Einmal Hallig und zurück

Anke Engelke, Charly Hübner, Hermine Huntgeburth. Leidensdruck macht Liebe

Foto: NDR / Jörg Landsberg
Foto Rainer Tittelbach

Eine Klatschreporterin deckt eher zufällig einen Wirtschaftsskandal auf, will nicht länger eine hohle Nuss sein und geht mit ihrem Dauergequatsche einem vermeintlichen Hallig-Honk mächtig auf die Eier – bis dieser sich die Tussi stumm trinkt. „Einmal Hallig und zurück“ ist romantische Komödie einmal anders: ein Mann, eine Frau, eine Hallig – Langfilm-Komödie trifft Comedy, Sitcom-Figur trifft Dramödien-Charakter und alles verschmilzt am Ende zu einem ungewöhnlichen Fernsehfilm, in dem Anke Engelke, Charly Hübner und die vierfache Grimme-Preisträgerin Hermine Huntgeburth („Männertreu“) keinen Gag aus- und keinen Lacher liegenauslassen. Auch alle anderen hinter der Kamera verstehen ihr Handwerk.

Sie quatscht ihm die Ohren voll, er schweigt sich aus
Shoppen, lästern, Klatschnachrichten und dem Chef einen blasen – darauf versteht sich Fanny Reitmeyer, die Dame fürs Boulevard bei der Tageszeitung „Mega“. Mit ihren Yellow-Press-Methoden, hier ein Handy-Mitschnitt, dort ein kleiner Einbruch – deckt sie eher zufällig einen Wirtschaftsskandal auf: Der Umweltminister hat sich von einem Energiekonzern schmieren lassen – und hat nun grünes Licht, um in der Nordsee einen gigantischen Offshore-Windpark zu errichten. Der Chefredakteur muss allerdings erst das Beweismaterial für den Skandal gegenchecken lassen, bevor die Bombe platzt. Solange muss Fanny vorsichtshalber von der Bildfläche verschwinden. Und so soll sie ein Interview mit einem verschrobenen Vogelkundler machen, der seit Jahren allein auf einer Hallig lebt. Doch allzu viel anfangen können der Inselkauz und die Medientussi erwartungsgemäß nicht miteinander. Sie quatscht ihm die Ohren voll, er verdreht die Augen und schweigt – aus dem Interview wird also erst einmal nichts. Aber auch die Rückfahrt ans Festland wird immer wieder verpasst. Und nachdem Fanny in den Siebensachen des Hallig-Honks herumgeschnüffelt hat, weiß sie, dass er einst ein militanter Umweltaktivist war. Vielleicht kriegt sie ihn damit?! Und so lässt sie sich von ihm ihre große Enthüllung fachmännisch erklären – und dann brechen alle Dämme.

Einmal Hallig und zurückFoto: NDR / Jörg Landsberg
Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die hohlste Nuss im niedersächsischen Land?! Charity-Veranstaltungen der Bussi-Society gehören für Fanny Reitmeyer (Anke Engelke) zum täglichen Geschäft. Und Lästern – insbesondere über die Rhetorik der Frau des Umweltministers (Lisa Werlinder) gehört zu ihren Stärken.

Labern und Leidensdruck, Läuterung und Liebe
Diese Klatschtante mit permanentem Ironiezwang wäre so etwa die letzte Person, die der ehemalige „Green Warrior“ auf eine einsame Insel (oder Hallig) mitnehmen würde. Und jene Fanny Reitmeyer sähe das für den Zottelfreak mit seinem Lachseeschwalbenfimmel selbstverständlich ebenso. Dass es in dem Fernsehfilm „Einmal Hallig und zurück“ dann doch anders kommt, liegt im Genre begründet, ist aber auch treffend in der Geschichte verankert: Der Mann braucht eine Frau, und die Frau braucht einen (unverheirateten) Mann. Der Leidensdruck ist hoch. Aber zunächst nicht hoch genug. „Sie wollen helfen? Dann fahren Sie zurück nach Hannover. Hier braucht Sie niemand. Und wissen Sie, was ich glaube: da braucht Sie auch niemand.“ Das hat gesessen. Und Fanny hat verstanden. Sie witzelt zwar nach wie vor, aber ab sofort weniger tussihaft, mehr ironisch (Er: „Wo waren Sie so lange?“ Sie: „Ich war Shoppen. Der Fashionstore hinter der Güllegrube hat Räumungsverkauf.“). So nimmt auch eine Läuterung ihren Gang: Aus der Labertasche wird ein Mensch, der nicht länger für eine hohle Nuss gehalten werden will. Die Heldin fängt selbst damit an. Sie verabschiedet sich von ihrem unausgesprochenen Credo „Ich lästere und bin zynisch, also bin ich“, indem sie dem Mann von der Hallig reinen Wein einschenkt: „Ich bin ein einziges Klischee. Ich habe einen völlig sinnlosen Job, meine besten Freunde kenne ich alle nur von irgendwelchen Charity-Veranstaltungen und mein Sexualleben findet größtenteils auf den Herrentoiletten der Vorstandsetagen statt.“ Und auch der Wattenmeer-Freak kann anders, kann freundlich sein, wenn er nur will. Oder hat er sich in der Nacht der Nächte Fanny nur stumm getrunken?!

