Auf den ersten Blick sind Birgit, ihr Ehemann Andreas, der gemeinsame Sohn Philipp und die 13-jährige Sarah aus einer früheren Beziehung der Mutter eine materiell sorgenfreie, weitgehend intakte Patchwork-Familie. Probleme gibt es überall und die Pubertät ist nun mal eine sehr spezielle Phase – so tröstet sich Birgit über die Spannungen zwischen Mutter, Tochter, Ersatzvater hinweg. Mehr Familienfrieden erhofft sich das Paar durch die formale Bestätigung der Adoption. Das Gegenteil ist der Fall. Der Druck auf Sarah wächst, ihre Provokationen werden immer aggressiver – und bald ist ihr Körper überzogen mit blauen Flecken. Hat sie sich mal wieder geprügelt? Ist es – wie sie behauptet – beim Turnen passiert? Oder hat ihr neuer Vater ihren wütenden Beleidigungen nicht mehr stand halten können?
Willkommen in der Kampfzone Familie. Eine Tochter provoziert, sie will mit ihren Eltern konkurrieren, ihre Möglichkeiten austesten. Der Stiefvater reagiert hart bis gewalttätig. Die Mutter bezieht immer weniger Stellung, sie träumt von einer glücklichen Familie, sie will ihren neuen Mann auf keinen Fall aufgeben und vergisst darüber ihre Verantwortung als Mutter. Zwanghaft versucht sie, das vermeintliche Familienidyll mit schickem Reihenhaus aufrecht zu erhalten. Doch die Spirale dreht sich unaufhaltsam weiter. Die Tochter versteht die Welt nicht mehr. Keiner hilft ihr. Keiner sieht hin. Also muss sie noch mehr provozieren. Ihre Waffe ist ihr Mundwerk. Aber das ist so schnell und gemein, dass da nichts Gutes nachkommen kann. „Kann ich eigentlich auch ’ne neue Mutter haben?“ Die Wut der Tochter, die sich verlassen fühlt, richtet sich mehr und mehr gegen die Mutter und deren verlogenes Harmoniebestreben. Noch sitzen die Erwachsenen am längeren Hebel. In dieser Familie läuft etwas grundlegend verkehrt. Ein Fehlverhalten provoziert das nächste. Ein Teufelskreis.
Nicole Weegmann zum Thema Pubertät:
„Zu erkennen, was die Erwachsenenwelt für einen bereithält, kann schockierend und schmerzlich sein. Die eigene Identität und Position im Lichte dessen zu finden, zwischen scharfen ersten Erkenntnissen, großer Naivität und Offenheit für alles, dem hormonellen Durcheinander, großer Durchlässigkeit und Empfindsamkeit… das ist ein riesiger Kraftakt.“
In der Erwachsenen-Kind-Interaktion ist von Anfang an der Wurm drin. Die Mutter reagiert auf die heimlichen Tränen der Tochter nicht mit Zuwendung, sondern kehrt deren Traurigkeit unter den Teppich. Sie wischt ihr in der Öffentlichkeit die Tränen ab; die Nachbarn sollen nichts mitbekommen. „Es ist alles in Ordnung“ – der Filmtitel bringt es auf den Punkt: Die Fassade soll um jeden Preis halten. Um sich diesem komplexen Familienkonflikt zu stellen, ist die von Silke Bodenbender berührend bis bemitleidenswert gespielte Birgit zu unsicher. Damit macht sie sich schuldig. „Sie ist Mittäterin, weil sie lieber in die Verdrängung flieht, als sich mit der Not ihrer Tochter auseinanderzusetzen“, so die Schauspielerin. „Sie ist aber auch Opfer, weil sie sich nicht durchsetzen kann, ihr schlicht die Kraft fehlt, diese Auseinander-setzung zu suchen.“ Für die Regisseurin Nicole Weegmann („Ihr könnt euch niemals sicher sein“) ist die Mutter eine pathologische Wegguckerin. „Es ist eine Frau aus der Mitte der Gesellschaft, wie wir sie alle kennen. Dadurch wird die Rolle der schwachen Mutter und deren psychologische Funktion innerhalb einer Familie grundsätzlich problematisiert.“
Christina Ebelt über Recherche und Realität:
„Die Geschichte ist eine Mischung aus vielen Geschichten, die wir mit Hilfe von Familientherapeuten und Psychologen recherchiert haben. Es war interessant zu erfahren, wie eng die Mitglieder solcher ‚Problemfamilien’ miteinander verwoben sind. Auffällig war, dass in den Familien soziale Kontakte gemieden werden, und auch, wie stark das Geheimnis die Personen aneinander bindet.“
„Es ist alles in Ordnung“ folgt der gestörten Familienkommunikation in alle drei Richtungen. Das Verhalten des einen bedingt das Verhalten des anderen. Schuldzuweisungen sind da wenig hilfreich. Diese familiären Fehl-Entwicklungen setzen sich von selbst in Gang. Ein unglückseliger Mechanismus, der am Ende drei Opfer zu beklagen hat und zwei erwachsene „Täter“. Zwischenzeitlich zeigt sogar der neue Ehemann eine größere Reue über seine „Straf-aktionen“ als Sarahs Mutter. „Ich hätte sie da einfach stehen lassen“, erinnert er sich noch voller Schrecken an eine seiner wütenden Überreaktionen, bei der er das Mädchen im Urlaub an einer Raststätte zurücklässt – während Mutter Birgit diese Situation herunterspielt. Die dramaturgische Besonderheit des sehr stimmig an der Reihenhaus-Oberfläche entlang inszenierten Films sind die Wechselspiele der Erzählperspektiven und der Sympathie-Verteilung. Weil der Zuschauer nicht mit einer Identifikationsfigur huckepack durch die Handlung galoppiert, wird man ständig gezwungen, die „Störung“ dieser Familie immer wieder aufs Neue zu bewerten. Man kommt den Figuren (und ihren Motiven) nahe – und distanziert sich doch zunehmend von ihnen. Das ermöglicht mehr Einsicht in die Situation, ändert aber nichts daran, dass sie höchst fatal ist. Es gibt es keinen allein Schuldigen. Die Wunschbilder übersteigen die eigenen Möglichkeiten. Ohne Hilfe von Außen kann es keine Lösung geben – wenn es dafür nicht ohnehin schon zu spät ist! (Text-Stand: 19.12.2013)