Eine Frau in Berlin. Anonyma

Nina Hoss, Max Färberböck und eine deutsch-russische Kriegsliebe ohne Kitsch

Foto: ZDF / Olczyk
Foto Rainer Tittelbach

Die letzten Kriegstage. Die Rote Armee marschiert in Berlin ein und fällt über die Frauen her. Eine sticht heraus, ist klüger als die anderen. Sie sucht sich „einen Wolf, der die Wölfe fernhält“. Und sie schreibt alles in ihr Tagebuch. Doch die Nachkriegsgesellschaft wird diese Frau nicht verstehen. Die dreistündige TV-Fassung von „Eine Frau in Berlin“ überzeugt durch ihre distanzierte Kammerspielhaftigkeit. Gesucht wird der beobachtende Zuschauer.

April 1945, die Rote Armee marschiert in Berlin ein. In den Notgemeinschaften der Luftschutzkeller und zerbombten Häusern herrscht die Angst vor Vergewaltigung. Inmitten der Frauen und wenigen Männer sticht eine hervor: Anonyma. Eine kluge Frau, einst Journalistin und Fotografin, die sich hat mitreißen lassen von der nationalsozialistischen Idee, von der Welle, die 13 Jahre zuvor über Deutschland kam. Jetzt steht sie in den Trümmern des Dritten Reichs. Sie ist den anderen Frauen überlegen: Sie ist schön, intelligent, sie spricht Russisch, sie ist mutig, stolz und besitzt einen unbändigen (Über-)Lebenswillen. Doch auch diese Überlegenheit bringt ihr zunächst nicht viel. Auch sie entkommt der Vergewaltigung nicht. Doch aus der Demütigung erwächst Trotz und Kraft: „Ab jetzt werde ich selbst entscheiden, wer mich bekommt“, vertraut sie ihrem Tagebuch an. Und sie sucht sich einen Beschützer, „einen Wolf, der die Wölfe fernhält“, einen russischen Offizier.

„Eine Frau in Berlin. Anonyma“ lief vor zwei Jahren im Kino. Auch wenn beim Fernsehen die Fernbedienung regiert, wird Max Färberböcks vom Zuschauer weitgehend missachteter und von Teilen der Filmkritik unterschätztes Leinwand-Drama auf dem Bildschirm ein breiteres und zahlenmäßig sehr viel größeres Publikum erreichen. Vor allem der Stoff hat es verdient. Entstanden ist der Film nach den 2003 wieder erschienenen Tagebuchaufzeichnungen einer bis zu ihrem Tode anonymen Verfasserin. Sie sind bis heute die einzige authentische Veröffentlichung, die es über die Massenvergewaltigungen des Zweiten Weltkriegs gibt. Insbesondere auf den Vergewaltigungen der Russen lag ein Schweigebann. Auch weil die Frauen die Auseinandersetzung mit dem Thema verhinderten. Als Anonymas Aufzeichnungen, nachdem sie in englischer Sprache für Furore sorgten, in den 50er Jahren auf Deutsch erschienen, wurde das Buch tot geschwiegen – und die, die es lasen, waren empört.

Eine Frau in Berlin. AnonymaFoto: ZDF / Olczyk
Deutschland hat kapituliert, doch das Leben in Berlin muss irgendwie weitergehen: Anonyma (Nina Hoss)

„Eine Frau in Berlin“ sensibilisiert aber nicht nur für ein tabuisiertes Thema, der Film erzählt auch und vor allem von einer starken Frau, die sich selbstbewusst gegen die Widrigkeiten der Geschichte stemmt, die sich nicht unterkriegen lassen will und sich auch nicht scheut, sich zu prostituieren, weil anders ein Weiterleben kaum möglich ist. Dass diese nationalsozialistische Kosmopolitin sich in einen russischen Major verliebt, mag allein nach Motivlage schwer kitschverdächtig sein, wie Färberböck aber diese deutsch-sowjetische Annäherung sich entwickeln lässt, wie minutiös er sie beobachtet und mit wie viel Distanz er sie inszeniert, das bedient vor allem in der 50 Minuten längeren TV-Fassung sehr viel mehr als nur die Konvention einer (melo)dramatischen Liebe, der keine Zukunft beschieden ist. Der Regisseur Färberböck versagt sich große Gefühle, weil der Autor Färberböck sich an den nüchternen, völlig illusionslosen Sprachduktus der Vorlage hält und weil die Schauspieler, allen voran Nina Hoss, ein intensives, dreistündiges Kammerspiel aufführen, anstatt sich in Aktion und großer Emotion zu ergehen. Gesucht wird also der beobachtende, nicht der mitfühlende Zuschauer.

Dass dieser Zuschauer, der mit dem Autorenkino groß geworden ist und heute die großen Multiplexkinos meidet, in denen „Anonyma“ zu sehen war, neben den letzten Programmkinos vor allem vor dem Fernseher zu finden ist, ist anzunehmen. Auf der großen Leinwand hatte „Eine Frau in Berlin“ etwas Statisches, sah aus wie ein zu groß geratenes, zu ausgewogenes Kammerspiel, dem man mehr Physis, mehr Härte, mehr menschliche Abgründe gewünscht hätte. Aus pragmatischer Sicht – als Kinofilm fürs Fernsehen – ist das Meiste richtig an Färberböcks Film, der ohne das ZDF und ohne die verlängerte TV-Fassung wohl nicht zustande gekommen wäre. (Text-Stand: 10.5.2010)

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Mit Nina Hoss, Evgeny Sidikhin, Irm Hermann, Rüdiger Vogler, Ulrike Krumbiegel, Jördis Triebel, Roman Gribkov, Rolf Kanies, Juliane Köhler, Rosalie Thomass

Kamera: Benedict Neuenfels

Szenenbild: Andrzej Halinski, Uli Hanisch

Kostüm: Lucia Faust

Schnitt: Ewa J. Lind

Musik: Zbigniew Preisner

Produktionsfirma: Constantin Film

Drehbuch: Max Färberböck

Regie: Max Färberböck

Quote: Teil 1 +2: durchschnittl. 3,22 Mio. Zuschauer (10,4% MA)

EA: 10.05.2010 20:15 Uhr | ZDF

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