Eltern und andere Wahrheiten

Bodenbender, Wlaschiha, Kittendorf, von Heland. Geschlechterpolitik & Romantik

Foto: Degeto / Gordon Timpen
Foto Rainer Tittelbach

„Eltern und andere Wahrheiten“ macht seinem Titel alle Ehre. Denn mit den Mitteln einer erwachsenen (romantischen) Komödie erzählt der ARD-Fernsehfilm zwischen der erwartungsgemäß recht turbulenten Handlung vieles mit von dem, was sich in der Schnittstelle zwischen Paar-Alltag und Gesellschaft abspielt. Katja Kittendorf und Maria von Heland reflektieren den wenig familienfreundlichen Stand der Dinge in der Arbeitswelt, sie deuten an, wie die veränderten Geschlechterrollen in der Praxis noch weit dem Diskurs hinterher hängen und sie entwerfen beispielhaft eine Beziehung, in der sich sehr viel vom Selbstverständnis der Geschlechter spiegelt. Wer „nur“ eine unterhaltsame, gut besetzte und flott inszenierte Dramödie sehen möchte, der dürfte auch auf seine Kosten kommen.

Eine Notlüge: „Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet, ich hab’ keine Kinder.“
Nach fünf Jahren Auszeit wegen ihrer Kinder steigt Nina Pfeffer (Silke Bodenbender) wieder ein in ihren alten Beruf. Die Ehefrau ist eine so gute Architektin, dass ihr ehemaliger Chef Alex Bellheim (Steven Scharf) sie mit Kusshand wieder einstellt, sogar auch nur halbtags, wie sie es sich gewünscht hat. Gleich am ersten Tag rettet Nina das Architektenbüro vor einer Pleite – mit dem Nebeneffekt: Die Auftraggeberin Lene Müller zu Waldstetten (Nina Petri) will sie als Aushängeschild des ins Trudeln geratenen Green-Tower-Projekts in der Hamburger Hafenstadt. Aus Loyalität zu ihrem Chef lässt sich die Ehefrau und Mutter zu einer folgenschweren Notlüge hinreißen: „Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet, ich hab’ keine Kinder.“ Das hieße jetzt aber: über Monate Arbeit rund um die Uhr. Dem Konflikt mit Ehemann Torsten (Tom Wlaschiha), der ebenfalls zeitlich sehr eingespannt ist, weil er neben seines Berufs als Polizist noch das Abitur nachmacht, geht Nina erst einmal aus dem Weg, indem sie eine sogenannte „Miet-Oma“ (Petra Kelling) einstellt. Die Kids, Ella (Iva Ljuba Simic) & Piet (Ben Stiehler), sind zwar glücklich mit dieser Lösung, für die Ehe der Pfeffers ist damit aber noch nichts gewonnen. Denn das grundlegende Problem liegt in der Beziehung. Doch sie reden nicht drüber. Und so scheint es nur noch eine Lösung zu geben: Scheidung.

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Die „Miet-Oma“ Irmgart (Petra Kelling) kommt bei den Kiddies, Ella (Iva Ljuba Simic) & Piet (Ben Stiehler), super an. So kann sich der Konflikt der Geschichte ganz auf die ungleiche Beziehung und die verinnerlichten Rollenbilder des Paares konzentrieren.

Der Geschlechterkonflikt wird romantisch gelöst, aber nicht klein geredet
„Eltern und andere Wahrheiten“ macht seinem Titel alle Ehre. Denn mit den Mitteln einer erwachsenen (romantischen) Komödie erzählt der ARD-Fernsehfilm zwischen der erwartungsgemäß recht turbulenten Handlung vieles mit von dem, was sich in der Schnittstelle zwischen Paar-Alltag und Gesellschaft abspielt. Autorin Katja Kittendorf („Ein Schnitzel für alle“) und Regisseurin Maria von Heland („Göttliche Funken“), die auch am Buch mitgeschrieben hat, reflektieren den wenig familienfreundlichen Stand der Dinge in der Arbeitswelt, sie deuten an, wie die veränderten Geschlechterrollen in der Praxis noch weit dem Diskurs hinterher hängen und sie entwerfen beispielhaft eine Beziehung, in der sich sehr viel vom Selbstverständnis der Geschlechter spiegelt. Bei den Pfeffers läuft es umgekehrt wie in vielen anderen Familien: Es besteht ein Gefälle zwischen dem, was Torsten als Polizist nach Hause bringt, und dem, was Nina als studierte Architektin verdient. Für Torsten ist das ein heikler Punkt. Nina weiß das – und deshalb vermeidet sie, darüber zu sprechen. Das führt dazu, dass sie bald gar nicht mehr miteinander reden, dass sich jeder in seine Welt zurückzieht. Der Film erzählt das erst einmal als eine ganz individuelle Geschichte: ein Mann, der nur schwer mit seiner erfolgreichen Frau mithalten kann, die in so vielem „perfekter“ und einfach schneller ist; eine Frau, die das weiß, die die Nöte ihres Mannes kennt, ihn dennoch liebt und dem Thema deshalb ausweicht. Die Lösung erfolgt entsprechend auch im privaten Rahmen, und sie heißt – dem gewählten Genre entsprechend – Liebe (über deren Realitätsgehalt ließe sich natürlich streiten). Durch die Geschlechterumkehrung ist es dann aber doch mehr als nur das Problem zweier Individuen. So ist es vor allem der Mann, der mit der Beziehung hadert, weil diese dem Rollenbild seines Geschlechts nicht entspricht.

