang zum Kitsch. Doch was tun, wenn einem der Film Spaß gemacht hat? Eine Kritik gegen sein Gefühl schreiben? Wenn nein, geht man dann nicht dem Film auf den Leim? Aber wäre alles andere nicht verlogen?! Für mich ist der Fall klar: Sich also doch lieber ein paar Kopfschütteln einhandeln, und dieses moderne Märchen gegebenenfalls gegen mögliche Kritiker verteidigen.
Ein Subtext: Das Paradies in der Krise & eine lügende Antagonistin, die dies leugnet
Der Zusatz „Märchen“ ist besonders für die Rezeption dieses dritten Films des „Herzkino“-Sublabels nicht unwesentlich. Ähnlich wie beispielsweise bei einer Comic-Verfilmung erwartet man als Zuschauer auch bei einer Märchenfilm-Adaption alles andere als eine realistische Darstellung der Wirklichkeit und ebenso keinen komplexen, geistreichen Plot und keine ausdifferenzierte Psychologie der Charaktere. Krasse, plakative Gegensätze und eine knackige Fallhöhe sind stattdessen Programm. Dabei dürften eine latente Sehnsucht beim Zuschauer nach märchenhafter Reinheit und naiver Unschuld für ein wohlwollendes Goutieren durchaus hilfreich sein. Denn die Narration ist etwas weniger dicht strukturiert als bei den beiden Vorgängern. Auch scheint von „Frau Holles Garten“ – Regie führte wie bei „Schneeweißchen und Rosenrot“ Seyhan Derin – nicht ganz so reich an Subtexten zu sein. Allerdings das Prinzip des ruchlosen Ränkespiels der gewissenlosen Schwester kommt einem irgendwie bekannt vor: Da ist der Garten, eine Art Paradies in der Krise, für dessen Überleben man sich einiges einfallen lassen muss. Und da ist die Intrigantin, die den Wert dieses Gartens und seines Erhalts leugnet, und die ihre Schwester als Falschspielerin diffamiert. Dass das Happy End nach 60 Filmminuten plötzlich in weite Ferne rückt, mag dramaturgisch etwas stereotyp sein, die Szene, in der Unterhändler Sommer Mia gnadenlos abkanzelt, verfehlt allerdings ihre Wirkung nicht. Steckt darin nicht auch ein bisschen von jener wütenden Ohnmacht, die man gegenüber der gegenwärtigen narzisstischen Weltpolitik verspürt?
Weit über „Herzkino“-Niveau: Sinnliche Inszenierung & gute, stimmige Besetzung Lavinia Wilson
(„Tatort – Borowski und der Engel“) in Marissas knalliger Fashion-Rüstung, bei der – wie die Schauspielerin selbst sagt – man „keine Angst vor Klischees hatte“, ist das perfekte Biest. Eine erste Inspiration soll Glenn Close’s Cruella aus „101 Dalmatiner“ ge-wesen sein: auf hohen Hacken, bunt, schrill und komödiantisch überdreht. Das ideale Gegen-Bild verkörpert Klara Deutschmann, die in dieser Märchen-Dramödie mehr von der eigenwilligen Natürlichkeit zeigt, mit der sie die ARD-Reihe „Reiterhof Wildenstein“ trägt, als von der surreal verrückten Verspieltheit, die sie 2016 in ihrer ersten Hauptrolle in „Das Märchen vom Schlaraffenland“ an den Tag legen durfte. Sie ist das Herz nicht nur in der Handlung, sie ist auch das Herzstück des Films. Da ist die Einfachheit der Geschichte auf einmal kein Manko mehr. Die „Gefühle“, die man als Zuschauer für diese Mia entwickelt, sind ein stärkerer Antrieb für die „Spannung“ als die eher simple Dramaturgie. Dass die ästhetische und heilende Kraft der Flora ausgesprochen sinnlich ins Bild gerückt wird und dass die Besetzung formidabel und nicht vergleichbar mit anderen „Herzkino“-Produktionen ist – das sollte nicht übersehen werden. Lässt sich „Frau Holles Garten“ auch nicht in ironische Anführungszeichen setzen, ist dem Film doch – dank seines Subgenres – ein gewisses Augenzwinkern nicht abzusprechen. So besitzt die Botschaft „Gehe Deinen Weg“ hier erfreulicherweise nicht denselben Ernst wie in einer „Inga Lindström“- oder „Rosamunde-Pilcher“-Handlung und wirkt dadurch weit weniger banal. Die Sehnsucht nach Überschaubarkeit und die Lust an der Entlastung (die offenbar auch vor dem Kritiker nicht Halt macht) werden hier also auf einem deutlich höheren Niveau emotional befriedigt.