Eigentlich schade, dass das „Erste“ diesen sehenswerten Film nicht an einem Freitag ausstrahlt, denn er führt eine Entwicklung fort, die die ARD-Tochter Degeto vor fünf Jahren begonnen hat: Komödien wie „Vier kriegen ein Kind“ oder „Mein Sohn Helen“ waren kurzweilige Verpackungen für Themen von gesellschaftlicher Relevanz. Das gilt dem (sicher nicht auf dem Mist des Autors gewachsenen) Titel zum Trotz auch für „Eine Almhütte für zwei“. Die Handlung setzt sich sehr kurzweilig mit einer komplexen ethisch-moralischen Frage auseinander: Wie geht unsere Gesellschaft damit um, wenn Menschen mit geistigen Einschränkungen Kinder bekommen? Dürfen die das überhaupt? Und wer übernimmt die Verantwortung? Das klingt nach Stoff für einen Mittwochsfilm, doch Benedikt Röskau hat daraus eine sympathische Komödie gemacht, die gleich in mehrfacher Hinsicht überzeugende Kompromisse findet: Der Film ist witzig, aber nie auf Kosten seiner Hauptfiguren, denn blöd sind hier die anderen; er spielt mit Stereotypen, ohne in Klischees zu verfallen; und er ist mit ganzem Herzen bei Leonhard und Beate, ohne das eigentliche Problem zu bagatellisieren.
Foto: Degeto / Marc Reimann
Röskau hat in den letzten gut zwanzig Jahren unter anderem die Drehbücher zu „Das Wunder von Lengede“, „Romy“, „Die Auserwählten“ und allen voran zum mehrfach ausgezeichneten Zweiteiler „Contergan“ geschrieben. Komisch waren seine Stoffe selten. Es ist daher umso bemerkenswerter, dass er für sein Regiedebüt das schwierige Komödienfach gewählt hat. Das Ergebnis kann sich jedoch mehr als bloß sehen lassen: weil er dem Film eine sehr angenehme Tonalität gegeben hat. Das Thema ist zudem äußerst geschickt als eine jener Heimat-Geschichten verpackt, wie sie die Degeto immer wieder freitags gern erzählt, selbst wenn der Film darauf verzichtet, ständig in Bergpanoramen zu schwelgen: Weil ein oberbayrisches Dorf am Fuß des Karwendelgebirges langsam vor die Hunde geht und dringend ein Wunder braucht, will der Bürgermeister rund um eine Heilquelle einen Kurpark einrichten.
Innerhalb dieses geläufigen Rahmens hat Röskau eine zu Herzen gehende Liebesgeschichte angesiedelt. Besitzer des Landes mit der Quelle ist ein geistig schlichter, aber grundanständiger Almbauer (Tom Beck), der mit seiner Handvoll Milchkühe ein beschauliches und zufriedenes Dasein führt; könnte er die Idylle mit einer Frau teilen, wäre sein Glück perfekt. Eines Tages sind seine allabendlichen Gebete offenbar erhört worden: Beate (Anna Drexler) aus Köln macht mit ihren Eltern Hanna und Christian Spengler (Annette Frier, Martin Brambach) Urlaub in der Gegend. Die junge Frau rettet eine Stute samt Fohlen vor dem Abdecker, indem sie kurzerhand auf dem Pferd davon reitet. Als ein Unwetter aufkommt, sucht sie Zuflucht in Leonhards Stall. Beate wirkt äußerlich ganz normal, aber weil es bei ihrer Geburt Komplikationen gab, bewegt sie sich geistig auf dem Niveau eines Kindes zwischen acht und zwölf. Dass der Bauer und die Städterin dennoch oder gerade deshalb füreinander bestimmt sind, verdeutlicht Röskau mit einer witzigen Einführung, in der vermeintlich falsche Euros eine entscheidende Rolle spielen.