Die Gegen-Meinung:
„Die Wahrheit ist: Die seifensaubere Familienkomödie packt Probleme in leicht verdauliches Musikgeklimper und schmucke Hamburg-Bilder, wagt letztlich aber nix. Pappendünne Story aus Harmloshausen.“ (TV-Spielfilm)

Soundtrack: Lenka („My Love“), José González („Stay Alive“), Mott The Hoople („All The Young Dudes“), Ryan Gossling & Emma Stone („City Of Stars“), Rod Stewart („Sailing“), Trini Lopez („If You Want To Be Happy“), Lana Del Rey („24“), Kimya Dawson („Sleep“), Nina Simone („My Baby Just Cares For Me“)

„Diese Idee, was der Mann sein muss, macht vieles kaputt. Frauen arbeiten seit mehr als einhundert Jahren an ihrer neuen Rolle in der Gesellschaft. Jetzt sind die Männer dran. Sie haben schon einiges zu tun, um sich neu zu definieren.“
(Maria von Heland)

Eltern und andere WahrheitenFoto: NDR / Gordon Timpen
Nina (Bodenbender) ist flink & flexibel und setzt jedem Projekt noch das passende Krönchen auf. Ihr Chef (Scharf) und die Auftraggeberin (Nina Petri) sind begeistert.

Die Komödie ist nie Selbstzweck, sondern ein Mittel zum guten Endzweck
Keine Angst, wer „Eltern und andere Wahrheiten“ als unterhaltsame Dramödie sehen möchte, dürfte durchaus auch auf seine Kosten kommen. Und dem könnte unter anderem gefallen, dass die typischen Komödien-Situationen nicht dem Genre geschuldet sind, sondern sie letztlich immer das Leben der Hauptfigur(en) maßgeblich beeinflussen. Als Nina bei einem Termin mit der allein auf ihren Beruf fixierten Auftraggeberin nicht umhin kommt, ihren Sohn mit zur Baustelle zu nehmen, wird diese Szene nicht wie erwartet genutzt, um eine komödientypische Spannung aufzubauen (wird die Notlüge auffliegen?), sondern um die Heldin letztlich an ihrer Vorstellung zweifeln zu lassen, ein Rund-um-die-Uhr-Beruf und eine verantwortungsvolle Kinderbetreuung ließen sich vereinbaren. Ähnliches gilt für eine Szene, in der die übergriffige Chefin abends im Haus der Familie auftaucht und Nina ihren Torsten kurzerhand zu ihrem Bruder macht. Das mag vordergründig eine amüsante Szene sein, doch viel bedeutsamer ist sie für die Handlung, da diese zweite, den Ehemann sehr verletzende Notlüge die Beziehungskrise auf die Spitze treibt. Die Komödie ist in dieser Degeto-Produktion also nie Selbstzweck, sondern ein Mittel zum (letztlich dann doch) guten Zweck.

Ein ungleiches Ehepaar, zwei grundverschiedene Schauspieler – und es passt!
Auch handwerklich bewegt sich „Eltern und andere Wahrheiten“ auf gutem Niveau. Das Tempo ist ein angenehm flott, erscheint aber nie komödienhaft überzogen; es unterstreicht so den Tagesrhythmus der Heldin und entspricht dem realistischen Gesamtkonzept. Schön auch die Szenen, in denen jeder ohne den Partner zu sehen ist: Die nämlich sagen viel darüber, was die beiden unterscheidet. Der Mann ist nicht besonders ehrgeizig, sitzt nicht ungern mit dem Kollegen in seinem Streifenwagen, ist jemand, der sich in jeder Hinsicht nicht gern bewegt und Mathe geht einfach nicht in seinen Kopf. Die Frau dagegen ist Architektin (höhere Mathematik ist ihr also nicht fremd) ständig auf Trab und wenn sie sich bei der Arbeit nicht geistig flexibel zeigen muss, sitzt sie zumindest auf dem Fahrrad oder hat das Handy am Ohr. Gibt die Backstory den beiden unterschiedliche Bildung und Ausbildung mit auf den Weg in Richtung Happy End, so zeigt der Film die grundverschiedenen Geschwindigkeiten, die beide im Alltag haben. Und auch die Besetzung passt gut zu diesem ungleichen Paar: Dass Tom Wlaschiha trotz jahrelanger Theater-Präsenz nicht der versierte Drama-Mime ist, sondern eher als Typ zwischen Macho und Sunnyboy, zwischen „Games of Thrones“ und leichten Komödien à la „Frisch gepresst“ eingesetzt wird, gereicht ihm für seine Rolle als geerdeter, mit dem „kleinen Glück“ zufriedener Streifenpolizist eher zum Vorteil. Für die Zwischentöne ist ohnehin die sehr viel präsentere Silke Bodenbender zuständig. Und auch wenn es häufig nur die gute Miene zum bösen Spiel ist: Die Schauspielerin strahlt, dass es eine Freude ist.

Eltern und andere WahrheitenFoto: NDR / Gordon Timpen
Bildung, Lebenstempo, Ehrgeiz, Anerkennung im Beruf – bei dem Paar (Wlaschiha, Bodenbender) ist alles grundverschieden. Gibt es im Film dennoch ein Happy End?

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Fernsehfilm

ARD Degeto, NDR

Mit Silke Bodenbender, Tom Wlaschiha, Nina Petri, Petra Kelling, Steven Scharf, Iva Ljuba Simic, Ben Stiehler, Yasemin Cetinkaya, David Korbmann

Kamera: Roman Osin

Szenenbild: Florian Langmaack

Kostüm: Katrin Aschendorf

Schnitt: Knut Hake

Musik: Birger Clausen

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Drehbuch: Katja Kittendorf, Maria von Heland

Regie: Maria von Heland

Quote: 2,71 Mio. Zuschauer (10,8% MA)

EA: 02.06.2017 20:15 Uhr | ARD

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