Ein weites Herz

Nadja Uhl, Iris Berben, Annette Hess, Thomas Berger. Schicksalsjahre einer Familie

Foto: ZDF / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Eine Frau, die es von Kunst und Kabarett in die Arme Gottes treibt. Eine Familie, die die Nationalssozialisten in Sippenhaft nehmen. „Ein weites Herz“ erzählt die schicksalhafte Geschichte von Isa Vermehren, ihrem Weg zu Gott, und ihrer liberalen Familie. Man spürt den Atem der biographischen Vorlage, und die Dramaturgie ist deutlich einerseits der Chronologie der Ereignisse, andererseits einer linearen Handlungsdramatik geschuldet. Das stört aber kaum – zu stark ist diese Lebensgeschichte, da nimmt man manch Nazi-Kitsch in Kauf.

„Wir haben immer alle Probleme als Familie gelöst“, beschwört Isa Vermehren ihre Liebsten. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs scheint die liberale Familie auseinanderzubrechen. Der Vater betrügt die Mutter, die vorübergehend als Korrespondentin nach Griechenland geht. Auch Isas Bruder Erich zieht es in die Fremde: als Diplomat nach Istanbul – was den Vermehrens gar nicht gefällt. Und dann will dieser auch noch zum Katholizismus konvertieren – seiner Zukünftigen, Elisabeth von Plettenberg, zuliebe. Doch damit nicht genug: Elisabeth und Isa verbindet mehr als bloße Seelenverwandtschaft. Erich spürt das, will seine Frau nicht verlieren und flüchtet mit der Katholikin, die wegen ihres Glaubens Deutschland eigentlich nicht verlassen darf, nach London. Die Geliebte vom alten Vermehren ist schwanger. Die Gestapo holt Isa, ihren anderen Bruder Michael und die Eltern. Endlose Verhöre. Doch Isa verrät ihren Bruder nicht. Der kommt mit Elisabeth heil nach London. Daraufhin werden die Vermehrens – im Konzentrationslager Ravensbrück – in Sippenhaft genommen.

Ein weites HerzFoto: ZDF / Stefan Erhard
Isa (Nadja Uhl) überspannt den Bogen mit ihren frechen, politischen Seemannsliedern

„Ein weites Herz“ ist als Film sicher nicht perfekt. Man spürt den Atem der biographischen Vorlage, und die Dramaturgie ist einerseits der Chronologie der Ereignisse geschuldet, andererseits aber auch einer linearen Handlungsdramatik, die für emotionale Umschwünge sowie für Wechsel aus Spannung und Entspannung sorgen muss. Auch die Verwendung des Nationalsozialismus als Emotionskulisse ist bedenklich. „Ein weites Herz“ ist dennoch ein interessanter Film, weil die Lebensgeschichte jener Isa Vermehren eine interessante ist: Schon in jungen Jahren war sie ein Freigeist. Die Nationalsozialisten hat sie verabscheut. Und bald machte sie sich einen Namen in der Berliner Kleinkunstszene. Mit Akkordeon, spitzer Zunge und hohem C schmetterte sie satirische Seemannslieder in Werner Fincks „Katakombe“ – bis 1935 das legendäre Kabarett von den Nazis geschlossen wurde. Der Film verkürzt die Karriere der wilden Isa zugunsten ihres Weges zum Glauben, der der Freundschaft mit ihrer Schwägerin zu verdanken ist, einer Freundschaft, die von den Blicken ihrer beiden Darstellerinnen, Nadja Uhl (die sich zu recht etwas zu alt für die Rolle der Isa sah) und Peri Baumeister, homoerotisch unterfüttert wird. Der Glaube, an Gott, aber auch an die Familie, wird zur Triebkraft für das Überleben während der Haftzeit. Im Lager lässt sich Isa von einem KZ-Häftling, einer polnischen Nonne, das Glaubensbekenntnis abnehmen. „Ein weites Herz“ deutet im Nachkriegs-Happy-End an, wie die zweite Lebenshälfte von Isa Vermehren aussehen wird: 1951 tritt sie dem Orden des Sacré-Coeur ein und als Schulleiterin eines Hamburger Mädchengymnasiums weiht sie ihr Leben fortan Gott und der Pädagogik.