Das Kurzschließen von Comedy und Komödie
Ein Mann, eine Frau, eine Hallig – durch die Reduktion von Handlung und Schauplatz wird noch sehr viel deutlicher, um was es in der Geschichte geht. 45 Minuten zu zweit eine Landschaft mit Meer, Salzwiesen, Schafen und einem gottverlassenen Häuschen zu bespielen – das muss man aber erst einmal hinkriegen. Anke Engelke und Charly Hübner gelingt das vorzüglich. Als Zuschauer muss man allerdings damit klarkommen, dass der dialogische Witz, der zwar auch zur Wesensart der weiblichen Hauptfigur gehört (in wie bei Woody Allen immer auch ein Stück Verunsicherung & Angst steckt), sich mitunter verselbstständigt und mehr für einen Lacher beim Zuschauer gut ist, als dass er stets der Logik der innerfilmischen Interaktion entsprechen würde. Diesen Effekt hat man selbst bei Loriots Langfilmen gehabt. So ein bisschen ist es bei Engelke aber auch eine Art komödiantisches Beiseitesprechen und ergibt somit die Möglichkeit, die Situation noch einmal ironisch zu kommentieren (auch das kennt man von Woody Allen). Das Kurzschließen von Comedy und narrativer Komödie spiegelt sich auch im Schauspielstil. Engelke macht auf „Ladykracher“, und Charly Hübner, ihr Langzeitpartner in dieser Sketch-Serie, macht auf ernsthaft und Understatement. Zum Konzept des Films gehörte es offenbar, die Tussi als Comedy-Figur und den Ex-Aktivisten als Dramödien-Charakter anzulegen. Gerade weil die beiden lange Zeit nur zu zweit agieren, geht das Konzept auf. Und mit der Läuterung der Boulevardjournalistin einher geht auch Engelkes gelegentliche Umswitchen vom überzeichneten uneigentlichen Sprechen in „realistischere“ Töne (dass sie sie es auch über 90 Minuten hinbekommt, hat sie in „Kommissarin Lucas“ oft bewiesen). Dass sie es auch wieder ganz anders kann, nicht als Tussi, nicht als vereinsamte Endvierzigerin, beweist die Schlussszene, die zeigt, wie gut einer Spielfilm-Komödie Comedy- oder Spiel-im-Spiel-Einlagen tun können, wenn Meister ihres Fachs an der Arbeit sind.

Einmal Hallig und zurückFoto: NDR / Jörg Landsberg
Eine Gewissensfrage: Ist der Dorsch nun überfischt? Die Wirtin hört wohl schon die Hochzeitsglocken. Tatsache ist: die beiden spüren ganz schön Druck im Kessel…

Die Besten der Besten auch hinter der Kamera
Eine kleine Überraschung ist es, dass Brainpool die vierfache Grimme-Preisträgerin Hermine Huntgeburth („Männertreu“) für „Einmal Hallig und zurück“ gewinnen konnte. Und die leistet gemeinsam mit Martin Langer, der einmal mehr der Berufsbezeichnung „Bildgestalter“ statt Kameramann alle Ehre macht, ihrer Stamm-Cutterin Eva Schnare („Weißensee“) und der renommierten Szenenbildnerin Bettina Schmidt („Teufelsbraten“) ganze Arbeit. An der Innenausstattung des Häuschens auf der Hallig kann man sich einfach nicht satt sehen; mit sehr viel weniger Seemannsnippes versehen ist die Nordseekneipe, passend zum trockenen Witz der überaus urigen „Moin-moin“-Döspaddel (Wirtin: „Sach ma’, hast du schon mal das Wort Privatsphäre gehört?“ Helge: „Nö.“). Überhaupt, trotz des manischen Redezwangs der Heldin und trotz des weitgehend gelungenen Dialogwitz’, der diese NDR/Arte-Koproduktion zu einer Screwball-Comedy-Variante macht, bestechen durchaus auch die Bilder. Gemeint ist damit nicht nur das, was Ausstattung und Kamera der Geschichte an ästhetischem Mehrwert hinzufügen, das Spiel zwischen Weite & maßloser Enge, gemeint ist damit auch das Erzählen mit Bildern statt mit Worten: Wenn wir Fanny sehen, wie sie sich mit Beuteln und Taschen durchs Treppenhaus zwängt, an Bobbycars vorbei, ein Baby im Kinderwagen wach stoßend, und wenn wir sie vor dem Spiegel sehen, wie sie sich begutachtet, wie sie ihr Gesicht verzieht zu Grimassen, wie sie versucht zu lachen und es am Ende dann doch eher ein Heulen wird, das ist erzählökonomisch, das hat Tiefgang, das ist Komödie. (Text-Stand: 22.10.2015)

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Fernsehfilm

Arte, NDR

Mit Anke Engelke, Charly Hübner, Robert Palfrader, Lars Rudolph, Lisa Werlinder, Michael Prelle, Jan Peter Heyne, Dagmar Leesch, Ole Fischer

Kamera: Martin Langer

Szenenbild: Bettina Schmidt

Kostüm: Sabine Böbbis

Schnitt: Eva Schnare

Musik: Andreas Grimm

Produktionsfirma: Brainpool

Drehbuch: Chris Geletneky, Sascha Albrecht

Regie: Hermine Huntgeburth

Quote: in der ARD: 4,45 Mio. Zuschauer (15,7% MA); Wh.: 4,23 Mio. (18,4% MA)

EA: 20.11.2015 20:15 Uhr | Arte

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