Ein vierjähriges Mädchen verschwindet. Bei der Suche nach ihm stößt man im Wald auf die Leiche eines Staatsanwalts. Dieser stand auf der Gehaltsliste eines windigen Gutshofbesitzers, der früher einen ähnlich lukrativen Handel mit Menschen betrieben hat – behauptet jedenfalls Kommissar von Bodenstein, der eine tiefe Abneigung gegen den Mann hegt. Seine Frau und seine Angestellten peitscht dieser gerne mal zur Vernunft. Nach seinem „Freund“ im Staatsdienst findet sich bald auch sein bestes Pferd im Stall, allerdings eines auf zwei Beinen, im Leichenschauhaus ein… Das Mädchen ist noch immer verschwunden, der Vater benimmt sich merkwürdig bis verdächtig und auch von der Frau des Gutshofbesitzers fehlt jede Spur.
Die Story von „Eine unbeliebte Frau“ ist handlungs- und figurenintensiv, überladen und überkonstruiert, aber zumindest noch einigermaßen Krimi-„Business-as-usual“ Marke ZDF. Beim Sender zählt offenbar allein die sichere Bank der Vorlage. Den einschaltquotenträchtigen Namen Nele Neuhaus lässt man sich was kosten. Da bleibt dann offenbar nicht mehr viel übrig – weder für die Drehbuchentwicklung noch für das Drehbuch selbst. Der große Quotenerfolg der ersten Neuhaus-Verfilmung „Schneewittchen muss sterben. Ein Taunuskrimi“ gibt dem ZDF Recht, was die PR-Nummer angeht: 6,76 Millionen Zuschauer ist unglaublich für diesen schlichten Montagskrimi. Bei der Rezeption des Films stellte sich der merkwürdige Eindruck ein: alle haben ihn gesehen, aber keiner fand ihn gut. Das wird sich hoffentlich beim zweiten „Taunuskrimi“ ändern. Denn „Eine unbeliebte Frau“ spielt, was Erzählökonomie, Dramaturgie und Dialoge angeht, in der untersten Fernsehfilm-Liga.
Dialoge wie bei „Derrick“:
Gutshofbesitzer Döring: „Was ist denn passiert?“
Staatsanwaltsgattin: „Joachim, er ist tot.“
Döring: „Das kann doch nicht sein… mein Gott, Bettina.“
„Derrick“ kommt jetzt aus dem Taunus. Halbseidene Geschäftemacher, falsche Schlampen, verkommene Bourgeoisie – aber auch die Dialoge sind direkt aus Herbert Reineckers Stilblütenschatz übernommen. „Wo waren Sie gestern zwischen 18 und 20 Uhr?“ ist da noch die unauffälligste Variante. Es sollte mal jemand zählen, wie viele Fragen in diesem Film gestellt werden. Gefühlt ist Autorin Tebbe & Co ein Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde sicher. Auch die kriminalistische Kommunikation funktioniert häufig nach demselben Schema: einer der Kommissare stellt etwas fest – der andere hinterfragt das, schlussfolgert etwas daraus oder kontert mit einer Befürchtung. Und weil hier ja nicht nur ermittelt wird, sondern auch Land & Leute im Besonderen und die Verkommenheit der Welt im Allgemeinen charakterisiert werden sollen, gibt es auf simple W-Fragen Gott-&-die-kleine-oder-große-Welt-Antworten. So weiß die Witwe des korrupten Staatsanwalts: „Diese Welt hier lebt von Verletzungen und davon, andere zu überflügeln, mehr zu haben, besser dazustehen. Da sind viele unglücklich und das darf man ja nicht zeigen“ – spricht’s und kippt einen Whisky.
Was benennen von diesen zahllosen Unzulänglichkeiten dieses Films? Dieses dumm im Wald Herumstehen der Kommissare mit den dazugehörigen braven Aufsagern zum Verschwinden des Kindes? Die Parallelstrang-Dramaturgie aus den Kindertagen des Krimifernsehfilms? Die Tatortbegehung im Wald, bei der dem Zuschauer nichts Sinnliches vermittelt wird, dafür umso mehr von der Vita und dem Klatsch um den Toten? Diese halbgare, unmotivierte Märchenmythologie? Diese bedeutungsvollen Blicke und Gesten? Das Ausstellen der Charakterschwein-Mentalität? Die mit den Dialogen kämpfenden Schauspieler, die sich mit einer vorgestrigen Rhetorik zwischen ZDF-Freitagskrimi der 70er und dem Seifenopern-Stil der „Guldenburg“-80er Jahre konfrontiert sehen? Die Umständlichkeit der Erzählung, die – auf die Gefahr hin, dass der Kritiker denselben Fehler begeht – nicht oft genug betont werden kann? Oder die oft völlig narrativ unlogische Logistik der Situationen (z.B.: die dramaturgisch auf den Kopf gestellte Überbringung der Todesnachricht an die Staatsanwaltsgattin – „Ihr Mann WAR Jäger?“)? Fragen über Fragen auch in der Kritik zum Film. Nicht vergessen darf man das Gefühl, dass einen ständig beschleicht: dass es in dem Film keine Handlungs-interne Interaktion (mit entsprechender Logik & Psychologie) gibt, sondern jede Situation nur der Wirkung für den Zuschauer geschuldet ist. Da geht es am Ende beispielsweise um Leben und Tod: „Rufen Sie sofort einen Krankenwagen“, sagt der Herr Kommissar. Die Kollegin tut’s – aber erst muss sich die Kamera noch eine halbe Minute an einem Schreckensbild weiden…
Eine viel versprechende Eingangsszene, zwei, drei stimmungsvolle Taunus-Totalen, ein origineller Umgang mit Rückblenden (per Video) und eine ansehnliche Hauptdarstellerin – ansonsten ist alles in diesem Film zum Sich-Schütteln. Wie sich Lieschen Müller einen Kriminalfilm vorstellt! Angehenden Drehbuchautoren sei der Film wärmstens ans Herz gelegt – als Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Aber auch Branchenkenner sollten den Film nicht verpassen, wenn sie mal so richtig ablästern wollen.