Wer aufgrund des Titels einen Horrorstreifen erwartet oder zumindest ein düsteres Märchen, irrt gewaltig; selbst wenn ein Dasein in der Welt dieses Films insgesamt wenig erstrebenswert erscheint. Die Regisseurin heißt Frauke Finsterwalder, und nicht nur der Titel lässt erahnen, dass „Finsterworld“ ihr erstes Werk ist. Das Debüt hält alles, was man sich von Filmen dieser Art verspricht: ein mutiges Konzept, eine überraschende Dramaturgie und eine ungewöhnliche Geschichte. Genau genommen erzählt die Regisseurin („Die große Pyramide“), die das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schweizer Autor Christian Kracht („Faserland“), geschrieben hat, rund ein halbes Dutzend Geschichten, deren Handlungsstränge sich immer wieder mal kreuzen, was für die Betroffenen meist nicht von Vorteil ist.
Foto: BR / Markus Förderer
Die ersten Bilder könnten tatsächlich aus einem Märchenfilm stammen: Ein im Wald lebender Einsiedler findet eine verletzte Krähe, die ihm fortan nicht mehr von der Seite weicht. Protagonist des zweiten Strangs ist Fußpfleger Claude (Michael Maertens), der von einer Polizeistreife beim Telefonieren während des Fahrens erwischt wird. Dank einer großzügigen Spende in Form diverser Hand- und Fußcremes drückt Polizist Tom (Ronald Zehrfeld) ein Auge zu. Später wird er mit den Präsenten seine egozentrische Freundin (Sandra Hüller) überraschen. Deren Name, Franziska Feldenhoven, ähnelt ein wenig dem der Regisseurin, außerdem ist sie ebenfalls Filmemacherin; auch Finsterwalder hat als Dokumentaristin angefangen. Franziska träumt vom „neuen Neorealismus“ und ist ziemlich unzufrieden mit ihrem aktuellen Projekt. Als Tom ihr vorschlägt, anstelle eines unglücklichen Arbeitslosen lieber glückliche Tiere in Afrika zu filmen, wirft sie ihm vor, er sei ichbezogen. Derweil geht Claude seiner Arbeit nach und pflegt die Füße der alten Frau Sandberg (Margit Carstensen), die sich über ihre Einsamkeit beklagt. Ihr zynischer Sohn Georg (Bernhard Schütz) hat eine ausgesprochen anspruchsvolle Frau (Corinna Harfouch) und weder Lust noch Zeit, seine Mutter zu besuchen. Aktuell ist das Ehepaar auf dem Weg nach Paris. Bei einer Rast lässt Georg seine Wut an einem vermeintlichen jungen Spanner aus, der Inga angeblich beim Pinkeln beobachtet hat. Dabei hat sich der Schüler bloß verlaufen, nachdem er sich von seiner Klasse abgesetzt hat. Die ist auf Klassenfahrt zu einem Konzentrationslager, und man ahnt früh, dass der engagierte Lehrer (Christoph Bach) auf verlorenem Posten kämpft.
Wie gut das Drehbuch gewesen sein muss, zeigt schon allein die Riege der namhaften Darsteller, die allesamt nicht ahnen konnten, ob Finsterwalder auch als Regisseurin ihr Handwerk versteht. Die Umsetzung ist zwar weitgehend konventionell, aber das ist angesichts der ausgefallenen Dramaturgie auch völlig in Ordnung, schließlich ist „Finsterworld“ dank des episodischen Erzählstils völlig unvorhersehbar; und das gilt nicht nur für den Film insgesamt, sondern auch für die einzelnen Geschichten, die Finsterwalder und Kracht mit einer Vielzahl von Nebenhandlungen versehen haben. Am Ende nehmen sie ausnahmslos gänzlich unerwartete Wendungen; die einen ins Dramatische, die anderen ins Tragische. Dass es dabei jeweils Unschuldige trifft, während die Antipathieträger davonkommen, ist eine weitere grimmige Ironie dieses ebenso provokanten wie außergewöhnlichen Debütfilms, dessen schönsten Dialogsatz Yello-Sänger Dieter Meier in einer winzig kleinen Gastrolle sagen darf: „Lächeln ist das Kleingeld des Glücks.“ (Text-Stand: 1.10.2015)
Foto: BR / Markus Förderer
„Deutschland sieht selbst in diesen finsteren Passagen blendend aus. Statt tristen Depri-Realismus spiegeln die eleganten Bilder von Kameramann Markus Förderer eine fast märchenhaft überhöhte Scheinwelt wider, in der jedoch permanent unbequeme Wahrheiten aufblitzen. Dies geschieht vor allem in den exzellent geschriebenen Dialogen, die dem hervorragend besetzten Ensemble als Grundlage für schauspielerische Glanzleistungen dienen und verhindern, dass die durchaus karikaturhaft angelegten Rollen zu Witzfiguren verkommen.“ (Cinema)
„Wenn ‚Finsterworld‘ die Deutschland-Thematik zur Seite legt und das Uneinfache des Menschseins als solches betrachtet, die Stellen, wo Verkorkstheiten, Fetische und schräge Sublimierungsversuche als das Normale aufscheinen, sind auf jeden Fall die stärkeren. Wenn der Film sich, kurz gesagt, um seine tollen Figuren kümmert… Alle Figuren haben einen offenkundigen Hau weg, oszillieren zwischen liebenswert und unheimlich.“ (Kirsten Rießelmann: Spiegel online)
„Vielleicht eine Spur zu sehr sucht der Film das Gediegene, manche genüssliche Bösartigkeit wirkt dadurch wattiert. Aber er reibt sich schon schön an manchen wunden Stellen: an der Neigung, den Ekel genussvoll zu zelebrieren, etwa. An verkniffener Ich-Bezogenheit, die sich über den Blick auf die Anderen konstruiert: Ja, die Österreicher, heißt es einmal schwärmerisch resignativ, die machen wenigstens gute Filme.“ (Thomas Groh: taz.de)
„‚Finsterworld‘ hätte eine zersetzende, skandalöse Farce über ein nationalistisch-narzisstisches Deutschland sein können. Aber der Film ist nicht weniger selbstgerecht als seine Figuren – weil er den Sprung außerhalb der Geschichte macht und sich in einer offensichtlich artifiziellen Welt verschanzt. Es wirkt, als wolle er sich kleingeistig und zynisch in seiner eigenen Anklage mitdenunzieren – und damit entschärfen.“ (Philipp Stadelmaier: Süddeutsche Zeitung)