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Liberale Schicksalsgemeinschaft: die Familie Vermehren. Alexander Khuon, Iris Berben, Nadja Uhl, Max und Friedrich von Thun

Isa Vermehren einst auf die Frage, wie Gott das Leid der im „Dritten Reich“ Gequälten und Ermordeten zulassen konnte:
„Die KZs hat nicht der liebe Gott eingerichtet, sondern wir Menschen. Ich würde also den Spieß umdrehen und sagen: Wie kann der Mensch so etwas Schreckliches zulassen? Ich denke, Auschwitz ist die Welt, die die Menschen sich bauen, die von Gott nichts mehr wissen oder wissen wollen.“

Thomas Berger über die Funktion der Räume:
„Die Motive sollten die Menschen, die in ihnen leben, so genau wie möglich beschreiben, vor allem aber ihre jeweiligen Lebenssituationen fühlbar machen. Glück, Einsamkeit, Isolation. Alle Emotionen sollten sich in den Räumen spiegeln lassen. So haben wir zum Beispiel das Konzentrationslager Ravensbrück ausschließlich aus der Perspektive von Isa Vermehren erzählt.“

Ein weites HerzFoto: ZDF / Stefan Erhard
Sippenhaft im Konzentrationslager. Freigeist Isa (Nadja Uhl) lässt die Angst nicht in ihr Herz.

Dramaturgisch kann man dem historischen Zwei-Stunden-Drama den Vorwurf machen, dass sich Drehbuchautorin Annette Hess und Co-Autor und Regisseur Thomas Berger nicht recht entscheiden können, ob sie die Lebensgeschichte der Isa Vermehren, von ihren drei Ks, Kabarett, KZ, Kloster, erzählen wollen oder mehr dem Untertitel des Films, „Schicksalsjahre einer deutschen Familie“, gerecht werden sollen. Das ist nachvollziehbar – weil beide Geschichten starke Momente und ein hohes „Erregungspotenzial“ besitzen. Insbesondere das Thema Sippenhaft dürfte einigen Zuschauern nicht bekannt sein und ist fiktional höchst selten in Filmen bisher verarbeitet worden. Man könnte, wie gesagt, vieles kritisieren an „Ein weites Herz“, aber am Ende dominiert doch das Erzählte, eine Geschichte, die einem aufgeklärten, kirchenkritischen Menschen außerhalb dieses Fernsehfilms wohl nie begegnet wäre. Auch wenn der Film nicht gänzlich auf die aktionistischen Nazi-Signal-Szenen verzichten kann, so versuchen doch Hess, Berger & Co durch die Konzentration auf die familiäre Innen-Perspektive ein Mehr an Tiefe und ein Weniger an Klischee und Bildrhetorik.

Immer wieder wird die Realität mit den Augen der Hauptfigur wahrgenommen. Da ist es ein Segen eine Schauspielerin wie Nadja Uhl zu haben. In den Bildern im Konzentrationslager Ravensbrück wird ihr Gesicht zur Projektionsfläche des Gehörten und Gesehenen: zur Ikone des inneren Widerstands. Überhaupt findet „Ein weites Herz“ neben einer exzellenten Bildgestaltung immer wieder ausdrucksstarke Metaphern – u.a. für den emotionalen Familienzusammenhalt: so kuschelt sich Isa immer wieder, auch noch als erwachsene Frau, im Bett der Eltern an Vater und Mutter. Ein gleichzeitig erhellendes und erwärmendes Bild.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Nadja Uhl, Iris Berben, Friedrich von Thun, Max von Thun, Peri Baumeister, Alexander Khuon, Hinnerk Schönemann, Jürgen Tarrach, Thomas Thieme, Hedi Kriegeskotte, Elena Uhlig

Kamera: Frank Küpper

Szenenbild: Thorsten Lau

Schnitt: Barbara Hennings

Produktionsfirma: Network Movie

Drehbuch: Annette Hess, Franziska Gerstenberg, Thomas Berger – nach dem Buch von Matthias Wegner

Regie: Thomas Berger

Quote: 3,59 Mio. Zuschauer (10,3% MA)

EA: 01.04.2013 20:15 Uhr | ZDF

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