In einer Siedlung ist eine Frau ermordet worden. Als Linett Wachow (Stappenbeck) und Otto Garber (Martens) mit der Befragung der Nachbarn beginnen, fühlt sich das Berliner Ermittler-Duo umgehend wie beim sprichwörtlichen und titelgebenden Stich ins „Wespennest“: Hinter der schmucken Fassade der Neubauten mit ihren familiären Idyllen verbergen sich Abgründe. Siedlungsgeschichten haben im Fernsehfilm eine lange Tradition, im Krimi wie in der Komödie. Der Reiz des Sujets liegt auf der Hand: Der Schauplatz ist übersichtlich, jeder kennt jeden, und weil man Tür an Tür wohnt, muss man auch dann noch eine gute Miene machen, wenn das Spiel böse Züge annimmt. Die Charaktere sind meist die gleichen: der Blockwart, der Außenseiter, die Schlampe. Komödien beginnen mit dem Zuzug, Krimis mit einem Mord.
Auch Axel Hildebrand bewegt sich mit seinem Drehbuch für „Wespennest“ innerhalb dieses Rahmens: Als Franziska Kubsch in ihrer Küche hinterrücks erstochen wird, sorgt Nachbar Wernicke (Matthias Bundschuh) dafür, dass sich die Ermittlungen umgehend auf Ronnie Stelter (Sönke Möhring) konzentrieren. Der ehemalige Kampfschwimmer lebt allein, seit ihn seine Frau verlassen hat, und arbeitet als Stuntman; das genügt, um ihn unter all’ den ehrbaren Familien zum Sonderling abzustempeln. Wernicke, der Vorsitzende der Nachbarschafts-Initiative, ist das genaue Gegenteil. Der Mann klebt Zettel auf Autos, die im Parkverbot stehen, ist ein zwanghafter Müllsortierer und hat selbstredend alles im Blick. Matthias Bundschuh muss dauernd solche „Ich will ja nichts sagen, aber“-Typen verkörpern, und er macht das immer wieder erschreckend gut: scheinbar jovial, aber auf passive Weise aggressiv; redselig gegenüber der Obrigkeit, aber unnachgiebig, wenn es ums Prinzip geht.
Selbst wenn die verschiedenen Figuren nicht weiter originell sein mögen: Gerade auch dank der Darsteller sind die Charakterstudien interessanter als die Lösung des Falls. Dass die rumänischen Einbrecher, die Wernicke ebenfalls als Tatverdächtige ins Spiel bringt, nichts mit dem Mord zu tun haben, ist ohnehin von Anfang an klar. Viel reizvoller ist das Verhältnis zwischen zwei Familien, die unmittelbar nebeneinander wohnen: hier die Kubschs, dort die Behrendts. Die beiden Frauen und die beiden Männer sind jeweils schon seit Schulzeiten miteinander befreundet. Henry Kubsch (Marcus Mittermeier), Möbelhändler und auf arrogante Weise selbstbewusst, zieht nach dem Mord samt kleinem Sohn ins Nachbarhaus. Es gehört ihm ohnehin, Carina (Friederike Kempter) und Gero Behrendt (Janek Rieke) dürfen zum Freundschaftspreis dort wohnen; aber das allein kann nicht der einzige Grund sein, warum Gero von einer nur mühsam unterdrückten Wut auf seinen eigentlich besten Freund erfüllt ist. Und dann ist da noch Henrys kleiner Sohn: Der Junge war zur Tatzeit im Haus und steht unter Schock; ein Kinderpsychologe soll herausfinden, ob er womöglich den Mörder gesehen hat.
Martin Kinkel hat die Geschichte gewissenhaft umgesetzt, gewinnt ihr aber keinerlei Überraschungen ab. Die Schauspieler überzeugen in ihren Rollen, die Bildgestaltung (Friederike Heß) ist sorgfältig und arbeitet auffallend oft lieber mit Schwenks als mit Schnitten. Ausstattung und Kostümbild ergeben mit dem für die Reihe typischen „Blaustich“ einen stimmigen Gesamteindruck, einfache, aber wirkungsvolle Bild- und Toneffekte (Zeitlupe, Hall) setzen an den richtigen Stellen markante Akzente. Trotzdem ist „Wespennest“ nur ein durchschnittlicher Beitrag zu „Ein starkes Team“, zumal der Film seinem Unruhe und Aufregung versprechenden Titel nie gerecht wird. Sehenswert ist der Krimi vor allem wegen des sympathisch unaufgeregt Zusammenspiels von Stefanie Stappenbeck & Florian Martens, der wie fast immer die besten Dialogzeilen hat („Noch langsamer, und ich parke“). Wie allzu oft in den letzten Jahren ist der Erzählstrang mit Sputnik (Jaecki Schwarz) dagegen nur noch Ballast und hat keinerlei Bezug zum Fall: Der Ex-Kollege ist der neue Pförtner im Berliner LKA und verkauft nebenbei Gemüsehobel. Der einzige, der ihm so ein Ding abnimmt, ist natürlich Abteilungsleiter Reddemann (Arnfried Lerche), der sich prompt einen blutigen Finger holt.