Foto: Degeto / Marc Reimann
Bis zu diesem Punkt könnte „Ein Almhütte für Zwei“ (Arbeitstitel: „Leonhards Traum“) eine unbeschwerte Liebesgeschichte sein, aber dann wird Beate schwanger und die Sache kompliziert: Mutter Hanna hatte sich nun, da ihre Tochter mit Mitte zwanzig halbwegs auf eigenen Beinen stehen kann, darauf gefreut, endlich an sich denken zu können. Jetzt fürchtet sie, dass alles wieder von vorn losgeht, weil sie sich um das Baby kümmern muss. Beate spricht aus, was letztlich die Relevanz des Films ausmacht: „Ich darf kein Kind haben, weil ich behindert bin.“ Leonhard wiederum droht Opfer eines Komplotts zu werden. Er steht unter der Kuratel seines ihm eigentlich wohlgesonnenen Cousins Anton (Gabriel Raab), doch der lässt sich von seiner Frau Franziska (Mara Widmann als Lady Macbeth) zu einer miesen Intrige überreden: Er soll den Vetter dazu bringen, seine Alm samt Quelle gegen ein minderwertiges Stück Land zu tauschen, damit der Bürgermeister (Felix Hellmann), der offenbar schon immer ein Drecksack war, seine Pläne mit der Heilquelle ungestört umsetzen kann. Damit die Spenglers gar nicht erst mitbekommen, welchen Schatz der Vater ihres ungeborenen Enkelkinds besitzt, redet Anton ihm das Kind aus: Leonhard wolle doch bestimmt nicht, dass sein Nachwuchs wie er selbst als Dorfdepp aufwachse.
Natürlich kommt alles anders, und selbstredend weiß der erfahrene Röskau, wie sich die Geschichte allen Widrigkeiten zum Trotz plausibel zu einem guten Ende führen lässt. Dass er den Kreis schließt, indem er die Sache mit den Euros aus der Einführung im Epilog noch mal aufgreift, sorgt für einen heiteren Schlusspunkt. Aber Röskaus Meriten als Autor stehen ohnehin außer Frage, und so ist die Qualität der Inszenierung die eigentliche Überraschung des Films. An der Bildgestaltung wird auch Kameramann Thorsten Harms seinen Anteil gehabt haben, doch die Führung der Schauspieler ist Sache des Regisseurs, und in dieser Hinsicht hat Röskau ebenfalls genau das richtige Maß gefunden. Die Darstellung von Menschen mit geistiger Behinderung ist immer heikel, aber Tom Beck und Anna Drexler verzichten auf jede Zurschaustellung der Beschränktheit. Gerade Drexler macht das in ihrer ersten TV-Hauptrolle ganz vorzüglich. Beck, der für einen Mittelfranken ein sehr glaubwürdiges Bairisch spricht, verkörpert den Bauern als freundlichen Hinterwäldler. Dass der Mann mit seinen Kühen redet, ist für einen Landwirt im Allgemeinen und einen Einzelgänger im Besonderen ebenso ungewöhnlich wie die einseitigen Zwiegespräche mit einer Marienstatue, die je nach Situation den Gesichtsausdruck wechselt. Bei Beate äußert sich die geistige Einschränkung vor allem in Taten, etwa, als sie dem Herdfeuer mit Petroleum nachhelfen will, weshalb anschließend mit einem ordentlichen Wumms Rauch aus allen Hüttenöffnungen schießt. Ansonsten offenbaren die beiden Figuren jene herzerfrischende Kindlichkeit, die den meisten Erwachsenen – oft zum eigenen Bedauern – irgendwann abhandengekommen ist.
Foto: Degeto / Marc Reimann
Das Drehbuch basiert auf einer Idee von Sylvia Leuker. Röskaus Lebensgefährtin und vielfache Koautorin ist im vergangenen Jahr gestorben; er hat ihr „Eine Almhütte für Zwei“ gewidmet. Entsprechend wehmütig wird ihm während der Dreharbeiten zumute gewesen sein, aber davon ist nichts zu spüren. Der Film ist zwar trotz der Slapstick-Einlagen von Martin Brambach und einiger verblüffender Einfälle eine stille Komödie, vermittelt aber nicht zuletzt dank der eingängigen und immer stimmigen Musik (David Reichelt) viel Lebensfreude.